58. Der Augenblick Auf Den Es Ankommt

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Kapitel 58 - Der Augenblick Auf Den Es Ankommt

Lillys Sicht

Wirklich, jeder kennt doch diese heroischen Heldenfilme, in denen der gutaussehende Held erst die Frau rettet und dann den Bösewicht besiegt. Und jedes Mal weiß man, dass es ein Drama geben wird, in dem der Held die letzte Hoffnung aufgibt, bevor er sich wieder fängt und der Film mit einem Happy End endet. Tja, das Drama hatten wir nun schon hinter uns, ich persönlich wäre nun bereit für den heldenhaften Sieg und das Happy End...doch irgendwie sagte mir mein Bauchgefühl, das unser Triumph, wenn wir ihn wirklich jemals haben würden, weder heldenhaft wäre, noch in einem Happy End enden würde. In den Filmen sah es immer so einfach aus, wie die gutaussehenden, muskelbepackten Hünen ihre letzte Kraft zusammenrauften und sich der Gefahr stellten. Und neben mir stand so ein gutaussehender, muskelbepackter Hüne, doch dieser schien mit seinen Kräften schon eine Ewigkeit auszuharren...und ich? Ich war mittlerweile schon so am Ende, das allein schon das Stehen zu einer Qual wurde. Schlicht und einfach gesagt, wenn ich uns zwei zerfetzte und geschunden Häufchen gegenüber dem fiesen, zähnefletschenden Ork stehen sehen würde, wäre ganz klar, auf wen ich wetten würde.
„Schaffen wir das", fragte ich zaghaft, das Zittern meine Stimme schien mit dem Beben meines Körpers im Kampf zu stehen.
Thorin sah zu mir und drückte sanft meine Hand, die er immer noch festhielt. Er nickte und leicht lächelte. Es war ein Heile-Welt-Lächeln, doch diese Situation war es nicht. Aber ich tat es ihm gleich. Setzte ein Heile-Welt-Lächeln auf, nur um nicht daran denken zu müssen, was uns unmittelbar bevorstand.
Und dann war der Augenblick des Heile-Welt-Lächelns vorbei und Thorin ließ meine Hand los. Ich sah wie seine Knöchel um den Griff seines Schwertes weiß wurden. Er war bereit. Azog sah das auch, und beide gingen aufeinander zu, hielten kurz bevor sie sich erreichten an, ehe sie die Schwerter hoben.
Mit großen Augen sah ich zu wie Stahl auf Stahl traf, doch ich sah auch mit welcher Kraft und Geschwindigkeit Azog seine Hiebe durchführte. Angriff und Verteidigung schien bei ihm wie ein fließendes Spiel zu sein, bevor er sich gewandt wieder aus Thorins Reichweite zog. Ich wusste, dass Thorin unter normalen Umständen ein begnadeter Schwertkämpfer war, und auch in diesem Moment schlug er sich wacker. Doch diese Umstände waren nicht normal. Er war verletzt, stark verletzt und kämpfte mit seinen Notreserven. Ich schauderte, als mir klar wurde, dass er mit seinen Bewegungen, denen von Azog nicht lange standhalten konnte.
Ich biss die Zähne zusammen und begann auf die Kämpfenden zuzuhumpeln. Thorin hatte sein Schwert mit beiden Händen umgriffen und ich erkannte, wie Azog mit einem triumphierenden Grinsen hinter seinem Rücken eine weitere kleine Klinge zückte.
„Thorin, pass auf!", schrie ich panisch, als Azog erst, die Klinge auf Thorin zuschleuderte, die fest an seinem Ellenbogen in sein Fleisch gestoßen worden war, bevor er mit der hinter seinem Rücken zustieß.
Thorin parierte den ersten Schlag, doch für den zweiten reagierte er zu langsam. Ich konnte sehen, wie er noch versuchte, sich außer Reichweite zu ziehen, doch die Klinge hatte ihn zwischen die Rippen getroffen.
„Oh mein Gott" Ich schlug mir die Hände vor den Mund, als er mit den Knien auf dem Boden aufschlug. Mir stiegen die Tränen in die Augen.
„Thorin?", fragte ich und humpelte auf ihn zu, mein gebrochenes Bein hinter mir durch den Schnee ziehend.
Thorin hob langsam den Kopf. Er schien benebelt, aber nicht ohne Bewusstsein zu sein. Das musste genügen. Zumindest für den Augenblick.
„Du elender Mistkerl", fauchte ich Azog an, der gelassen das Schauspiel zu genießen schien. Der weiße Ork bleckte die Zähne und kam ein paar Schritte auf mich zu, bis er direkt vor mir stand.
„Du gibst einfach nicht auf und das ist gut so", er lächelte mich breit an, beinahe schon sanft, als mich plötzlich ein unbändiger Schmerz durchzuckte.
„Lilly!", hörte ich Thorin panisch brüllen.
Meine Augen weiteten sich, vor Entsetzen oder vor Überraschung, ich wusste es nicht. Ich wurde schon oft verletzt, und es waren schlimme Wunden dabei gewesen...doch dieses Mal war es anders. Verwirrt sah ich Azog an. Seine Augen waren hämisch auf die Meinigen gerichtet und ein zufriedenes Knurren entkam seiner Kehle, als er nach unten blickte. Ich folgte seinem Blick und erkannte wie sich mein Oberteil, dort dunkelrot färbte, wo sein Schwert mir ins Fleisch gefahren war.
„Was...?" Meine Frage blieb in der Luft hängen und endete in einem schmerzhaften Aufschrei, als er das Schwert wieder herauszog.
Azog hob die rote Klinge vor sein Gesicht, während er ein grausames Lächeln aufsetzte. Er stieß mir seinen Ellenbogen vor die Brust und mit einem ekligen Knirschen kam ich auf dem gefrorenen Boden auf.
Hektisch atmend presste ich meine Hände auf die Wunde. Das Blut, mein eigenes Blut bahnte sich durch den Schnee, wie ein Bach, der seinen Weg sucht. Die bittere Ironie daran war, das die Wärme des Blutes, irgendwie angenehm war.
Ich hörte ein Knirschen und als ich aufsah, stand Azog über mir und grinste mich bösartig an, ehe er gelassen zurück zu Thorin lief, der mittlerweile wieder auf den Beinen stand.
„Bevor ich dich töte, werden wir zusehen, wie sie stirbt. Die Wunde am Bauch wird das alles schnell erledigen"
Mein Blick suchte den Thorins und die Panik in seinen Augen ließ die meinige auf Anhieb schwinden. Eine ungeheure Ruhe ergriff mich. Wir würden das jetzt beenden...ein für alle Mal! Der Versuch aufzustehen scheiterte und es ich wusste, dass ich es gar nicht erst noch einmal zu versuchen brauchte. Es würde nicht funktionieren.
Ich fixierte Thorins Gesicht fest mit meinen Augen und nickte mit dem Kopf kaum merklich nach links, auf die Seite, wo der weiße Ork, den Verlust seines Auges einbüßen musste. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe er es bemerkt hatte und ein fragender Ausdruck machte sich auf seinem besorgten Gesicht breit. Ich lächelte ihm sanft zu und zuckte leicht die Schultern, ehe ich meinen Arm fest in den Schnee drückte und meinen Oberkörper vom Boden stemmte.
„Du hast verloren", sagte ich ruhig zu Azog „Wir werden dir zusehen, wie du stirbst" Der Ork grinste hämisch. Er glaubte mir nicht...das war gut so. „Wir werden deinen Untergang miterleben"
Ich ballte meine freie Hand zur Faust, spürte, wie sich in ihr, die letzte Kraft sammelte, die ich überhaupt noch besaß und als ich sie aufmachte und in Richtung des weißen Orks lenkte, brachen aus dem Eis des Sees kleinere und größere spitze Eiszacken hervor. Alle auf der linken, blinden Seite Azogs. Er war nicht schnell genug, das konnte ich sehen, genauso wie ich sehen konnte, dass er stark erwischt wurde und auch noch, wie Thorin sein Schwert hob, doch dann klappte mir der Arm weg und die Augen zu.
Zitternd horchte ich auf den Lärm und dann ein erstickter Schrei. Schwere Schritte stapften durch den Schnee auf mich zu und dann ließ sich jemand neben mir auf die Knie fallen.
Erleichterung durchströmte mich.
„Lilly", hörte ich auch schon Thorins panische Stimme und spürte kurz darauf wie mein Kopf angehoben wurde. Flatternd öffnete ich die Augen und sah in zwei strahlend blaue Augen. Thorin hatte mich in seine Arme gehoben.
„Hast du...?", ich musste die Frage nicht aussprechen, denn Thorin verstand mich. Er nickte sanft.
„Ja mit deiner Hilfe"
„Ich bin...bin stolz auf dich" Meine Worte wurden durch mein Husten unterbrochen und ich schmeckte Blut im Mund, welches mir langsam aber sicher aus dem Mundwinkel rann.
„Lilly?" Thorin rüttelte sanft meine Schulter. „Du musst wach bleiben...ich...", er brach stotternd ab.
Meine Sicht verschwamm immer mehr, doch mir fiel auf wie viel Blut hier war. Nicht nur mein Blut. „Bist du...", ich stockte leicht. „...bist du schwer verletzt?", brachte ich schließlich schwach hervor und musterte ihn besorgt, suchte mit den Augen seine Wunden ab...zumindest die, die ich sehen konnte. Wusste ich doch, dass man seine Verletzungen nicht lichtfertig hinnehmen konnte.
„Mir geht es gut", murmelte Thorin sanft. „Mach dir um mich keine Sorgen"
„Wirklich?", ich spürte wie meine Augenlieder schwer wurden und ich merkte plötzlich, dass die Schmerzen einer drückenden Müdigkeit gewichen waren.
Thorin lächelte gequält. „Glaub mir...solange du nur deine schönen Augen...lass sie einfach offen"
Ich nickte und schluckte trocken. „Ich habe wirklich an uns geglaubt, weißt du", erstickt schluchzte ich auf. „Ich hatte gedacht wir hätten noch so viel Zeit"
„Haben wir auch", ich hörte wie Thorins Stimme zitterte. „Wir wären glücklich gewesen, wenn ich nicht-", abrupt brach er ab und begann mich sanft in seinen Armen hin und her zu wiegen. „Lilly, bitte verzeih was ich...ich war nicht-"
„Thorin", unterbrach ich ihn panisch. „Es wird alles so dunkel", zitternd krallte ich mich in seinen Arm. „Thorin ich hab Angst", brachte ich schließlich zitternd hervor und ein Schluchzen entfloh nun meiner Kehle. Ich spürte wie Thorin sanft meine verkrampfte Hand von seinem Arm löste und seinen Finger mit meinen verflocht. Ich versuchte mich auf seine strahlenden blauen Augen zu fixieren, die mich fast schon panisch musterten, während er mich immer noch beruhigend hin und her wog.
„Du brauchst keine Angst haben", murmelte Thorin und ich konnte selbst durch meinen tauben Körper spüren wie er zitterte. „Du musst nur wach bleiben...ich muss dir noch so viel sagen...sieh mich einfach an...", seine Finger fuhren fahrig durch meine Haare und streichelten meine Wange.
„Also kein Happy End", murmelte ich leise, mich fest auf seine Berührungen konzentrierend.
„Happy...was?"
„Bleibst du bei mir?", fragte ich seine Frage ignorierend und ein Schluchzen verschluckte fast den Rest meiner Worte.
Ich konnte ein Beben spüren, doch dieses Mal gehörte es nicht mir. Etwas Heißes tropfte auf meine Wange nieder.
„Bis zum Ende", flüsterte er und ich hörte wie er leise anfing zu Summen, tiefe, langsame laute, die irgendwo in mir eine Ruhe auslösten.
„Bis zum Ende", wiederholte ich seine Worte. Ich ließ die Augen zuklappen und konzentrierte mich einfach auf seine Stimme, bevor mein Bewusstsein immer mehr abdriftete.

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