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Äste peitschten ihr ins Gesicht doch das ignorierte sie. Das einzige, was zählte, war zu laufen. Doch es war zwecklos. Sie hörte die schweren Schritte hinter sich. Ethan hetzte ihr hinterher.
Gnadenlos verfolgte er sie durch den Wald und auch die anderen waren ihr fluchend auf den Fersen.
Ihr Atem kam in stoßweisen Nebeln aus ihrer Lunge. Die Strapazen der letzten Stunden machten sich immer mehr bemerkbar. Ihre Kräfte ließen nach. Lange würde sie dieses Tempo nicht mehr aushalten. Sie blickte über ihre Schultern und stellte erschrocken fest, dass Ethan sie beinahe erreicht hatte. Es war ein Wunder, wie weit sie gekommen war. Die Wölfe waren schneller und stärker als sie, aber der Vollmond half ihr.

Sie schlug einen scharfen Haken in der Hoffnung so etwas Zeit zu gewinnen.
Sie rutschte und fiel. Hart schlug sie mit der Schläfe auf dem Boden auf. Ihr Sichtfeld explodierte schwarz und der Schmerz ließ sie aufschreien.

„Ava?", erklang die besorgte Stimme von Ethan und kurz danach erschien sein Gesicht über ihr. „Fuck, Ava bleib wach!", sie blinzelte und versuchte ihren Körper zu bewegen, aber er versagte ihr den Dienst. „Verräter", flüsterte sie, dann war alles schwarz.

Ein Ruckeln ließ sie die Augen öffnen. Es war dunkel. Sie roch Blut und Wald. „Nico, verdammt fahr schneller!", sie sah Ethans wutverzerrtes Gesicht. Er drehte sich zu ihr als hätte er gespürt, dass sie ihn ansah. „Bleib wach Kleines.", sanft streichelte er ihre Haare, dann wurde es wieder schwarz.

Als sie das nächste Mal wach wurde, schwebte sie. Nein sie wurde getragen. Sie sah Ethans Gesicht vor ihrem. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, er schaute sie an ,während er schnellen Schrittes mit ihr auf dem Arm lief.
„Oh mein Gott! Ethan was ist passiert", in der Ferne erklang eine Frauenstimme. Ava versuchte die Antwort zu hören aber dann wurde es wieder schwarz.

„Ihr habt was?!", schrill hallte eine Frauenstimme durch Avas Gedankennebel. Sie lag weich und warm, der Raum war dunkel. Als sie sich umsah erkannte sie ein riesiges Bett, in dem sie lag. Unter dem Türschlitz drang Licht in den Raum und davor liefen Füße aufgeregt auf und ab.
„Weiß sie wenigstens wer sie ist?", klang es zischend vor der Tür.
„Liza, dafür war keine Zeit.", murmelte eine dunkle, warme Stimme zurück. Ethan.

Avas Herz machte einen Satz und verdoppelte sein Tempo. Verräter.
Da strömten auf einmal die Erinnerung auf sie ein. Sie stöhnte und hielt sich den Kopf. Ein Verband bedeckte die Wunde an ihrer Schläfe. Ihre nackten Finger befühlten die Bandagen. Nackte Finger...?

Erschrocken schlug sie die Decke fort und sah, dass jemand sie entkleidet hatte. Sauber und in einem frischen viel zu großen Hemd lag sie da. Ihr Körper war übersäht von Blutergüssen. Selbst in dem dunklem Raum hebte sich ihre Farbe merklich von ihrer eher blassen Haut ab.

Draußen stoppten die Schritte. Dann öffnete sich langsam die Tür. Wieder stöhnte Ava auf. Das helle Licht von draußen brannte in ihren Augen und zuckte wie ein Lichtschwert durch ihren Kopf.
Mit langen Schritten kam Ethan an ihre Seite geeilt. „Hey Kleines.", er lächelte sie sanft an und für einen Augenblick konnte Ava nicht anders als ihn anzustarren. Das warme Licht von draußen betonte seine Wangenknochen. Aber auch den gehetzten Ausdruck in seinem Gesicht. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Er sah aus als hätte er seit Tagen nicht geschlafen.
„Hey...", flüstere sie zurück.
Warum antwortest du ihm?
Schalt sie sich selbst, aber ihre andere Seite war völlig verzückt von seinem Anblick. Auf eine dunkle und bedrohliche Art und Weise war er wunderschön.
Ava versuchte sich aufzurichten, aber ihr Körper protestierte lautstark dagegen.
„Auh... verdammt", fluchte sie und hielt sich wieder den Kopf. Im Bruchteil einer Sekunde saß Ethan neben ihr auf dem Bett und hielt sie aufrecht. Seine Hände berührten ihre nackte Haut und sandten heiße Schauder ihren Rücken hinunter.
„Ganz langsam. Du hast dir ziemlich den Schädel angestoßen und eine leichte Gehirnerschütterung. Du brauchst jetzt erstmal viel Ruhe und Schlaf.", murmelte er, während er sie anstarrte. Sie starrte nur zurück und konnte den Blick nicht von ihm losen.

Auf der anderen Seite des Raumes räusperte sich plötzlich eine Frauenstimme. Mit verschränkten Armen und einem deutlichen Babybauch stand sie da und blickte missbilligend auf die beiden hinab. „Hast du nicht etwas vergessen?", ihr Stimme tropfte förmlich vor Abscheu und Ava zuckte zusammen.
Ist das etwa seine Frau?
Beschämt blickte sie zu Boden. Da steht eine Schwangere und sie zog mit ihren Blicken förmlich einen fremden Mann aus. Wie tief kannst du noch sinken?

„Liza..", Ethan versteifte sich und stand auf.
„Nein wage es ja nicht mir den Mund zu verbieten! Du kannst nicht einfach eine Wildfremde hier anschleppen und noch dazu einen Menschen!"

Einen Menschen? Sie wussten es also wirklich nicht. Ava atmete erleichtert auf. Das erklärt zwar immer noch nicht, was hier los war, aber zumindest war sie für den Moment in Sicherheit.
„Mensch...?", flüsterte sie. In all den Jahren hatte sie es perfektioniert ein Mensch zu sein und wusste, wie sie reagieren musste.
Die beiden schauten geschockt zu ihr rüber. Anscheinend hatten sie sie schon fast vergessen.
Liza hielt sich erschrocken die Hände vor den Mund während sich Ethans Gesicht vor Wut rot färbte.
„Raus hier!", befahl er.
„Ethan, ich... es tut mir.." — „RAUS"

Liza begann zu weinen und rannte raus. Vor der Tür war Nico erschienen und starrte entsetzt in den Raum. „Nie wieder Ethan, redest du so mit meiner Gefährtin! Hast du verstanden?", sein Körper bebte und er rang sichtlich mit seiner Selbstbeherrschung während er Ethan anstarrte. Dieser erwiderte gar nichts. Er stand nur da und starrte zurück bis Nico schließlich davon stürmte, der weinenden Liza hinterher.

Ava lag stocksteif im Bett. Wölfe mit Gefährtin waren gefährlich. Wölfe mit schwangeren Gefährtinnen waren tödlich. Wie konnte Ethan sie nur so behandeln? Sie begann wie wild zu zittern als die nächste Schmerzwelle sie überrollte und ihr Blickfeld drohte wieder schwarz zu werden. Ethan löste sich aus seiner Starre und sah sie erschrocken an.
„Shhhhhh. Ava Schätzchen beruhige dich. Alles wird gut. Shhhhhh.... bitte bitte hab kein Angst.", erst jetzt bemerkte sie, dass sie unkontrolliert weinte. Ethan sah völlig zerstört aus während er versuchte sie zu trösten. Er dachte wohl sie hätte eine Panikattacke.

„Du Arschloch....", flüsterte sie als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. Seine Reaktion im Jonnyˋs, sein Verhalten im Wald, sein Blick und jede Geste. Dieser Wolf hatte seine Gefährtin gefunden.

Vom Mond geküsstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt