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Unverhohlen starrte er mir direkt ins Gesicht.
Mein Stolz ließ es nicht zu, den Blick abzuwenden und ihn im Glauben zu lassen, er verfüge über Macht über mich. Denn genau das würde ich indirekt damit bewirken.
Inständig hoffte ich, er würde endlich seinen durchbohrenden Blick von mir abwenden.

Doch die erhoffte Wendung blieb aus.
Er hatte mich in unserem Kurs zum Darstellendem Spiel doch schon die ganze Zeit begafft, in den Momenten, als unser Lehrer genau in meiner Flucht stand und er glaubte, ich bekäme es nicht mit. Dabei hatte er sich gewaltig geschnitten.
Mehr als dreimal fing ich seinen Blick auf, woraufhin er sich rasch seinem Kumpanen zudrehte.

Hatte er denn nicht genug?

Hinter mir drängten die anderen Nutzer des öffentlichen Verkehrsmittels mich zum Weitergehen, weshalb ich betont langsam und erhobenen Hauptes meinen Gang fortsetzte und er schließlich widerwillig seine Blickrichtung änderte.

Tief durchatmend griff ich nach der erstbesten Haltestange, um an Sicherheit zu gewinnen. Zusätzlich aber auch, weil ich ansonsten im Strom der Menschenmassen aus dem Bus heraus geschwemmt worden wäre.

Mit der freien Hand stöpselte ich mir meine winzig kleinen Kopfhörer ein und startete das erste Lied, Going Home von The Score.
Sofort entspannten meine verkrampften Muskeln sich und ich begann mich sachte im Takt der Musik mitzubewegen, was bei der holprigen Busfahrt überhaupt nicht auffiel.

Möglichst unauffällig versuchte ich mir einen Überblick von meinem Umfeld zu verschaffen, als ich das ungeliebte Augenpaar zum wiederholten Mal wahrnahm, auf mich geheftet, wo auch sonst.
Dieser Junge war eine einzige Katastrophe unserer Generation.

Ein nach vorn gerrecktes Kinn, dazu ein erhobener Kopf, eventuell noch ein unechtes Lächeln: Das ist meist ein Signal für Arroganz.

Und somit die meines auserkorenen Spielpartners maßgeschneiderte Definition.

Er war so arrogant, dass es keine Worte gab, die auch nur annähernd sein selbstgefälliges Wesen deskribieren konnten.

Mich persönlich störte seine kokette Art nie wirklich, viel mehr tat er mir leid, weil es für mich irgendwie von eingeschränkter und eindimensionaler Sicht zeugte.
Und zum Glück war ich nicht dazu gezwungen, ihm täglich in seine verzogene Visage zu blicken, der Klassenaufteilung sei Dank.

Mit dem neuen Schuljahr begann sich mein Leben in ein einziges Drama zuverstricken, genaugenommen seit dem Zeitpunkt, in dem wir uns als aus allen Parallelklassen zusammengewürfelter Kurs zusammen fanden und ich das erste Mal mit ihm aneinander geriet, wortwörtlich.

Beim Betreten des Raums schob er sich abschätzig an mir vorbei, als sei er eine wichtige Persönlichkeit.
Seit diesem Zeitpunkt befand er sich in der Schublade mit Aufschrift Personen, mit denen du nie zu tun haben willst wieder. Mit jedem Atemzug erhöhte er die Wahrscheinlichkeit, nie wieder aus dieser Schublade heraus zu kommen; stellte eine neue Maxime für die Eigenschaften der Personen auf, die in besagte Schublade einsortiert wurden.
Somit hätte ich letzendlich lieber mit meinen Erzfeinden eine Gruppenarbeit bewältigt, als ihn auch nur anzusehen.

Statt meiner Erzfeinde fiel die Wahl des Lehrers auf niemand geringeren als ihn, Nase. Hochnäsig wie niemand anderes auf der Welt und Verwalter des wohl einfallslosesten, zutreffensten Spitznamen der Geschichte, zu den meine beiden besten Freundinnen und ich ihn gekührt hatten.
Spitznamen, manchmal in der Funktion von Scherz- oder Spottnamen, wofür Nase das perfekte Paradebeispiel war; oder auch als Ehrenname fungierend, wie es bei einem in vielerlei Hinsicht auffälligeren Jungen der Fall war.

Der Bus kam unvorhersehbar zum Stehen, nur die Sitzplätze blieben an Ort und Stelle, alles andere wanderte mindestens dreißig Centimeter in Fahrtrichtung.

Ich spürte einen Ruck dicht hinter mir, den ich nicht recht einzuschätzen vermochte und ein verlegenes Räuspern, das ich selbst durch meine Kopfhörer hinweg wahrnahm, trat an den Platz der überraschenden Ereignisse.
Ich sollte mehr von meinem Umfeld mitbekommen, anstatt immerzu wie Dornröschen wegzudösen und vor mich hin zu träumen.

In einer Drehung um meine eigene Achse, die Haltestange nicht loslassend, nahm ich einen Hörer heraus und sah in die tiefblauen Augen des Jungen, der mich zuvor angerempelt hatte. Und der all das war, wovon Nase nur träumen konnte.

"Entschuldigung."
Eine tiefe leise angenehme Stimme.


Sie waren wie Tag und Nacht.
Abwechslung und Eintönigkeit.
Einfühlsamkeit und Egoismus.
Ein Anblick von Wärme und Kälte.

Erst das erneute Drängeln und Schieben um mich herum erinnerte mich daran, eigentlich aussteigen zu müssen, weshalb ich die Initiative ergriff und mir einen Weg aus dem Chaos bahnte. Dabei war ich mir ganz sicher, sich in meinen Rücken bohrende Blicke zu spüren.

Ich schüttelte nur leicht den Kopf und verwarf benannten Gedanken schnell wieder. Das aktuelle Lied änderte ich mit einem Wisch über das Smartphone, hing den Gedanken an die spielende Band nach.

Die beiden Jungen verbannte ich aus meinem Kopf. Morgen war schließlich auch noch ein Tag, um mein Gehirn mit Gedanken an maskuline Wesen zu vernebeln.

Perfektes DramaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt