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Anderson lag relativ einsam etwas mehr als eine Stunde entfernt von Fairbanks.
Das aufregendste dort war wohl die Airforce Station außerhalb der Stadt. Ein Ort an dem niemand davon ausgehen würde, das jemand wie Ava hier leben würde.

Sie lief die Straße hinunter und betrachtete ihre Umgebung. Es war bereits dunkel geworden und nur das flackernde Licht der Laternen erhellte noch ihren Weg.
Fieberhaft überlegte sie, wie sie sich bei ihrem Chef entschuldigen sollte. Jonny war ein etwas dicklicher kleiner Mann Mitte 50. Er lebte schon sein gesamtes Leben in Anderson. Genauso wie seine Eltern und deren Eltern und deren.... es war einfach ein Ort, an dem man blieb. Entweder man liebte es oder hasste es.
Ava liebte es. Die Lage war perfekt. Die Straßen waren meist geräumt und bei einer Flucht konnte man sie in den Weiten von Alaska nur schlecht finden.

Das einzige Ärgernis waren wohl die Nähe zu den Polarlichtern und der Wintern.

Als Kind war sie immer traurig gewesen, dass es in dem kleinen Ort im nördlichen Niedersachsen von Deutschland kaum Schnee gab. Jetzt hatte sie langsam mehr als genug vom Schnee. Wer hätte gedacht, dass sie jemals so empfinden würde?

Sie bog gerade auf die Straße in der das Jonnyˋs lag ab, als sie hinter sind den Motor zweier Geländewagen hörte. Geländewagen waren hier nun wirklich nichts verwunderliches, aber es stellte ihr die Nackenhaare auf, als diese sie passierten. Irgendwas war anders.

Alarmbereit schaute sie zu, wie die Wagen auf dem großen Parkplatz vor dem Pub hielten. Während sie weiter ging, stiegen 4 Männer aus. Gut Männer war maßlos untertrieben.
Keiner von ihnen war kleiner als 1,8 Meter. Breit wie Schränke versprühten sie eine Aura von Macht.
Das war die Art Männer denen man im Dunkeln als Frau nicht alleine begegnen wollte.
Die Männer unterhielten sich lachend und maschierten wie eine Einheit auf dem Eingang des Jonnyss zu.
"Nico verdammt du fährst wie ein Schlappschwanz!", rief einer von ihnen aus und haute seinem Nebenmann lachend auf die Schulter. Er hatte kurze blonde Haare, Ava schätze ihn auf Ende 20.
„Ich schwöre dir. Wenn du nochmal an meinem Fahrstil meckerst, kannst du laufen. Liza tötet mich und verfüttert mich an die Hunde, wenn ich einen Unfall baue und deshalb nicht rechtzeitig wieder zu Hause bin!" Nico schaute den anderen ernst an. Selbst aus dieser Distanz konnte Ava erkennen, dass diese Männer sich sehr nah standen.
Wahrscheinlich waren das wieder Durchreisende, die auf ihrem Weg nach Fairbanks hier halt machten.

Sie schüttelte den Kopf und schlüpfte durch den Nebeneingang.
Im Inneren schlug ihr ein unangenehmer Duft von Zigaretten und Alkohol entgegen. In der Küche schepperte Country aus einer alten Anlage auf einem Regal. Während Marc, der Koch, vor seinem Herd tanzte. So verranzt wie dieser Schuppen auch war. Im Umkreis von einer Stunde Fahrt bekam man kein besseres Essen.
Unbemerkt gelang Ava den Gang runter zum Büro ihres Chefs. Jonny saß an seinem Schreibtisch und tippte wütend zahlen in seinen Rechner. Seine Stirn lag in tiefen Falten und vor ihm türmte sich der Haufen in seinem Aschenbecher.

Der Winter hier oben war hart und es verirrten sich immer weniger Menschen nach Anderson.
Gut für Ava.
Schlecht fürs Geschäft.
„Willst du da nur stehen und mich anglotzen?", über den Rand seiner viel zu kleinen Lesebrille starrte Jonny sie an. Er war sauer. So richtig sauer.

„Jonny ich...", zu mehr kam Ava nicht. Mit einem lauten Knall landete seine Faust auf seinem Tisch sodass alles darauf tanzte. „Verdammt Ava! Was soll ich mit dir machen? Jedes verdammte mal passiert sowas! WAS GLAUBST DU WOFÜR ICH DICH BEZAHLE.....?"

Ava schlugte. Er hatte recht und das wusste sie. Dennoch kochte die Wut in ihren Adern hoch. Was das sollte? Er hatte ja keine Ahnung! Sie sagte nichts und starrte ihn nur weiter an. Sie wusste, dass er eh nicht zu hören würde und alles was sie sagen würde, wäre entweder verrückt oder würde alles noch schlimmer machen.

Eine gefühlte Ewigkeit sahen sie sich an. Keiner sagte was. Hinter ihnen öffnete sich die Tür zum Lokal als Lizzy mit einem Stapel Teller in die Küche gehen wollte. Beim Anblick, der sich ihr bot, blieb sie kurz verdutzt stehen und blickte ängstlich zwischen den beiden hin und her.

Mit einem Blick zu Ava, der wohl sagen sollte pass auf, was du machst, huschte sie in die Küche.

„Hör zu Ava. Ich weiß nicht wieso du hier bist. Ich bin mir nichtmal sicher, ob ich es wissen will, aber so geht das nicht. Das einzige, was dich rettet, ist das du WENN du hier bist, gut arbeitest. Ich gebe dir eine letzte Chance! Solltest du noch einmal nicht auftauchen bist du raus!"

Avas Kopf zuckte zurück zu Jonny. Sie hatte mit allem gerechnet aber nicht damit. Sie nickte. Zu mehr war sie gerade nicht fähig. Die Wut hatte sie trotz allem noch im Griff. Der Vollmond war zu nah, um sie einfach runter zu schlucken.

Noch eine Sekunde sah Jonny sie an. Dann senkte er den Blick zurück auf seinen Schreibtisch und arbeitete weiter, als wäre nichts passiert.

Diese Menschen verwirrten Ava immer mehr.

Sie ging rüber in die Umkleide und zog ihre Arbeitskleidung an.
Ein schwarzes Tshirt und eine rote Schürze.
Ihre Haare hatten sich aus dem Dutt gelöst also nahm sie das Zopfgummi heraus und flechtete sie zu einem langen Pferdeschwanz.

Auf dem Weg ins Lokal schnappte sie sich ihre Geldbörse, einen Block und einen Stift. Mit der Hüfte stieß sie die Tür auf und ging rein. Lizzy war mit der einen Hälfte des Gastraums beschäftigt. Ava übernahm die andere.
Gerade als sie bei einer Gruppe Stammgäste die Getränke aufnahm, öffnete sich die Tür zum Haupteingang und die 4 Gestalten von draußen betraten den Raum.
Die Gespräche erstarben und alle starrten die Männer an.

Ava schenkte ihnen nur einen kurzen Blick, bevor sie hinter den Tresen ging um die Getränke für ihren Tisch einzuschenken.

Durch den Spiegel hinter dem Regal mit den Weingläsern beobachtete sie, wie die Gruppe sich umsah. Bitte bitte setzt euch nicht zu mir, dachte sie. Als hätte einer von ihnen ihre Gedanken gehört, schoss sein Kopf herum und starrte sie an.
Ava zuckte unter dem eindringlichen Blick zusammen. Haselnuss braune Augen waren auf sie gerichtet. Sie saugte seinen Anblick in sich ein und ein wohliger Schauer lief über ihren Körper. Verdammter Vollmond!
Kalt lief ihr das Bier über die Hände, dass sie gerade zapfte. „Mist...", murmelte sie und stellte es beiseite um sich die Hände zu waschen.
Reiss dich zusammen Ava. Du hast in deinem Leben schon mehr Männer gesehen. Reiss dich zusammen....

Sie stellte die Getränke auf ihr Tablett und eilte zu ihren Kunden. Die drei Männer Ende 40 kamen jeden Tag um sich zu betrinken, zu flirten und ihre Frauen zu hintergehen. Ava hasste sie, aber sagte nichts. Sie brauchte ihren Job und konnte sich wirklich nicht leisten noch mehr in Schwierigkeiten zu geraten. Sie stellte das Tablett ab und begann die Getränke zu verteilen.

„So hier ist euer Bier. Tim hier ist dein Whiskey. Wollt ihr auch etwas Essen?"
Die Männer lachten und schüttelten den Kopf. „Nein liebes heute mal nicht. Oder darf ich dich vernaschen?", Tyler schaute sie an und leckte sich die Lippen, während er sich in den Schritt griff. Angewidert wich Ava zurück. Ohja sie hasste sie wirklich. Plötzlich griff Tim neben ihr an ihren Po. „Komm schon Ava Schatz. Wir sind auch ganz spendabel mit unserem Trinkgeld."

Avas Körper versteifte sich. Langsam drehte sie sich in Tims Richtung. Gerade hob sie das Tablett und wollte seine Hand damit wegschlagen als hinter ihr ein lautes Knurren erklang.

Zum zweiten Mal an diesem Abend wurde es totenstill im Jonnyˋs.

Vom Mond geküsstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt