01 - Cara Italia

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"Ich fühle mich glücklich, am Ende des Tages.
Wenn ich glücklich bin, ist es das Ende der Welt."
(Ghali - Cara Italia)

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Ein kurzer Blick auf mein Handy verriet mir die Uhrzeit.
„Ennie, wir müssen in drei Minuten in der Eingangshalle sein und ich will wirklich nicht direkt am ersten Tag das Zimmer sein, das zu spät kommt."
Ennie räumte schnell den letzten Stapel ihrer Anziehsachen in den Teil des großen, weißen Schranks in unserem Hotelzimmer.

Wir waren seit etwa einer halben Stunde in unserem Hotel in Neapel und hatten Zeit in unsere Zimmer zu gehen um unsere Sachen aus dem Koffer in den Schrank zu räumen.
Die Zimmer unseres Hotels waren zwar relativ klein, aber wenigstens schienen sie sauber und die Betten sahen gemütlich aus, sodass wir es ohne Probleme zehn Tage überleben könnten.

Ennie schob ihren Koffer zu meinem und Finjas unter den Schrank, damit er nicht stören würde.
„Ja, ich bin schon fertig, wir können gehen."
Ich folgte Ennie, nachdem sie unser Zimmer als Erste verlassen hatte. Finja nahm den Schlüssel an sich, als sie es hinter uns verlassen und abgeschlossen hatte.
Dann begaben wir uns drei Stockwerke weiter runter in die Eingangshalle von unserem Hotel.
Da unser Zimmer ganz oben lag, hatten wir mit Abstand den weitesten Weg nach unten, aber dafür hatten wir von unserem Balkon aus wahrscheinlich auch den schönsten Blick über die Häuser von Neapel.
Und wenn das Hotel Aufzüge hätte, wäre das ja auch alles kein Problem gewesen.

Als wir in der Eingangshalle ankamen verriet mir ein kurzer Blick in die Runde, dass noch ein Zimmer fehlte. Also waren wir glücklicherweise nicht die Letzten.

Unser Geschichtskurs war ein recht kleiner Kurs mit 15 Mädchen. Die Blicke waren immer lustig, wenn wir irgendwo ankamen und nur weibliche Wesen ausstiegen, aber so war das halt in einer Mädchenschule.
Das klang für viele total abstrakt, aber ich war glücklich auf eine Schule, nur mit Mädchen gegangen zu sein. Ich würde es immer wieder tun.

Der Zusammenhalt in unserer Stufe, und auch in den Stufen unter uns, war, entgegen dem was alle dachten, echt klasse und Jeder verstand sich mehr oder weniger mit Jedem.
Natürlich gab es auch bei uns die Beliebten und die eher Unbeliebten, aber der Unterschied zwischen den Fronten war kleiner als auf gemischten Schulen.
Und, der von allen erwartete Zickenkrieg, blieb eigentlich auch aus, immerhin gab es ja keine Jungs um die wir uns streiten konnten.

Gegen fünf nach drei traf dann auch das letzte Zimmer in der Eingangshalle des Hotels ein, so dass der Kurs vollständig war.
Viel größer hätte der Kurs gar nicht sein dürfen, denn auch schon mit fünfzehn Leuten füllten wir die schmale Halle gut aus.

Frau Jehner, die Lehrerin unseres Leistungskurses, räusperte sich kurz, um auf sich aufmerksam zu machen.
"Ich gehe jetzt kurz die Kursliste durch und kontrolliere, ob auch alle anwesend sind. Dazu sage ich Ihnen eine Nummer die Sie sich bitte merken, damit wir die nächsten Male nur noch schnell durchzählen müssen. Das spart Zeit und ist übersichtlicher, als wenn ich immer jede suchen muss."
Alle nickten leicht.

„Enissa Constantini, du bist Nummer eins."
Ennie hob kurz ihre Hand als Zeichen, dass sie anwesend war und antwortete Frau Jehner durch ein Nicken.

Nach und nach ging Frau Jehner alle durch.
Die Lehrerin, die uns zusätzlich begleitete, stand die ganze Zeit neben ihr und beobachtete Frau Jehner, sprach aber kein Wort.
Sie hatte sich dem Kurs gerade eben als Frau Maisen vorgestellt.

Frau Maisen war noch sehr jung und grade erst Lehrerin geworden, zumindest hatte Ennie das erzählt. Sie unterrichtete den Italienischkurs von Ennie und sollte eigentlich ganz cool drauf sein.
Aber persönlich konnte ich das nicht einschätzen, da ich sie heute erst zum ersten Mal richtig gesehen hatte.
Immerhin sah sie nett aus und wirkte neben Frau Jehner fast ein bisschen schüchtern, wenn sie ihre hellblonden Haare von der einen Seite zur anderen legte.

Frau Jehner war so ziemlich das Gegenteil von dem, was uns über Frau Maisen bekannt war. Sie stand unmittelbar vor der Rente und war auf der ganzen Schule dafür bekannt, relativ streng zu sein. Wobei sie meiner Meinung nach, eine gute Mischung aus streng und nett bildete, sie musste einen nur mögen. Sie wurde eigentlich nur zum Drachen, wenn sich jemand nicht an die Regeln hielt.
Wenn Blicke töten könnten, hätte sie schon mehrere Schüler umgebracht.

„Svenja Zubriggen, Nummer vierzehn."
Frau Jehner rief meinen Namen durch den Raum und schaute sich nach mir um.
Obwohl mein Nachname mit Z anfing, war ich nicht die letzte, denn Finja kam noch nach mir. Wir beide bildeten immer das Schlusslicht in der Stufe.
Ich stellte mich auf Zehenspitzen und hob meine Hand, so dass ich sicher gehen konnte, dass Frau Jehner mich gesehen hatte.
„Hier!"

Mit knappen 1,62m war ich die zweitkleinste im Kurs, nur Elena war kleiner als ich.
Aber da Elenas Familie aus Japan kam und ich noch nie einen großen Japaner gesehen hatte, war das irgendwie logisch.

Theoretisch wäre ich gerne ein Stückchen größer. Auch wenn es nur drei Zentimeter wären, damit ich die 1,65m Marke erreichen würde. Aber irgendwann hatte ich mich damit abgefunden, dass ich nicht mehr wachsen würde.
Meine Mutter hätte jetzt gesagt, dass Blumen halt langsamer als Unkraut wachsen.
„Okay, es scheinen alle da zu sein, sehr gut!"
Frau Jehner machte eine kurze Pause und blickte schnell nochmal durch den Kurs.

„Wie Sie ja wissen, ist der erste geplante Punkt unsere Stadtführung. Unser Stadtführer müsste in etwa zehn Minuten hier sein. Die Stadttour dauert ungefähr zwei Stunden und danach haben Sie erstmal Freizeit, um die Stadt für sich selber zu entdecken."

Sie pausierte kurz bevor sie fortfuhr.
„Um elf Uhr sind Sie bitte wieder im Hotel und tragen sich auf dieser Liste ein. Diese wird immer hier unten an der Rezeption liegen. Wer nicht pünktlich eingetragen und auf dem Zimmer ist bekommt Probleme mit mir.
Morgen früh treffen wir uns um acht im Frühstücksraum. Dieser befindet sich im ersten Stockwerk, ich bin mir sicher, dass sie keine Probleme haben werden, ihn zu finden."

Wieder nickten alle Frau Jehner zu.
Ich hoffte sie hatte Recht was den Frühstücksraum betraf, denn mein Orientierungssinn war noch nie der Beste.

„Ach, und ich möchte noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass diese Fahrt kein Partyurlaub, sondern eine Studienfahrt und damit eine Schulveranstaltung ist. Darum möchte ich daran erinnern, dass sowohl Alkohol als auch Herrenbesuch während der gesamten Zeit verboten ist und wer diese Regeln missachtet, wird die Konsequenzen tragen müssen."

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