24. Unser Gastgeber

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Kapitel 24 - Unser Gastgeber

Lillys Pov

Ich wachte auf weil mich irgendetwas an der Nase kitzelte. Verschlafen öffnete ich die Augen und bemerkte, dass es ein Strohhalm war, der mir ins Gesicht gerutscht war. Na toll, wahrscheinlich hatte ich ein Vogelnest auf dem Kopf, mit Heu verfilzten Haaren. Dennoch, so gut hatte ich seit Wochen nicht mehr geschlafen. Es war über Nacht ausnahmsweise warm und nicht kalt gewesen und ich wurde auch nicht mitten in der Nacht von irgendwelchem Krabbelvieh geweckt, das mir in den Nacken krabbelte. Ich streckte mich und ließ meinen Blick im Raum umherschweifen. Es sah so aus, als würden alle noch schlafen, wahrscheinlich genossen alle einmal das warme Plätzchen, ohne die ganze Zeit Angst zu haben, dass ein Ork uns im Schlaf den Kopf abschlagen könnte.
Ich stand so leise es ging auf und schlich, darauf bedacht niemanden zu wecken, hinüber zum Fenster. Der morgendliche Garten lag friedlich da und jetzt war er sogar noch schöner, als gestern. Sanfte Morgenstrahlen ließen ihr Licht durch die Baumkronen ein paar kräftiger Eichen fallen und die Wiese in einem satten Grün aufleuchten. Schnell kletterte ich – ziemlich ungeschickt – durch das Fenster hinaus und drehte eine Runde. Weiter hinten, vor dem offenen Tor, rannten Pferde über die großen Weiden, die sich dort erstreckten. Gerade als ich misstrauisch die Stirn runzelte, weil wir das Tor ja gestern eigentlich verschlossen hatten, fiel mein Blick auf einen riesigen Mann. Er stand mit dem Rücken zu mir uns hatte eine ebenso riesige Axt in seinen Händen, mit der er die Holzscheite zerkleinerte. War das etwa Beorn? Das war für mich die einzig mögliche Schlussfolgerung, denn wer war bitte so riesig und hackte Holz in einem fremden Garten? Bis jetzt hatte der Riese mich noch nicht bemerkt und ich hatte auch nicht vor auf mich aufmerksam zu machen, denn diese Axt, die er in seinen Händen hielt machte gehörig Eindruck auf mich. Ich holte tief Luft und versuchte noch leiser, als ich gekommen war wieder rückwärts ins Haus zu schleichen. Sobald ich durchs Fenstern geklettert war ließ ich meinen Blick auf der Suche nach Gandalf hektisch durchs Zimmer gleiten, da ich nicht gleich alle wecken wollte. Ich entdeckte ihn auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes. War ja klar. Wie bei einem Hindernislauf sprang ich über die Arme und Beine der Zwerge, die sich kreuz und quer in dem kleinen Raum verteilt hatten. Als ich endlich bei Gandalf angelangt war ohne einen meiner Gefährten zu Matsch zu trampeln, konnte ich mir nur knapp einen erschrockenen Aufschrei verkneifen. Auch wenn ich diesen Anblick kannte war ich nicht darauf vorbereitet gewesen. Gandalf hatte seinen Augen sperrangelweit offen und starrte regungslos an die Decke. Nun konnte ich deutlich mit Pippin mitfühlen, der ebenfalls einen Riesenschrecken bekommen hatte, als er Gandalf den Palantir gestohlen hatte. Das fand zwar erst gut sechzig Jahre später in 'Der Herr der Ringe' statt, aber so wie es aussah, änderten sich manche Dinge nie. Als ich mich wieder erholt hatte beugte ich mich zu dem Zauberer hinunter und versuchte ihm möglichst nicht in das Gesicht zu schauen, als ich ihn an der Schulter rüttelte. Gandalf wachte nicht auf, alles was passiert war, dass er einen grunzenden Schnarchlaut von sich gab und seelenruhig weiterschlief. Ich rüttelte noch einmal an seiner Schulter, dieses Mal fester, doch wieder passierte nichts. Leise vor mich hin fluchend ließ ich meinen Blick abermals durch den Raum wandern. Mit irgendetwas musste dieser störrische Zauberer doch wachzukriegen sein. Ich entdeckte einen Krug, nicht unweit von mir auf dem Boden stehend. So wie es aussah musste ich auf eine altbekannte Methode zurückgreifen. Ich hechtete auf den Krug zu, hatte aber zu spät nachgesehen wo ich hinlief und war schwungvoll über ein Bein eines Zwerges gestolpert. Ich knallte hart auf dem Boden auf und verfluchte mich selbst. Ich wusste nicht wie oft ich seit dieser Reise schon auf dem Hosenboden gelandet war und nun lag ich bäuchlings auf irgendwelchen Beinen von irgendeinem Zwerg. Ich hatte mir nichts getan, nicht einmal eine Schürfwunde geholt, doch der Aufprall hatte es trotzdem in sich gehabt.
„Hast du dich verirrt?", fragte mich plötzlich eine sehr bekannte Stimme. Ich schnellte herum und sah Thorin der mich belustigt anstarrte „Was machst du denn da?"
Warum? Warum brachte ich mich wirklich immer in solche Situationen? Ich biss mir auf die Lippe und zwang mich selbst ihm ins Gesicht zu sehen. „Ich wollte gerade Gandalf wecken, den habe ich aber nicht wachbekommen und hab's dann halt bei dir probiert" Zerknirscht zog ich eine Grimasse.
„In dem du mir auf die Füße fällst?", hakte er nach und zog verschmitzt eine Augenbraue nach oben.
Perplex aufgrund seiner ungewohnten Reaktion starrte ich ihn erst einmal verdattert an, bevor ich mich zu einer Antwort durchhingen konnte. „Uhm...ja...ich habe meine eigenen Methoden"
Gleich darauf hätte ich den Kopf gegen den Boden stoßen können, bescheuerter ging's ja wohl nicht, doch Thorins Gesichtsausdruck veränderte sich nicht als er mit einem merkwürdigem glitzern in den Augen fragte: „Warum wolltest du uns denn wecken?"
„Unser Gastgeber ist wach", sagte ich tonlos und nickte mit dem Kopf zum Fenster. „Er ist da draußen und hackt Holz"
„Dann sollten wir auch die anderen wecken", sagte Thorin und ich nickte zustimmend, als ich bemerkte, wie er mich komisch ansah.
„Was?", fragte ich auf seinen Blick hin und er zog die Augenbraue nach oben.
„Das würde vielleicht besser funktionieren, wenn du von meinen Beinen runter gehen würdest", erklärte er und deutete an sich hinunter.
Ich gab nur ein dünnes „Mhm" von mir, bevor ich hastig aufstand. Wo zum Teufel hatte ich meinen Verstand gelassen. Thorin erhob sich nun ebenfalls und während ich mir den Dreck von der Kleidung klopfte ging Thorin zu Gandalf hinüber um ihn aufzuwecken. Grinsend sah ich zu, das würde lustig werden, denn den Zauberer bekam man nicht so einfach wach...dachte ich mir zumindest, als mir im nächsten Augenblick auch schon die Kinnlade hinunterklappte. Thorin hatte ihn kaum an der Schulter berührt, als der Zauberer auch schon aufgewacht war. Sie wechselten ein paar kurze Worte miteinander, ehe sich Gandalf erhob.
„Na na, Lilly. Den Mund so weit offen stehen zu lassen ist nicht hübsch", sagte Gandalf mit einem Zwinkern, während er an mir vorbei schritt. Verärgert klappte ich den Mund zu und half mit die anderen aufzuwecken.
„Mal wieder am Dampfen, Lil?", meinte Mia und stand mit einem lauten Gähnen auf.
„Nein", erwiderte ich mürrisch und rüttelte Sam an der Schulter, der einen spaltbreit die Augen öffnete und dann beschloss, dass er keine Lust hatte aufzustehen. „Ich hab nur das Talent in jedes Fettnäpfchen hineinzutreten"
Mia sah mich verständnislos an und unterdrückte noch ein Gähnen. „Könntest du dir diese Geschichte bitte für später aufheben?", fragte sie und rieb sich müde die Augen. „Jetzt ist es noch zu früh am Morgen um mich mit deinen kleinen Problemchen herumzuschlagen"
Ich warf ihr einen giftigen Blick zu und rüttelte noch einmal an Sams Schulter um ihn endlich zum Aufstehen zu bewegen.
„Ich glaub der steht dir so nicht auf.", bemerkte Mia und sah auf den schlafenden Elben hinunter, der meine kläglichen Versuche ihn aufzuwecken einfach stur ignorierte.
„Du hast recht" Ich hatte zu wenig Geduld dafür. So marschierte ich kurz entschlossen zu dem Wasserkrug packte ihn mit beiden Händen und kippte ihn über Sams Kopf um. Prustend und spuckend riss er die Augen auf und sah mich ärgerlich an. „Was sollte das jetzt?", rief er aufbrausend und wischte sich mit einem Ärmel das Wasser aus dem Gesicht.
„Ich würde sagen, dass sie dich aufgeweckt hat", prustete Mia und hatte Mühe sich vor Lachen auf den Beinen zu halten.
„Du hast echt ne' Macke", fauchte Sam erzürnt und warnt den Zipfel seines Oberteils aus
„Ach Quatsch", ich zog frech eine Augenbraue nach oben. „Ich habe keine Macken, das sind Special-Effekts"
„Tja Sam, diese Runde geht an sie", mischte sich Mia ein und zwinkerte mir Gutmütig zu.
Ich folgte ihr zu der Gruppe, die schon heftig am Diskutieren war.
„Ich sage wir verkrümeln uns, heimlich, still und leise", meinte Nori und sah die anderen Zwerge, die nun endlich alle wach, oder zumindest mal körperlich anwesend waren, auffordernd an.
Gandalf trat jedoch bestimmt dazwischen. „Nein, ohne Beorns Hilfe kommen wir nicht durch das Wilderland. Man würde uns zur Strecke bringen, ehe wir den Wald erreichen", widersprach er ihm mit blitzenden Augen, ehe er die Stirn graus zog. „Dies erfordert ein gewisses Geschick, wir müssen sehr behutsam vorgehen.", murmelte er nachdenklich vor sich hin. „Die letzte Person die ihn aufgeschreckt hat wurde in Stücke gerissen"
„Na das klingt zur Abwechslung mal spaßig", murrte Sam schlecht gelaunt. „Warum könnten wir zur Abwechslung nicht mal in dem Haus des rosaroten Marschmallows landen?"
„Sag mal, wovon träumst du eigentlich nachts?", fragte Mia kopfschüttelnd und sah ihn prüfend an.
„Üah, das will ich eigentlich gar nicht wissen", ging ich dazwischen und Sam zog eine Grimasse, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder stur Gandalf zuwandte. Tja ich schätze, heute sollte ich mich lieber von ihm fernhalten.
„Ich werde vorrausgehen und Bilbo, du kommst mit mir", erklärte Gandalf und deutete erst auf sich und dann auf den Hobbit, der gar nicht so glücklich aussah.
„Ist das eine gute Idee?" Vermutlich wäre er diesem großen Mann lieber aus dem Weg gegangen.
Für Gandalf stand das anscheinen gar nicht zur Diskussion, denn er begann uns anderen Anweisungen zu geben. „Ihr übrigen wartet hier und kommt erst heraus wenn ich ein Zeichen gebe. Kommt immer nur paarweise und bedrängt ihn nicht", sagte er nachdrücklich und wandte sich zum Gehen, als ihm noch etwas einfiel. „Ach und Bombur, du zählst als zwei, du kommst ganz zum Schluss und alleine" Der breite Zwerg nickte verstehend und biss in eine Karotte, während Gandalf mit Bilbo durch die Tür hinaus verschwand.
Ich sah aus dem großen Fenster und folgte den beiden mit den Augen, wie sie sich Beorn näherten.
„Um wie viel wetten wir, dass das nicht so klappt wie Gandalf es voraussieht?", fragte ich meine Freunde die zustimmende Laute von sich gaben, als uns auch schon Bofurs aufgeregte Rufe unterbrachen.
„Das Zeichen, das Zeichen", rief er aus dem Fenster hinaus auf Gandalf und Bilbo deutend. Ich tauschte einen verwirrten Blick mit Mia. Das konnte doch noch gar nicht sein, es war kaum eine Minute vergangen seit dem die Beiden aus der Tür geschritten waren. Immerhin war er so schlau und hatte nicht herumgeschrien.
„Nein", zischte ich ihnen leise zu. „Das ist zu früh" Doch es war zu spät. Balin und Dwalin waren schon vor die Tür getreten. Ich schlug mir die Hand gegen die Stirn. Warum hatten sie nicht auf mich gehört? Ich wollte mich gerade Bofur zuwenden, als er auch schon die nächsten beiden nach draußen schickte.
„Hör auf" Nun mischte sich auch Mia ein. „Man sieht doch dass wir Gandalf völlig in die Quere kommen"
„Meinst du?", fragte er mich mit runden Augen und setzte eine leicht betröppelte Miene auf, die mich innerlich laut aufseufzen ließ.
„Um Himmels willen, Ja!", schrie ich fast. „Schau dir doch mal Beorns Miene an. Der ist überhaupt nicht begeistert von uns"
„Das finde ich nicht", Glóins Stimme drang hinter mir hervor und als ich mich umdrehte, lag sein vernichtender Blick auf mir. „Lass dich nicht unterbrechen Bofur, es ist alles unter Kontrolle"
„Nein, ist es nicht", widersprach ich ihm und stampfte leicht mit dem Fuß auf. „Sieh doch selbst hin" Ich machte eine ausladende Geste zum Fenster, wo man das Gespräch Gandalfs mit Beorn mit den Augen mitverfolgen konnte.
„Das sieht für mich nicht eindeutig aus" Glóin verengte gehässig die Augen. „Es stimmt alles so wie es ist, am besten mischst du dich nicht ein"
Jetzt ging das schon wieder los. „Ich werde mich genauso einmischen, wie du es tust", fauchte ich wütend. „Und dieses Mal habe ich schlichtweg recht"
„Das Zeichen", rief Bofur erneut und wollte die nächsten beiden vor die Tür schicken doch ich schüttelte den Kopf und versperrte ihnen den Weg.
„Ihr könnt hier nicht raus", sagte ich und sah Kíli und Fíli bittend an, welche einen kurzen Blick wechselten, doch Glóin packte mich am Arm und zog mich zur Seite, bevor er den beiden einen kurzen Wink gab. Die Brüder sahen beide mehr als nur verwirrt aus, bevor sie schließlich zögernd vor die Tür traten.
„Lass mich los", sagte ich scharf und sah den Zwerg zornig an, der mit seiner Hand noch immer meinen Oberarm umgriffen hatte.
Glóin fletschte die Zähne, als uns plötzlich jemand grob trennte. „Lasst euch gegenseitig in Ruhe", sagte Thorin streng. „So langsam verliere ich die Geduld"
Ich schnaubte nur und ließ Glóin nicht aus den Augen, der seinerseits den Kopf in den Nacken warf, Óin am Arm packte und nach draußen stolzierte.
Ich funkelte Thorin wütend an, der jedoch immer noch eine strenge Miene aufgesetzt hatte. „Es wäre jetzt sehr unangebracht die Kontrolle zu verlieren", sagte er warnend und deutete auf meine Hände. Ich zog die Augenbrauen hoch und erkannte, dass sie rot und heiß waren. Ich schluckte heftig. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich kurz vor...ich hatte es schlichtweg nicht bemerkt. Anscheinend war ich automatisch in einen Aggresiven Verteidigungszustand übergewechselt, sobald der Zwerg mich angefasst hatte. Beunruhigt versuchte ich meinen Schrecken zu verbergen, doch ein Blick in Thorins Gesicht sagte mir, dass er es bereits wusste. Ich öffnete langsam meine Hände und sah zu, wie sie abkühlten und schließlich wieder ihre normale Farbe annahmen.
„Ich muss dir wohl nicht zu Vorsicht raten, oder" Thorins blaue Augen durchbohrten mich und ich schüttelte den Kopf. Ich musste mich echt in Selbstdisziplin üben.
„Wir sind dran" Verwirrt sah ich auf. Thorin stand an der Tür und überrascht stellte ich fest, dass wir die letzten waren, die noch in dem Haus standen. Selbst Bofur stand nicht mehr an seinem Platz am Fenster.
„Na dann", murmelte ich und trat hinter Thorin durch die riesige Tür.

(2 289 Wörter)

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