KAPITEL 1

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Ich verließ Sugarland, den Süßigkeitenladen. Hinter mir ertönte die Stimme meines Chefs, aber ich konnte nicht verstehen, was er sagte. Verständnislos drehte ich mich um und versuchte ihn zu hören. Sonst würde es Probleme geben. Ich war so abgelenkt von seiner Stimme, dass ich fast nicht bemerkte, wie ein Auto an mir vorbei fuhr. Es war so knapp. So schnell. So schnell ging das. Ich konnte mich nicht rühren, war wie angewurzelt. Mein Herz setzte einen Moment aus und ich hielt die Luft an. Meine Lunge brannte. Meine Augen brannten. Es war das Auto meiner Familie. Ich schrie. Denn im nächsten Moment knallte das Auto gegen einen Baum neben mir, der aus dem nichts auftauchte. Ich schrie noch heftiger.

Da war meine Familie drin.

Mia, Mom und Dad am Steuer.

Nein.

Sowas durfte nicht nochmal passieren.

Ich konnte nicht schon wieder meine Familie verlieren.

Ich rannte auf das Auto zu, welches zerquetscht vor dem Baum stand. Aber ich konnte mich kein Millimeter bewegen. Meine Familie verschwand einfach vor meinen Augen.

Und dann wachte ich auf.

Mein Kissen war durchnässt von meinen Tränen, die ich während dem Traum freigelassen hatte. Ich atmete heftig ein und aus. Ich schwitzte. Versuchte mich zu beruhigen. Nur ein Traum, Olivia. Nur ein Traum. Nach einer gefüllten Ewigkeit konnte ich wieder meinen Atem normalisieren. Ich fühlte mich wie vor 10 Jahren. Autounfall meiner Eltern. Und ich war allein. Allein im Kinderheim. Und auch, wenn die Wright Familie, nicht meine echte Familie war, sah ich sie dennoch so. Und es war entsetzlich zuzusehen, wie ich sie auf dieselbe Weise wie meine leiblichen Eltern verlor.

"Olivia?"

Mia klopfte an. Schnell wischte ich mir die Tränen weg und setzte mich aufrecht hin. "Ja?" Langsam kam sie rein. Ihre schönen blond-braunen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Einerseits war es erleichternd zu sehen, wie meine kleine Schwester lebend in meinem Zimmer stand. Völlig unverletzt. Doch andererseits war es auch merkwürdig. Ich hatte sie sterben gesehen. Ich erschauderte. "Hey, darf ich bitte deine Kopfhörer?" Müde rieb ich mein Auge. "Wieso?", fragte ich. "Du hast doch selber welche" Mia schloss die Tür hinter sich zu und begann leiser zu reden. "Ich... ehm. Ich arbeite über die Winterferien mit einem Jungen aus meiner Stufe an einem Projekt. Und... ich glaube ich mag ihn. Sehr. Wir wollten heute telefonieren, und ich habe blöderweise meine Kopfhörer verloren. Und ich habe überhaupt keine Lust, dass Mom und Dad unser Gespräch hören." Ich musste lächeln. Sie errötete ganz schnell. "Also? Die Kopfhörer?" Ich seufzte. "Na schön, nimm sie." Eilig ging sie zu meinem Schreibtisch und öffnete die Schublade. Währenddessen stand ich auf und zog mich um. "Aber gib sie mir spätestens morgen wieder zurück!", rief ich ihr hinterher, als sie aus meinem Zimmer rannte. "Danke!", schrie sie zurück.

Jetzt war ich wieder allein mit meinen Gedanken. Ich konnte immer noch nicht fassen, was ich da geträumt hatte. Ich hatte in letzter Zeit nur noch Stress, einerseits wegen meinem Nebenjob bei Sugarland und andererseits weil ich diese Woche nur unruhig schlafen konnte. Und jetzt verfolgte mich auch noch so ein fürchterlicher Albtraum. Aber nun musste ich mich zur Arbeit fertig machen. Keine Zeit zum Nachdenken. Am besten ich schiebe diesen Albtraum heute ganz beiseite.

***

Gähnend ging ich nach diesem Arbeitstag wieder zurück nach Hause. Der Laden war so gut besucht, vor allem jetzt in den Winter Zeiten, wo Weihnachten bevorstand, dass ich nur am arbeiten war. Meine einzige Aufgabe in diesem Job war es, Süßigkeiten in Geschenktüten oder Geschenkpapier einzupacken, und man kann sagen was man will, aber es war verdammt anstrengend. Aber ich musste es durchziehen, dachte ich. Ich brauchte unbedingt Taschengeld, damit ich Weihnachtsgeschenke für meine Familie kaufen konnte. Ich wusste zwar bis jetzt noch nicht, was ich ihnen kaufen sollte, aber ich war fest davon entschlossen es mit meinem eigenen Taschengeld zu kaufen. Chloe musste ich auch noch etwas kaufen, mit der ich jahrelang befreundet war.

Ich warf einen Blick auf den klaren blauen Himmel. Es war ein schmerzhaft schöner winterlicher Nachmittag. Ich kuschelte mich in meinen langen, hellbraunen Mantel und seufzte schwer. Wäre da nicht mein Nebenjob, hätte ich um diese Zeit so viel schönes machen können. Spazieren, Musik hören oder Lesen. Ich könnte diese Winterferien so ausnutzen und sie genießen. Keine Schule, keine nervigen Menschen. Winter, Weihnachten, Plätzchen. Da war es, wonach ich mich jedes Jahr sehnte. Es war Balsam für meine Seele.

Wäre da nicht mein Nebenjob.

An der Haustür suchte ich meinen Schlüssel in meiner kleinen Tasche und schloss sie auf. Warmer Plätzchenduft lief mir entgegen und erfüllte mich mit besserer Laune. Mom konnte einfach Gedankenlesen. Sofort zog ich meinen Mantel aus und stellte meine Schuhe beiseite. Ich lief in die Küche und begrüßte meine Mutter. "Hallo liebes, wie war dein Tag?" Ich schnappte mir ein Plätzchen und steckte sie mir in den Mund. "Ganz gut. Der Chef war gut gelaunt", antwortete ich mit vollem Mund. Durch das Fenster konnte ich sehen, dass der Himmel dunkler wurde. So früh schon. Der Gedanke, in ein paar Stunden wieder schlafen gehen zu müssen, war ätzend. Ich beobachtete Mom. Merkte mir ihre Gesichtszüge. Durch diesen Traum hatte ich so Angst bekommen, sie auch zu verlieren. Mein Herz versetzte einen schmerzhaften Strich. Ich musste gehen. Also verließ ich die Küche und ging die Treppe hoch zu meinem Zimmer. Ließ mich auf mein Bett fallen und schaute aus dem Fenster raus. Wenigstens musste ich morgen nicht arbeiten. Hatte einen freien Tag für mich selbst. Während ich mir im Kopf eine Liste der Sachen, die ich morgen machen könnte anfertigte, fiel mein Blick nebenbei auf die Wanduhr zwischen meinem Schrank und meinem Schreibtisch. Es war halb sechs. Chloe meinte einmal, diese Uhr wäre komplett sinnlos, denn die Zahlen seien so klein, dass mal sie nicht lesen konnte. Aber ich war der Meinung, dass sie eine Brille bräuchte, denn für meine Augen war diese Uhr normal. Plötzlich fiel mir ein, dass ich sie anrufen könnte. Vielleicht könnte sie meinen Tag ein wenig verbessern, mit ihrer positiven Stimmung. Das tat sie immer. An schlechten Tag war sie diejenige, die mir Kraft gab weiterzumachen. Und ich war so verdammt froh, dass sie meine beste Freundin war. Nach all dem, was passiert war. In der Schule bemerkte mich fast keiner. Ich hatte wirklich keine anderen Freunde. Denn ich war nicht so selbstbewusst, energievoll, lustig oder verrückt wie sie. Ich war einfach... langweilig, schätzte ich. Ich beschloss sie anzurufen und nahm mein Handy aus der Hosentasche. Wetten, sie würde gleich nachdem ich Hallo sage, total ausflippen und direkt anfangen zu reden? Sie ging sehr spät ran.

"Hey Chloe, wie geht's?"

"Hey! Mir geht's prima. Ich bin so froh, dass du anrufst. Wie lange habe ich nichts mehr von dir gehört?"

"Ich hab dir gestern noch geschrieben, Chloe"

"Ja, aber das zählt nicht. Ich will dich wiedersehen. Und wie lange ist es her, dass wir uns gesehen haben?"

Ich überlegte. "Vor 1 Woche haben wir uns gesehen"

"Siehst du? Das war vor 'ner halben Ewigkeit"

"Naja" Ich lachte.

"Egal, wie wär's mit 'ner Verabredung? Gleich morgen? Morgen musst du nicht arbeiten, das weiß ich genau, also keine Ausreden gestattet"

"Okay, okay. Um wie viel Uhr denn?"

"Um 13 Uhr? Bei mir?"

"Abgemacht"

Das hieß wohl, dass ich meine To-Do Liste für morgen streichen musste. Aber naja, eine Verabredung mit Chloe war auch nicht schlecht. Wir quatschten noch eine Weile, beziehungsweise Chloe quatschte und ich hörte zu. Es war erstaunlich, dass sie so viel zu besprechen hatte mit mir, obwohl sie nur zuhause rumsaß und ab und zu Volleyball spielte. Sie berichtete mir, dass sie ihre Nachbarn auf Social Media stalken würde, aber dabei kam nicht so viel raus. "Alte langweilige Menschen", sagte sie. Ich fands so urkomisch, dass es lustig war.

Danach verbrachte ich den Abend damit, zu lesen. Ich hatte ein neues Buch angefangen und es war so fesselnd, dass ich es nicht aus der Hand legen konnte.

PS: Ich hoffe, dass dir dieses Kapitel gefallen hat. Dieses Kapitel habe ich nochmal umgeändert, weil mein Schreibstil mir damals nicht gefallen hat. Ich schreibe schon seit über 2 Jahren an dieser Geschichte.

Und Ich würde mich sehr freuen, wenn du weiterhin vor hast, meine Geschichte zu lesen.

Broken Heart Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt