17 - This Mess

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"Wie komme ich hier raus?
Denn ich bin gebrochen und gelangweilt.
Wie komme ich aus diesem Chaos heraus?"
(Five North - This Mess)

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Irgendein Gefühl sagte mir, dass der Tag heute nicht viel besser werden würde, aber ich versuchte dieses Gefühl zu verdrängen.

Wir machten uns dann auf den Weg zur Straßenbahnstation und nahmen die Straßenbahn, die zur Altstadt fuhr.
Eigentlich hatte ich mich auf den heutigen Tag am meisten gefreut, aber nach dieser Ansprache war die Stimmung im Kurs sehr gedrückt und meine Vorfreude dadurch gedämpft.

Neapel verfügte über ein etwa achtzig Kilometer langes, unterirdisches Gängesystem. Es wurde auch mit einem Labyrinth verglichen.
Die Höhlen lagen knapp vierzig Meter unter der Erde und wurden in der Vergangenheit für unterschiedlichsten Zwecke genutzt. Sie dienten als geheime Zufluchtsorte, Kulträume oder Katakomben.
Es gab Führungen durch diese Unterwelt und wir wollten heute an einer teilnehmen.
Frau Jehner meinte es sei wichtig um die Geschichte Neapels besser zu verstehen, aber mich interessierten die Legenden auch ohne die Begründung.

Wenig später kamen wir an der vereinbarten Stelle an. Ein hölzerner Eingang führte in einen dunklen Gang von dem ich von außen nicht viel sah.
Frau Jehner schaute kritisch auf die Uhr.
„Wir müssen noch auf unseren Tourguide warten und auf eine andere Schulgruppe mit der wir die Führung gemeinsam besuchen.“

Während wir warteten, weil wir deutlich zu früh da waren, packten wir ein paar Snacks aus. Ich verteilte an Ennie und Finja Schokoriegel und Ennie öffnete ihre Skittles und bot sie uns an.
Als der Tourguide ankam war von der anderen Schulgruppe immer noch nichts zu sehen. Also stellte sich der ältere Mann zu unseren Lehrerinnen und die drei unterhielten sich angeregt.

Es dauerte ein paar Minuten, bis eine weitere Gruppe auf uns zu kam. Als die Gruppe immer näher kam, trauten wir unseren Augen nicht.
Ungläubig drehte ich mich zu Ennie und Finja, aber ehe ich etwas sagen konnte, sprach Ennie schon das aus, was ich dachte.
„Sehe ich richtig, sind das die Jungs?“

Finja und ich nickten um Ennies Frage zu beantworten. Ich war immer noch verwundert darüber, dass sie nun gleich vor uns standen. Wir hatten uns die letzten Tage immer darüber ausgetauscht, was wir am nächsten Tag tun würden, nur gestern nicht.

Ich spielte mit dem Gedanken zu Robin hinzugehen, aber nachdem er mich auch sah und mir ein Lächeln schenkte, rief der Guide bereits beide Gruppen zu sich. Er wollte nun endlich mit der Führung anfangen, denn der Kurs der Jungs hatte sich ein paar Minuten verspätet..
Vielleicht war das sogar gut, dass ich nicht zu Robin gehen konnte. Denn ich hätte es irgendwie so anstellen müssen, dass Frau Jehner mich nicht gesehen hätte. Immerhin konnte ich schlecht auf einen Jungen zugehen, wenn Kontakt zu diesen doch verboten war. Vielleicht hätte ich ihr erzählen sollen, dass er mein Cousin wäre? Aber auch dann hätte ich ihn nicht küssen können.

Die Einleitung unseres Guides verpasste ich durch meine abschweifenden Gedanken. Mal wieder.
Aber es störte mich nicht sonderlich, da ich sowieso lieber sofort in den Untergrund gewollt hätte. Und als der Guide dann fertig war, ging es auch endlich los in die dunklen Höhlen unter Neapel.

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Mir gefielen die unterirdischen Gänge sehr gut. Sie waren schön gestaltet und sie erzählten so viele Geschichten. Das Gefühl hier unten zu sein war irgendwie besonders.
Ich hatte persönlich hohe Anforderungen an diesen Ausflug gestellt und bisher wurden diese nicht enttäuscht. Im Gegenteil, ich war positiv überrascht.
Auch die Führung war wirklich sehr interessant. So interessant, dass wir uns bei einer Möglichkeit bereits das Thema der "Napoli Sotterranea" als Vortragsthema sicherten.

Von den Sachen die wir bisher mit dem Kurs gemacht hatten, war dieser Ausflug bisher definitiv mein Highlight.
Vielleicht lag das auch unteranderem an Robin, wir schenkten uns zwischendurch immer wieder Blicke oder ein Lächeln, so unauffällig wie möglich.

Das einzige was mich nach und nach etwas wurmte war ein Mädchen aus Robins Kurs. Ich war mir sicher, sie schonmal gesehen zu haben. Blöderweise hielt sie sich die ganze Zeit bei Robin auf und wich nicht von seiner Seite.
Sie kam mir bekannt vor, aber ich konnte sie nicht zuordnen.

An der vorletzten Stelle an der wir stehenblieben stand sie wieder bei ihm. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter an und schaute vereinzelt zu ihm hoch. Ihren Blick konnte ich nicht deuten, ebenso wenig ihre Worte die sie ihm sagte und auch seine Antworten nicht.

Das Kribbeln in meinem Magen stieg immer weiter an und ein Gefühl der Eifersucht machte sich in mir breit.
Ich kannte das Gefühl nicht. Ich war noch nie zuvor eifersüchtig gewesen wegen einem anderen Mädchen, aber irgendwie konnte ich es nicht unterdrücken.
Wenn ich wenigstens wüsste, woher ich sie kannte.

Für mich spitzte sich die Situation weiter zu, als wir gerade dabei waren, den Neapler Untergrund zu verlassen.
Die andere Schulgruppe ging vor uns und Robin ging nur wenige Schüler vor mir. Ich wollte gerade zu ihm hingehen, als dieses Mädchen auf ihn zu kam. Ihre honigblonden Haare bewegten sich sanft durch den Wind der uns vom Ausgang entgegen kam.
Als sie nach seiner Hand griff und er seine Hand mit ihr verschränkte, reichte es mir und ich blickte weg.
Mein Blick wendete sich stur dem jahrtausendalten Boden unter meinen Füßen zu.

Ich konnte das, was ich fühlte nicht zuordnen. Enttäuschung? Eifersucht? Fragen über Fragen sammelten sich in mir.
Wer war sie? Was wollte sie von ihm? In welchem Verhältnis standen die beiden zueinander? Und woher kam sie mir bekannt vor?

Als wir wieder draußen waren wechselten die Lehrer und der Guide noch ein paar Worte.
Ich stand mit Ennie und Finja wieder in einer kleinen Gruppe am Rand und wir packten die Skittles wieder aus, aber mir war jeglicher Hunger vergangen.

Am Rand meines Blickfeldes stand Robin und neben ihm das Mädchen mit den honigblonden Haaren. Sie hatte ihren Arm um ihn gelegt und er hatte seinen Arm auf ihrer Schulter gestützt.
Aber irgendwie konnte ich meinen Blick nicht abwenden und ich beobachtete die beiden durchgehend. Sie schienen das eine Zeit lang nicht zu bemerken. Robin schaute kein einziges Mal zu mir hinüber und sie hatte sowieso nur Augen für ihn.
Dann gab sie ihm einen Kuss auf die Wange und anschließend drehte sie sich ein kleines Stückchen in meine Richtung und schaute mich an. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie mich direkt ansah.
Sie lächelte und ging sich durch die Haare, dann wendete sie sich wieder Robin zu.

Das war der Punkt an dem es für mich zu viel war und ich doch wieder wegschaute.
Empfand er doch nichts für mich? Hatte er mich gestern angelogen? Was war ich für ihn? Spielte er nur?
In meinem Kopf bildete sich ein riesiges Chaos und ich merkte, dass ich drohte daran zu zerbrechen. Es war mir gerade einfach zu viel.

Glücklicherweise lösten sich genau zu diesem Zeitpunkt die Lehrergruppen auf und Frau Jehner teilte uns mit, dass wir nun Freizeit hatten.
Finja riss mich aus meinen Gedanken und ich richtete meinen Blick weg vom Boden hoch zu ihr.
„Wollen wir zu den Jungs? Vielleicht haben die jetzt ja auch Zeit.“

Ich schüttelte den Kopf.
„Können wir bitte einfach ins Hotel, wir müssen doch sowieso das Referat vorbereiten.“

„Was ist los?“
Ennie schaute sichtlich verwundert.
Ich nickte mit meinem Kopf in Richtung von Robin. Wenn ich gesagt hätte, dass der Anblick nicht weh tat, wäre das gelogen. Und auch das Kribbeln in meiner Magengegend verstärkte sich mit jedem Moment, in dem ich die beiden sah.
Ennie und Finja schauten zu ihm rüber und verstanden mich sofort.
„Alles gut, dann ab ins Hotel.“

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