Kapitel 29

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Danach war für uns nicht mehr an feiern zu denken gewesen und nun saßen wir alle wieder in der Limousine nach Hause. Ich hatte mich an Chuck gelehnt und döste vor mich hin. Immer wieder musste ich mir ein Grinsen verkneifen, als Chuck in Gedanken durchging, was er denn noch so alles mit mir vorhatte.

Niemand sagte etwas. Elisa hatte sich an Nate geschmiegt, dessen Hand blau und grün unterlaufen war und sichtlich geschwollen war. Unser Begleitschutz starrte auf den Boden und wartete darauf, dass wir endlich wieder im Reservat ankommen würden.

Alle vier werden Doppelschichten schieben. Sie werden jetzt gleich in den Wald geschickt., Chuck sah zu mir runter und ich nickte kaum merklich.

Ich finde das fast noch harmlos, wenn man bedenkt, was Elisa oder mir hätte passieren können., während ich tief durchatmete und Chuck mich näher an sich zog, wurde mir erst bewusst, was alles hätte passieren können.

Was würdest du vorschlagen, Luna?, die Limousine hielt am Beta-Haus und die Beiden stiegen nach einer knappen Verabschiedung aus.

Ich weiß es nicht, ich will einfach nur noch ins Bett und schlafen., ich sah aus dem Fenster und legte meinen Kopf gegen Chucks Schulter.

Plötzlich ging die Tür auf und mein Mate stieg aus. Er hielt mir seine Hand hin und ich ergriff sie. Ich ließ mich aus dem Wagen ziehen, nachdem ich den anderen nochmal zugenickt hatte und wir liefen zur Haustür.

Chuck hatte einen Arm um meine Taille geschlungen und ich lehnte mich mit nahezu meinem gesamten Gewicht auf ihn, weil ich nicht mehr in meinen Schuhen stehen konnte. Doch ihm schien das nicht im Geringsten etwas auszumachen. Kurzerhand nahm er mich einfach hoch und trug mich bis ins Ankleidezimmer.

Nachdem er mich runtergelassen und mich nochmal geküsst hatte, ließ er mich alleine. Seufzend zog ich die Schuhe von meinen Füßen und zog mich aus. Schnell schnappte ich mir noch ein Shirt von Chuck und streifte es mir über.

Als ich wieder ins Schlafzimmer kam, lag Chuck schon im Bett, nur noch in Boxershorts und ließ gerade die Leinwand nach unten fahren. Grinsend küsste ich ihn, bevor ich nochmal ins Bad verschwand und mich abschminkte. Nachdem ich noch kurz auf der Toilette war, kuschelte ich mich zu meinem Mate.

Er schaltete Riverdale an und zog mich näher an sich. Ich zog mir die Decke höher und er küsste meine Stirn. Zufrieden drückte ich ihn an mich und schlief ein.

Als ich wach wurde, war es noch dunkel. Chuck hatte mich an seine Brust gedrückt und die digitalen Zahlen auf dem kleinen Wecker zeigten 04.50 Uhr. Leise seufzend wand ich mich aus seinen Armen und tapste aus dem Schlafzimmer.

Als ich in der Küche ankam und mir nochmal durch die Haare fuhr, sah ich durch die riesigen Panoramafenster hinunter auf unser Reservat. Selbst nach dieser längeren Zeit hier, war es immer noch seltsam zu wissen, dass das auch zum Teil mein Reservat war.

Nachdem ich mir eine Tasse aus dem Eckschrank genommen und Wasser gekocht hatte, saß ich nun auf der Couch und sah einfach hinunter ins Reservat. Vereinzelte Lichter glühten wie kleine Punkte. Es war auf seine Art wunderschön. Es war mein Zuhause geworden.

Trotz allem wollte ich auch wieder nach Deutschland. Mein Papa fehlte mir. Wir telefonierten häufig, doch es war nicht dasselbe, wie mit ihm zusammen, zu Abend zu essen oder durch den Wald zu streifen. Immerhin war er nun auch ganz allein.

Meine Mutter war gestorben, als ich elf war. Sie hatte Brustkrebs und die Ärzte dachten sie würde es schaffen, doch die sie hatten nicht damit gerechnet, dass der Krebs gestreut hatte. Bis sie schließlich mit Atemnot aufwachte, meinen Vater weckte und sie ins Krankenhaus fuhren. Ich würde nie vergessen, wie sich ihre Lippen blau-lila verfärbt hatten.

Man hatte sie in den OP gebracht und meinen Vater mit mir ins Wartezimmer geschickt. Nach Stunden kamen zwei Chirurgen und ein Onkologe zu uns. Sie beschrieben das Problem, doch ich hatte nicht wirklich zugehört. Ich war wie in einem Tunnel. Meine Gefühle waren nicht mehr vorhanden. Ich fühlte mich leer seit diesem Tag.

Langsam waren die Gefühle Stück für Stück wiedergekommen, doch da war ein mamaförmiges Loch in meinem Herzen, dass niemand stopfen konnte. Nicht mal Chuck. Doch es war einfacher geworden, seitdem er mich gefunden hatte. Er hatte mir gezeigt, wie schön die Welt ist und wie viel Gefühle ein Mensch empfinden kann.

Seufzend sah ich auf die Uhr über dem Kamin im Esszimmer. 05.00 Uhr. Ich schnappte mir mein Handy vom Couchtisch und wählte die Nummer meines Vaters.

„Vivi? Ist etwas passiert? Du rufst so früh an.", besorgt meldete sich mein Vater.

„Es ist alles in Ordnung, Papa. Ich konnte nur nicht schlafen und wollte Chuck nicht wecken.", ich trank einen Schluck meines Kamillentees.

„Achso. Weißt du, Kleine...", er machte eine Pause und ich hörte ihn tief einatmen. „Ich habe mir überlegt, dass ich dich mal besuchen komme. Ich muss doch sehen, wo mein Mausefant nun wohnt.".

Mausefant... ich wusste gar nicht mehr, wie er auf diesen Kosenamen gekommen war, doch es trieb mir die Tränen in die Augen. Es war meine Kindheit. Dieser Kosename hat meine Kindheit geprägt und dies wurde mir gerade bewusst.

„Dein Mausefant wohnt in einem wunderschönen Haus. Dir würde es hier sicherlich auch gut gefallen.", murmelte ich und richtete weiter den Blick starr aus dem Fenster. „Ich werde später mit Chuck darüber reden, wann du uns besuchen kommen kannst. Das ist sicher in den nächsten Wochen möglich.".

„Dein Chuck ist ein feiner Kerl, Vivi.", ich hörte sein Lächeln und sah es fast schon bildlich vor mir.

„Ich weiß...", wir redeten noch ein wenig darüber, was es in meinem alten Rudel für Neuigkeiten gab und was ich noch für Neuigkeiten hatte. Irgendwann hatten wir aufgelegt und ich meinen Tee ausgetrunken.

„Luna?", ich hatte Chuck nicht mal gehört, so zuckte ich heftig zusammen und erschreckte mich fast zu Tode. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.".

„Alles gut.", ich stand auf und stellte meine Tasse in die Spüle. „Ich konnte nicht schlafen.".

Ich trat zu ihm und legte meine Arme um seinen Hals. Seine Nähe war wie eine Droge. Mein Herz rannte einen Marathon in meiner Brust und Chuck legte seine Hände auf meine Hüften.

„Dann unternehmen wir doch etwas, damit du schlafen kannst.", hauchte er und küsste mich lange. Mit einem Ruck hob er mich hoch und drückte mich an sich.


Vivian Schneider - Die Geschichte einer jungen WerwölfinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt