26. Der Düsterwald

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Kapitel 26 - Der Düsterwald

Lillys Sicht

Als ich hinter Sam aus dem sonnigen Licht in das kühle Dunkel trat, lief ein kalter Schauer über meinen Rücken. Ich fröstelte. Wie gerne wäre ich doch drum herum gegangen...doch da musste ich nun Wahl oder Übel durch. Der Pfad war eng und schmal. Kein Sonnenlicht fiel durch das dichte Geäst der Bäume zu uns herunter. Überall an den Seiten des Weges wuchsen riesige Pilze und dichtes Gestrüpp versperrte einen weiteren Einblick in das Innere des Waldes. Es roch nach vermodertem Holz, Schimmel und feuchter Luft. Ich versuchte einfach möglichst wenig daran zu denken, was hier überall für Viecher herumkrabbeln könnten und konzertierte mich auf Sams Rücken. Schon ein paar Minuten später spürte ich wie die Luft immer schwerer und erstickender wurde. Die aufkeimende Müdigkeit machte es mir immer schwerer auf den Weg zu achten. Es war, als würde der Wald uns absichtlich manipulieren und langsamer machen. Je tiefer wir hineinkamen, desto düsterer wurde es...genauso wie unsere Stimmung. Die sank mit jedem Schritt der uns noch weiter in die Tiefen dieses Waldes brachte.
„Ich halts hier nicht mehr lange aus", murmelte ich völlig außer Atem vor mich hin, obwohl wir sicher erst ein paar Minuten gegangen waren.
„Können wir vielleicht eine Pause machen?", hörte ich nun auch Sarahs Stimme hinter mir flehen. „Bitte!"
Doch wir hielten nicht an. Wir stapften immer weiter über den weichen Waldboden und ich hatte immer mehr das Gefühl, dass wir im Kreis liefen.
„Luft, ich bekomme keine Luft mehr", fing nun auch irgendwann Bofur an zu jammern und ich teilte seinen Frust. Es ging uns allen gleich und irgendwann schallte ein Klagelied durch den ganzen Wald, das unser Kommen schon Meilenweit ankündigte. Ich versuchte einfach keine Rücksicht zu nehmen und versuchte mich durch meine schwere Atmung und die Müdigkeit nicht ablenken zu lassen. Aber das war eine beinahe unmögliche Aufgabe, denn je mehr ich es versuchte, desto mehr begann Mine Kopf zu schmerzen.
Irgendwann hielten wir und zugleich dankbar und verwirrt reckte ich den Hals um an Sam vorbeizusehen. Es war eher unwahrscheinlich, dass wir eine Pause machten. Der Grund für unsere Verzögerung war ein Fluss, oder besser gesagt, die Brücke, die über diesen Fluss führte. Diese war nämlich nur zur Hälfte intakt und war in der Mitte komplett eingestürzt.
„Lilly?", flüsterte Sarah mir leise ins Ohr. „Kannst du da nichts machen? Ich meine ja, du könntest das Wasser ja einfrieren oder so...?"
Ich zuckte mit den Schultern und sah mir den Fluss ein wenig näher an. Es war zwar schon ein bisschen mehr Wasser, als ich gewohnt war, doch der Fluss war nicht allzu tief und hatte keine Strömung. „Ein Versuch ist es auf jeden Fall wert", murmelte ich. „Aber theoretisch sollte es schon klappen"
Ich versuchte mich auf das Wasser zu konzentrieren, doch das Dröhnen in meinem Kopf schien meinen Verstand irgendwie zu lähmen. Ich versuchte nach meinen Fähigkeiten zu greifen, doch es war, als würden sie mir wie Wasser durch die Finger rinnen. Ich bekam sie nicht zu fassen... und so geschah auch nichts. Stirnrunzelnd hob ich die Hand und versuchte es noch einmal, ich konzentrierte mich so stark, dass sogar eine Schweißperle über meine Stirn rann. Aber das Resultat war das Gleiche. Irritiert starrte ich auf meine Hände, was war da los? Als ich wieder aufsah begegnete ich Thorins Blick. Die Eisblauen Augen bohrten sich in die meinen, er hatte es bemerkt. Seufzend rieb ich mir über die Schläfe, irgendeinen dummen Kommentar erwartend, doch alles was kam war:
„Was ist los?"
Perplex starrte ich ihn an, bevor ich völlig verwirrt mit den Schultern zuckte. Die komplette Situation überforderte mich im Moment. „Ich weiß nicht – der Wald...mein Kopf. Er dröhnt und irgendwie...sie sind weg!" Meine Stimme zitterte ein bisschen, als mich diese Erkenntnis wie ein Schlag traf.
Thorin sah mich ruhig an. „Versuch es noch einmal"
Ich nickte langsam und versuchte das Dröhnen in meinem Kopf zu ignorieren, bevor ich einmal schnipste. Doch anstatt dass eine Flamme auf meiner Fingerspitze erschien, fing sie nur kläglich an zu rauchen.
„Ich...ich kann mir das nicht erklären", hauchte ich frustriert und schüttelte ahnungslos den Kopf. Es fühlte sich schon fast so an, als wäre ein Teil von mir nicht mehr vorhanden.
„Könnten wir nicht hinüberschwimmen?", fragte nun Óin und lenkte mich von meinem Problem ab, während er sich das Wasser des Flusses genauer besah.
„Nein", wiedersprach Balin scharf. „Das ist ein verzauberter Fluss, auf seinem Wasser, wie auf dem ganzen Wald liegt ein mächtiger Zauber. Das Wasser ist verwunschen"
„Also ich hab grad keinen Wunsch", meinte Sam mit gleichgültiger Miene, der sich auf die Wurzel eines großen Baumes gesetzt hatte.
„Nicht mal was leckeres zu essen?", fragte Mia mit einem Grinsen und Sam streckte ihr die Zunge heraus.
„Diese Äste sehen stak genug aus", meinte Fíli. Er stand an einem dichten Lianengeäst, das auf die andere Seite über den Fluss hinüber führte, aber nicht sehr stabil aussah. Fíli setzte einen Fuß auf eine dicke Liane und machte Anstalten hinüber zu klettern, doch Thorin hielt ihn zurück.
„Wir schicken den leichtesten voraus", erklärte er und alle sahen sofort zu Bilbo, Sarah und mir.
„Nur weil wir klein sind, oder was?", murrte ich missmutig und stemmte die Arme in die Seite.
„Pech gehabt", frotzelte Sam hinter mir und ich machte mir gar nicht erst die Mühe ihm einen Killerblick zuzuwerfen.
„Also" Thorin baute sich vor uns dreien auf und ließ seinen Blick über uns gleiten. „Wer von euch will als erster?"
Nicht sonderlich erpicht darauf das Versuchskaninchen zu sein und über ein paar instabile Lianen zu klettern verschränkte ich nur missmutig die Arme und schüttelte leicht den Kopf. Auch die anderen sahen nicht sehr begeistert aus. Sarah warf Kíli einen hilfesuchenden Blick zu und da stand der junge Zwerg auch schon neben ihr. Er legte ihr schützend den Arm um die Schultern und sah seinen Onkel trotzig an, ehe er sie mit sich zog. Thorin schüttelte nur den Kopf, während er über seinen Neffen seufzte doch ich war mehr als nur neidisch. Ich wollte auch einen Kíli, der mich aus der Schusslinie zog...aber ich hatte nun mal keinen.
Ich wechselte einen kurzen Blick mit Bilbo, ehe ich ergeben seufzte. „Ich mach schon"
„Ist das wirklich eine so gute Idee?", fragte Mia mit einer etwas nervösen Stimme.
Ich nickte still und ignorierte sie. „Aber damals im Sportunterricht hast du nicht einmal die erste Etappe im Klettern geschafft", rief Sam mir laut zu und ich sah wie Thorin die Stirn runzelte und mich anstarrte.
„Am besten bist du jetzt ruhig", sagte ich mit einer süßlichen Stimme und sah ihn sauer an. „Ich werde es schon schaffen über ein paar kleine Äste zu klettern"
Thorin starrte mich weiter an. Er schien nicht sehr begeistert zu sein und setzte an um etwas zu sagen, doch ich unterbrach ihn. „Irgendjemand muss es doch tun, oder?", fragte ich harscher als beabsichtigt. „Und sieh es einmal so, wenn es nicht funktioniert, dann gehen wir uns gegenseitig nicht mehr auf die Nerven"
Ich grinste ihn an und erwartete wieder eine Diskussion losgetreten zu haben, doch Thorin schwieg und sah mich ernst an. Verwirrt runzelte ich nun meinerseits die Stirn. Er war irgendwie anders als sonst. Kopfschüttelnd ging ich zu den Lianen und stieß sie sachte an. Das knarzen von vertrockneten Ästen löste eine Kettenreaktion aus und das ganze ineinander verflochtene Gebilde schien zu wackeln.
„Warum...warum kann es nicht ein einziges Mal einfach sein?" Ich raufte mir entgeistert die Haare. „Ach ja genau", ich machte eine sarkastische-dramatische Pause und setzte mit einem mulmigen Gefühl meinen Fuß auf einen der dickeren Äste. „Wo wäre dann der Spaß?" Ich hob nun auch den zweiten Fuß von dem sicheren Waldboden und balancierte mein Gewicht aus. Konzentriert tastete ich mich durch das verworrene Geäst vorwärts, während ich versuchte mich nicht von der Tatsache ablenken zu lassen, dass unter mir ein verwunschener Fluss war. Ich richtete deswegen meinen Blick einfach auf das rettende Ufer und versuchte so wenig wie möglich nach unten zu sehen. Leichter gesagt als getan. An manchen Stellen war es so rutschig, dass ich um Haaresbreite von der Liane gestürzt wäre.
Einmal, an einer sehr kniffligen Stelle, brach der Ast, auf dem ich stand, unter mir weg. Ich hatte nicht einmal die Zeit zu realisieren, was gerade passiert, als auch schon eine Hand von hinten kam und mich am Schlawittchen packte. Erschrocken drehte ich mich um und traf auf ein paar eisblaue Augen, welche ich nicht um alles in der Welt hier erwartet hätte. Thorin stand direkt hinter mir und starrte mich grimmig an. War er etwa schon die ganze Zeit hinter mir gewesen? Verwirrt erkannte ich einen Hauch Besorgnis auf seinem Gesicht, der aber so schnell verschwand, wie er gekommen war. „Pass auf", sagte er und seine Augen glitzerten. Völlig konfus nickte ich und er ließ mich behutsam wieder los. Komplett durcheinander drehte ich mich wieder um und tastete meinen Weg, wie auf glühenden Kohlen, zurück. Zum Glück war es nicht mehr weit und nach ein paar Sekunden sprang ich glücklich auf den festen Waldboden. Thorin kam neben mir auf und ich zog fragend eine Augenbraue nach oben.
„Warum bist du die ganze Zeit hinter mir gewesen?" Diese Frage beschäftigte mich tatsächlich, da er davor ja ausdrücklich verlangt hatte, dass einer von den leichtesten sich den Weg als erstes hinüberbahnen sollte. „Hast du etwa geglaubt ich schaffe es nicht alleine?" Ich sah direkt in die stahlblauen Augen und ließ zu, dass sie sich in die meinen bohrten. „Oder hast du etwa gedacht, dass ich kneifen würde?"
Thorins Gesicht zeigte keine Regung, als er den Kopf schüttelte. „Nein", erwiderte er gedehnt. „Ich wollte sicherstellen, dass du heil auf der anderen Seite ankommst"
„Also doch, du hast mir nicht vertraut" Verbittert kniff ich die Lippen aufeinander.
„Nein", wiederholte Thorin und drehte mir den Rücken zu, um seinen Leuten das Zeichen zu geben, dass sie nun auch hinüber kommen sollten.
Verdattert blieb ich dort stehen wo ich war. Ich verstand diesen Zwerg einfach nicht. Die einzige logische Erklärung, die mein Hirn mir geben konnte, war dass er endlich anfing mit mir klar zu kommen. Doch bei so viel Abneigung wie er mir sonst immer entgegen brachte schien das schwer vorstellbar zu sein. Stöhnend rieb ich mir die Schläfen und versuchte das Dröhnen in meinem Kopf irgendwie zu verringern. Dieser Wald würde mich irgendwann noch um den Verstand bringen. So viel war sicher.
ließ mich auf einer großen Baumwurzel nieder und beobachtete wie die anderen sich abmühten und über die Lianen kletterten, als plötzlich ein lautes Platschen ertönte. Schallendes Gelächter ertönte und nun erkannte ich auch den Grund dafür. Bombur lag rundum zufrieden und schlafen in der Mitte des seichten Flusses und schnarchte friedlich vor sich hin. Mia und Sam, die hinter ihm auf einer Liane standen schienen das furchtbar witzig zu finden, denn sie hatten Schwierigkeiten das Gleichgewicht zu halten und bei Elben sollte das schon etwas heißen.
„Seid ruhig", herrschte Dwalin sie an und hievte Bombur zurück auf eine breite Liane. Dazu musste er all seine Kraft aufwenden, denn wie jeder wusste war Bombur nicht der leichteste Zwerg.
Wir verloren sehr viel Zeit, in der wir den Zwerg erst einmal auf festen Boden bringen mussten. Alles wertvolle Zeit, die wir für unseren weiteren Weg gebraucht hätten und in der der Wald unseren Verstand noch mehr vernebeln konnten. Als wir für Bombur dann endlich auch noch eine Trage gebaut hatten – denn irgendwie mussten wir den Zwerg ja auch noch transportieren – hatte ich das Zeitgefühl endgültig verloren. Ich konnte nicht sagen wie lange wir schon in diesem Wald waren oder welche Stunde wir hatten...es war, als würden wir hier schon eine Ewigkeit sein.
Es werden Träger bestimmt, die Bomburs Last für einen Teil des Weges transporteiern mussten, bevor sie abgelöst wurden. Er musste immer von vier Zwergen gestemmt werden, denn Bomburs Gewicht war zu viel für zwei. Wir Mädels hatten es dabei gut, denn für uns war er, auch wenn drei andere mithalfen, einfach eine zu schwere Last.
„Wie kann man nur so verdammt fett sein?", keuchte Sam unter Bomburs Gewicht.
„Indem man so viel isst wie du" Ich zwinkerte ihm zuckersüß zu und ließ weiter vor sich hinmurren.

(2 018 Wörter)

Eine Reise Zum Erebor Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt