16. Mondrunen

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Kapitel 16 - Mondrunen

Lillys Sicht

„Autsch", klagte ich, als Óin mir meinen Verband abwickelte um die Wunde zu begutachten.
„Tut mir leid, meine Liebe, aber wenn ich den Verband nicht täglich wechsle, könnte es zu einer Entzündung kommen. Herr Elrond hat das Gift des Pfeiles schon größtenteils aus Eurem Körper entfernt, doch ist es immer noch in Euch vorhanden", meinte der alte Zwerg und zog mit einem kräftigen Ruck das Tuch ab, das genau auf der Wunde lag. Ein leises Keuchen entfuhr mir und nun konnte ich erstmals bei vollem Bewusstsein sehen, was dieser Pfeil wirklich angerichtet hatte.
„Da staunt Ihr, was?", fragte Óin nun, der ein kleines Tuch in eine klare Flüssigkeit tunkte und es auswand. „Noch ein kleines Stückchen weiter rechts und Euch hätte es nicht mehr gegeben"
Ich nickte nur und sah auf die Blutverkrustete Wunde, die an der Seite schon anfing zu heilen und Schorf zu bilden. Elrond hatte ganze Arbeit geleistet und ich war ihm zutiefst dankbar dafür.
„Das wird jetzt etwas brennen", meinte Óin plötzlich und fuhr mir ohne Vorwarnung mit dem Tuch über die Wunde um sie zu reinigen. Ich kniff die Lippen aufeinander. Es war nicht schmerzhaft, aber unangenehm, doch der Nacheffekt war angenehm entspannend.
„Geschafft", sagte Óin, nachdem er die ganze Schulter gründlich gesäubert hatte und ich atmete erleichtert auf. „Habt Ihr noch irgendwelche zurückgebliebenen Beschwerden? Eventuell taube Stellen oder Schmerzen?"
Ich schüttelte den Kopf und tastete an dem Rand der Wunde entlang. „Wie lange wird es dauern bis sich meine Schulter wieder vollends erholt hat?", fragte ich nun und musste an Frodo denken, dessen Wunde von der Morgulklinge auch relativ schnell wieder geheilt war, doch hatte er sie später immer wieder gespürt.
„Ich denke deine Schulter wird sich durch die Arznei der Elben gut erholen, doch wird es vermutlich etwas länger dauern, bis du sie wieder ohne Zwicken und mit alter Kraft, benutzen kannst. Mit solchen Wunden ist nicht zu Spaßen und sie werden einen durch das ganze Leben begleiten", erklärte Óin, der einen frischen Verband nahm und ihn um meine Schulter wickelte. Das hatte ich schon erwartet, aber trotzdem schmerzte es mich ein bisschen. Das ganze Leben daran erinnert sein, dass man einmal einen Pfeil in der Schulter hatte...einer meiner sehnlichsten Wünsche.
Nachdem Óin fertig war, entließ er mich. Ich probierte meine Schulter zu drehen, doch die Schwellung war noch zu dick und obwohl die Schmerzen nachgelassen hatten spürte ich hin und wieder ein unangenehmes Zwicken. Frustriert stampfte ich mit dem Fuß. Ich hatte nicht die Geduld mich mit dieser Verletzung auseinanderzusetzen.
„Unsere Angelegenheiten gehen die Elben nichts an", hörte ich Thorins Stimme durch die Gänge schallen. Neugierig spitzte ich die Ohren. Ich folgte dem Gang in die Richtung aus der seine Stimme gekommen war. Vorsichtig lugte ich um die Ecke und entdeckte ihn schließlich, wie er in einer abweisenden Haltung und finsterem Gesicht vor Elrond und Gandalf stand mit Balin im Rücken. Seine Hand umfasste fest die Karte des Erebors, so fest, dass ich seine Fingerknöchel schon weiß hervortreten sah. Bilbo stand neutral zwischen den beiden Parteien und schien nicht erpicht darauf zu sein, sich in den Streit miteinzumischen.
Ich pirschte mich ein wenig näher an die kleine Gruppe heran, bis ich in einer breiten Nische hinter einer großen Ecke stehen blieb, von wo ich eine ziemlich gute Sicht auf das Ganze hatte. „Meine Güte Thorin, gib Herrn Elrond die Karte", rief Gandalf aufgebracht und sichtlich entnervt. Doch ich wusste aus eigener Erfahrung wie schwer es war den starrsinnigen Zwergenprinzen zu irgendetwas zu überreden und wusste schon, dass diese Aussage nicht mit Erfolg gekrönt wurde.
„Diese Karte ist da Vermächtnis unseres Volkes. Und es ist an mir sie zu schützen, auch ihre Geheimnisse"
Genau wie ich es vorausgesagt hatte, auch Gandalf erreichte nun die Grenze seiner Toleranz. „Bewahre mich jemand vor der Sturheit der Zwerge. Ihr steht hier vor einem der wenigen in Mittelerde der diese Karte lesen kann. Euer Stolz wird einmal euer Niedergang sein", rief Gandalf nun sichtlich wütend. „Gebt ihm die Karte!"
Es schien als wäre Gandalf zu dem dogmatischen Zwerg durchgedrungen, denn obwohl sich seine Miene, soweit das überhaupt möglich war, noch mehr verfinsterte trat er einen Schritt auf Elrond zu und drückte ihm mit eisernem Blick die Karte in die Hand. Der Elb entfaltete die Karte und ging ein paar Schritte, ohne dass er von Thorin auch nur einen Moment aus den Augen gelassen wurde.
„Erebor", brachte Elrond heraus und überflog die Karte mit den Augen „Welches Interesse habt ihr an dieser Karte?"
„Es sind hauptsächlich Gedankenspiele", erklärte Gandalf schnell, bevor Thorin antworten konnte und warf ihm einen warnenden Blick zu, den selbst ein Blinder mit Krückstock nicht übersehen hätte. „Wie ihr wisst enthalten solche Karten bisweilen verborgene Texte"
Elrond antwortete ihm nicht, sondern drehte sich weg und hielt die Karte gegen das Mondlicht, das durch eines der großen Fenster schummrig in den Raum fiel. „Ihr könnt doch noch das alte Zwergisch lesen, oder?", hakte Gandalf weiter nach und sah mit einem interessierten Blick ebenfalls auf die Karte.
„Mondrunen", sagte Elrond schlicht. „Folgte mir"
Hintereinander verließen alle mein Sichtfeld und ich blieb zögern an Ort und Stelle stehen. Sollte ich es wagen ihnen hinterherzugehen? Ich schielte um die Ecke und sah nur noch Thorin dort stehen, welcher seinen Blick genau in meine Richtung gerichtet hatte. Erschrocken und nicht sicher ob der Tatsache, ob er mich entdeckt hatte oder nicht presste ich mich an die steinerne Mauer.
„Ich habe Euch gesehen"
Ich holte tief Luft und trat hervor. Beschämt, dass ich erwischt worden war trat ich unbehaglich von einem Fuß auf den Anderen.
„Wie lange steht Ihr schon da?"
„Lange genug" Kleinlaut knetete ich meine Finger und fragte mich ob er mir jetzt eine Standpauke halten wollte, dafür dass ich sie ausspioniert hatte.
Thorin öffnete den Mund, doch seine Antwort war überhaupt nicht das, was ich erwartet hatte. Viel eher klappte mir nach diesem Satz die Kinnlade ein Stockwerk tiefer.
„Auch Ihr dürft mit"
Höchst undamenhaft stand ich nun da und dachte angestrengt nach. Jetzt durfte ich auf einmal mit. Ich verstand diesen Zwerg einfach nicht. Erst stützte er mich bis hinab nach Bruchtal, dann ignorierte er mich und würdigte mich keines noch so kleinen Blickes und nun lud er mich ein, mit zu einer seiner wichtigsten Besprechungen zu kommen? Was kam als nächstes? Musste ich mich davor in Acht nehmen, dass er mit dem Schwert auf mich losging?
„Ich...", ich brach ab, schloss meinen Mund wieder und durchquerte den Raum bis ich vor ihm stand. „Woher wusstet Ihr...?"
„Die Frage war Euch deutlich ins Gesicht geschrieben" Der freundliche Ton, mit dem er sprach, verwirrte mich nur noch mehr und passte überhaupt nicht zu seinem äußerem Erscheinungsbild. Vielleicht war ich es auch nur so gewöhnt, dass er sich mir gegenüber immer unhöflich und abweisend verheilt, dass ich jede noch so kleine Freundlichkeit seinerseits sofort bemerkte.
Wir beeilten uns um den anderen hinter herzukommen, die schon ein ganzes Stück vorausgegangen waren. Sie gingen sehr schnellen Schrittes und Bilbo, Balin, Thorin und ich mussten fast rennen um mitzuhalten da Gandalf und Elrond viel größer waren und dementsprechend längere Schritte machen konnten. Jetzt wusste ich wie sich Mia immer gefühlt haben musste wenn wir früher immer etwas schneller gegangen waren. Die Arme, klein zu sein war manchmal echt nervig...nicht nur manchmal sondern immer.
Wir näherten uns einem Durchgang, welcher mit Fackeln gesäumt war. Verzierungen in verschiedenen Sprachen waren in die Wände eingraviert und das Rauschen von vielem Wasser wurde mit jedem Schritt lauter. Wir traten auf eine große Plattform, welche eine große Abrundung hatte und steil in die Tiefe abfiel. Über uns brach ein Wasserfall, welcher seine Wasser entlang der Kante hinabfallen ließ. Ich konnte sogar spüren, wie einzelne Tropfen meine Haut benetzten und eine kühle Spur hinter sich herzogen, als sie in Richtung Boden hinabliefen. Ganz am Rande stand ein Tisch aus purem Kristall, welcher von sich selbst von innen heraus zu leuchten schien.
„In diesem Fall stimmt es, Mondrunen können nur in dem Licht des Mondes gelesen werden unter dem sie geschrieben wurden. Das Schicksal scheint dir gewogen zu sein, Thorin Eichenschild, denn derselbe Mond scheint heute Nacht", erklärte uns Elrond über das laute Rauschen des Wasserfalls hinweg. Er legte die Karte komplett ausgeklappt auf den Tisch und in diesem Augenblick brach der Mond durch die Wolkendecke. Es war ein wahres Augenspektakel, als das Mondlicht den Wasserfall durchbrach und auf den kristallenen Tisch fiel, der dadurch hell aufleuchtete. Ich hielt den Atem an und betrachtete fasziniert wie sich auf der Karte allmählich hell leuchtende Zeichen bildeten.
„Vermögt Ihr sie zu lesen?", fragte Thorin und ich spürte, dass er nervös war. Er starrte wie gebannt auf die Karte.
Elrond beugte sich über sie und las uns laut vor: „Stellt euch an den grauen Stein wenn die Drossel schlägt und die untergehende Sonne ihren letzten Strahl am Durinstag hinabfallen lässt auf das Schlüsselloch"
„Durinstag?", fragte Bilbo, während Elrond die Karte wieder vom Tisch nahm und sie zusammenfaltete.
„Der erste Tag des neuen Jahres der Zwerge. Wenn der letzte Herbstmond und die erste Wintersonne zusammen am Himmel stehen", erklärte Gandalf.
„Eine schlechte Nachricht", sagte Thorin besorgt. „Der Sommer geht zur Neige, der Durinstag wird bald da sein"
„Noch haben wir Zeit. Wir müssen genau an der richtigen Stelle stehen, genau zum richtigen Zeitpunkt. Dann, und nur dann, kann die Tür geöffnet werden", stellte Balin klar.
„Dann ist das also eure Absicht, ihr wollt in den Berg hinein", hakte Elrond nach. Man sagte den Elben ja immer einen hohen Scharfsinn nach, aber das hätte sogar ich erraten können. Applaus, Applaus. Aber gerade ich sollte die Klappe halten, denn immerhin hatte er mich geheilt...fast.
„Und wenn es so wäre?", fragte ich ihn herausfordernd. „Was wollt Ihr dagegen tun"
Ich wusste selbst nicht woher meine Loyalität gegenüber den Zwergen auf einmal kam.
„Manch einer würde das nicht als Weise erachten", sagte Elrond langsam und warnend.
Thorin nahm ihm nur desinteressiert die Karte aus der Hand und steckte sie behutsam in seinen Mantel. Gandalf jedoch, verzog das Gesicht.
„Wie meint Ihr das?"
„Ihr seid nicht der Einzige der sich anschickt über Mittelerde zu wachen", erklärte Elrond warnend und rauschte an uns vorbei.
Hatte der etwa Stimmungsschwankungen?
„Das ist mir im Klaren!", sagte Gandalf leise und blickte Elrond nach. Er schien nachzudenken, denn eher sah er durch den Elb hindurch, anstatt ihn wirklich wahrzunehmen.
„Und was jetzt?", fragte Thorin und riss den Zauberer so wieder aus seiner Trance. „Er wird uns niemals gehen lassen."
„Ich weiß und deshalb werdet ihr ohne mich weiter ziehen"
„Was?", mischte sich Bilbo protestierend ein, der Gandalf Vorschlag wohl überhaupt nicht wohlgesonnen war. „Das geht nicht"
„Und ob das geht. Es wird ein Treffen des weißen Rates geben, dort werde ich sie hinhalten. Wartet im Gebirge auf mich dort werde ich dann wieder zu euch stoßen"
Thorin nickte ihm zustimmend zu. Ich erinnerte mich an diese Szene im Film und doch wurde mir mulmig bei dem Gedanken, dass Gandalf von nun an nicht mehr dabei sein würde um uns, wenn nötig, aus der Patsche zu ziehen.

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