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Sie konnte nicht reagieren. Wut über seine Lügen mischte sich mit der Scham über ihre Schwäche. 

Sie verstand nicht, wieso er nicht von Anfang an ehrlich gewesen war, warum er dieses Spiel mit ihr gespielt hatte.  Während sie ahnungslos ihre Flucht geplant hatte, hatte er schon längst von allem gewusst. Wie in Zeitlupe schossen ihr all diese Momente vor ihrem inneren Auge vorbei. Sie fühlte sich auf eine nie da gewesene Art und Weise bloßgestellt.

"Wie kannst du es wagen?" flüsterte sie geschockt. Auch wenn sie hatte gehen wollen, hätte sie niemals gedacht, dass ihr Gefährte sie so hintergehen würde. 

Ava ich musste wissen, was los war und du wolltest nichts sagen, also...

Verschwinde aus meinen Gedanken!!!! "Raus aus meinem Kopf!!" schrie sie so laut, wie sie nur konnte und sprang auf. Ihr Stuhl fiel mit einem Scheppern auf den Boden und sie ballte die Hände zu Fäusten. Ihre Finger begannen bläulich zu glühen und sie spürte, wie ihre Kraft sie wie eine tosende Welle überrollte. 

Liza schrie erschrocken auf und sprang vom Tisch weg, während Nico sich schützend vor seine Gefährtin stellte. 

Zitternd versuchte Ava ihre Macht wieder unter Kontrolle zu bringen. Der Vollmond machte es nicht leichter und ihre mangelnde Übung mit der Magie in ihr tat ihr übriges. Verzweifelt sah sie in die ängstlichen Gesichter der beiden Wölfe ihr gegenüber. 

"Ava beruhig dich." drang die Stimme des Alphas zu ihr durch. Sie drehte sich zu ihm um und sah ihm ängstlich in die Augen. "Hilfe." ,war alles, was sie über ihre Lippen bringen konnte. Ethan nickte ernst und nahm sie sachte am Arm. Dann führte er sie quer durch den Raum auf den Ausgang zu. Sie stolperte mit ihm nach draußen. 

Vor dem riesigen Herrenhaus führte ein Kiesweg die Ausfahrt entlang in einen tiefen Wald. Links von ihnen lag ein liebevoll angelegter Garten. Sie konnte selbst jetzt im Winter die verschiedenen Kräuter riechen, die unter der Schneedecke schlummerten. 

Jasmin, Traumkraut, Alraune 

Ihr Duft beruhigte sie und sie riss sich von Ethan los um zu ihnen zu laufen. Ihre Hände glühten weiterhin und sie musste die überschüssige Energie irgendwie los werden. Bilder ihrer Mutter blitzen auf. Wie sie durch den Wald spazierten und Kräuter sammelten. Wie sie ihr zeigte, was welche Pflanze bewirken konnte. Wie man auch im tiefsten Winter immer alles bekam, was man brauchte. Sie kniete sich vor einem der Beete hin und legte die Hände auf den eisigen Boden. Ethan sagte irgendetwas hinter ihr, aber über das Summen ihrer Magie konnte sie ihn nicht hören. Sie schloss die Augen und stellte sich die Kräuter vor. Wie sie wuchsen und die ersten Knospen bildeten, immer größer und kräftiger wurden und schließlich erblühten. Sie spürte, wie das Summen in ihr abebbte und öffnete die Augen. Das Leuchten verschwand aus ihren Händen und waberte auf die schlummernden Pflanzen zu, dann verschwand es. 

Erleichtert atmete sie auf und baute ihre magische, innere Mauer Stein für Stein wieder auf. Ethan hinter ihr keuchte erschrocken auf. Sie wusste wieso. Vor ihr stand eine mächtige wunderschöne Alraune. Seit langer Zeit hatte Ava ihre Kraft nicht mehr genutzt und noch nie hatte sie so viel aufeinmal verbraucht. "Alpha ist alles ok? Wir haben Schreie gehört und dann.... Was zum Teufel?" Jasper kam schlitternd am Rand des Beetes zum Stehen und schaute verwundert zu dem blühenden Kraut, dann zu Ava und schließlich zu Ethan. Dieser schüttelte den Kopf und bedeutete den Schaulustigen, die langsam aus dem Haus kamen, zu verschwinden. Sie saß immer noch da und schaute erschrocken auf ihr Werk. Sie wusste nicht, dass sie so stark geworden war. Als Kind kostete es sie alle Kraft einem lebenden Zweig ein paar Knospen abzugewinnen und nun hatte sie im tiefsten Winter dieses Werk vollbracht. 

"Es tut mir leid, Ava. Manchmal vergessen wir, dass es nicht völlig normal für jeden ist, sich so zu verständigen, wie wir es tun. Ich hätte dir die Wahrheit sagen müssen.", seine kräftige Hand legte sich auf ihre Schultern. Sie griff nach seinen Fingern und strich einmal sanft an ihnen entlang. Sie war nicht besser gewesen, dachte sie.  Langsam ließ sie sich von ihm beim Aufstehen helfen und drehte sich um. "Kann jeder im Rudel in meinen Kopf?" fragte sie ihn mit zitternder Stimme. Er schüttelte bedächtig den Kopf und legte ihr eine Hand an die Wange. "Noch bist du nur mit mir verbunden und ich schirme dich von den anderen ab. Erst das Ritual macht dich offiziell zu ihrer Luna. Wir wissen nicht, ob du dann mit allen verbunden sein wirst. Vor dir gab es noch keine andere nicht wölfische Luna." erzählte er ihr. 

Sie atmete noch einmal zitternd durch und nickte. Sie hatte die Kälte bisher noch nicht gespürt, doch jetzt kroch sie langsam an ihren Beinen hoch. "Wir sollten wieder rein gehen." sagte sie und nahm seine Hand. Er lächelte, beugte sie vor und strich mit seinen Lippen sanft über ihre Wange, bevor er sie zurück ins Haus führte. 

Auf ihrem Weg hielt Ava den Blick gesenkt. Sie folgten seinen tiefen Spuren im Schnee und ihren eigenen, die tiefe Löcher in diesen gefressen hatten. Die Hitze der Magie hatte die winterliche Decke auf dem Boden schmelzen lassen und legte den Kies und die Erde darunter frei. 

Im Haus angekommen löste Ava sich von ihm und wollte gerade hoch in ihr Zimmer laufen. Zu viel waren die Blicke der anderen. Doch dann schob sich ein schwarzer kleiner Haarschopf in ihr Blickfeld und sie blieb stehen. Mia schaute sie aus großen Augen an. Erst jetzt bemerkte Ava, dass in ihren Augen der Himmel zu tanzen schien. Hunderte Sterne zierten ihre Iris, die beinahe schwarz wirkte. "Das war sooooooo cool!" flüsterte das kleine Mädchen andächtig. Dann hielt sie ihr eine verblühte Blume hin und schloss die Augen. Die Hände der kleinen Hüterin begannen zu leuchten und die Blume schien für eine Sekunde zu erzittern. Dann erlosch das magische Leuchten wieder und Mia schaute wütend auf ihr Werk. "Ich möchte das auch können!" stieß sie trotzig hervor und sah wieder hoch zu Ava. 

Sie kniete sich hin und sah Mia eine lange Sekunde an, dann sagte sie das Einzige, was ihr einfiel. "Manchmal braucht es einfach ein bisschen länger, bis die Magie richtig wirken kann. Schließ nochmal die Augen und versuche es erneut." 

Das kleine Mädchen tat prompt, was sie ihr gesagt hatte. Ava ließ ein wenig ihrer Magie zu der des Kindes fließen. Wieder erzitterte die Blume, dann bildete sich eine kleine Knospe. Erschrocken riss Mia die Augen auf und strahlte vor Glück. "Ich habs geschafft!" Sie warf sich in Avas Arme und zeigte allen im Raum stolz ihr Werk. "Ich bin eine richtige Hüterin. Schaut ich habs geschafft!" Sie wirkte so glücklich und stolz auf sich selbst, dass Ava nicht anders konnte als zu grinsen.

Über die Schulter sah sie zu Ethan, der sie mit einem merkwürdigen Blick bedachte. Für eine Sekunde dachte sie, dass er wieder in ihren Gedanken war, doch dann verflog das Gefühl und er zog sie an sich. "Danke." war alles, was er sagte.

Vom Mond geküsstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt