Weich gebettet lag sie in einem warmen Raum. Es roch nach Holz, etwas modrig und nach frischem Apfelkuchen.
Ava blinzelte gegen die Sonne an und sah sich um. Die Wände ihres Zimmers waren mit Holz bedeckt und Poster einiger Boybands hingen als Sammelsurium neben ihr an der Wand. Der Raum war ein einziges Chaos. Auf dem Schreibtisch türmten sich Schulbücher, der Boden war mit Kleidung bedeckt.
Sie stand auf und schlüpfte in eine locker auf ihren Hüften sitzenden Jogginghose und ein schwarzes, eng anliegendes Top. Draußen schien die Sommersonne auf den Wald und die Wiese vor ihrem zu Hause.
Als sie die Treppe barfuß nach unten stapfte, sah sie ihre Mutter verträumt summend den frischen Kuchen schneiden.
"Guten Morgen Mama.", murmelte sie leise und hüpfte auf die eichene Arbeitsplatte neben ihr. Ihre Mutter trug ihre Haare wie immer offen. Bis zu den Hüften hingen ihr die langen Strähnen. Auf Ava wirkten sie wie ein weißer Wasserfall. Sie griff nach einer der Strähnen und genoss das seidige Gefühl zwischen ihren langen Fingern.
"Guten morgen, mein Wölfchen.", ihre Mutter lächelte sie an und legte ihr die warme Hand an die Wange, bevor sie ihr ein Stück des leckeren Kuchen reichte.
"Mom! Ich hasse es, wenn du mich so nennst.", sie lachte auf und versuchte ihrer Mutter einen bösen Blick zuzuwerfen, was ihr einfach nicht gelingen wollte. Sie war nunmal ein Wolf. Wie sollte sie es ihrer Mama übel nehmen?
"Wo sind Papa und Jasper?", fragte sie und steckte sich ein Stück des Kuchens in den Mund. Warm lag er auf ihrer Zunge und verbreitete langsam den Geschmack von Apfel und Zimt in ihrem Gaumen. Sie lehnte sich zurück, bis ihre Schultern das warme Holz hinter ihr berührten und seufzte wohlig auf.
"Na schmeckt es dir?", fragte ihre Mutter sie und steckte sich selbst ebenfalls ein großes Stück in den Mund, "Die zwei sind heute früh raus in den Wald und wollten jagen gehen." Erklärte sie Ava und widmete sich dem Abwasch.
Die Wölfin warf einen Blick aus dem Fenster in den Wald und überlegte kurz, ob sie raus sollte um die beiden zu suchen, entschied sich dann aber ihrer Mutter zu helfen.
Gemeinsam wuschen sie das Geschirr ab, lachten über einige Schulwitze, die Ava vor den Ferien aufgeschnappt hatte und philosophierten über den Wald. In letzter Zeit trafen sie immer weniger Wildtiere und ihre Mutter als Hüterin dieses Waldstücks, machte sich große Sorgen, wohin die Tiere verschwunden waren. Ava wurde bei dem Gespräch unruhig. Da draußen stimmte etwas nicht. An ihre Mutter gewandt, murmelte sie gerade beruhigende Worte, als plötzlich Unmengen an Tiere voller Panik über die Lichtung pesten.
Rehe, Wildschweine, Eichhörnchen sogar einige Luchse und wilde Wölfe preschten an ihrem Haus vorbei. Die beiden Frauen rannten nach draußen auf den Wald zu, aus dem die Tiere kamen, als sie erleichtert sahen, dass ihr Bruder und Vater ebenfalls aus dem Wald kamen. Auf halber Strecke verwandelten sich die Männer in ihre menschliche Gestalt.
"Rennt rein!", brüllte ihnen ihr Vater entgegen. Panik griff mit grässlichen Klauen nach Avas Herzen, als sie in die Gesichter ihrer Eltern blickte. "Mama?", ihre Stimme brach, während ihre Mutter sie mit kalten Fingern am Oberarm packte und ins Haus zog. Knallend flog die Tür ins Schloss, nachdem auch Jasper und ihr Vater reingerannt waren. Während Ava ihr Aussehen vor allem von ihrer Mutter hatte, hatte Jasper die Gesichtszüge von ihrem Vater geerbt. Seine dunkelblauen Augen blickten sorgenvoll in ihre hellen und sie griffen sich ängstlich an den Händen.
Avas Mutter begann zu weinen. Sie konnte durch ihren rasenden Herzschlag das Gespräch ihrer Familie kaum hören und setzte sich von plötzlichen Schwindel erfasst aufs Sofa. Ihre Mutter fuhr zu ihr herum.
"Ava, hör mir jetzt genau zu Schatz. Sie sind hier. Sie sind nicht mehr weit. Du musst vergessen, hörst du? Das ist das Einzige, was dich schützend kann!", das tränenverschmierte Gesicht ihrer Mutter schob sich in Blickfeld. Ihre beinahe weißen Haare standen in alle Richtungen ab, während sich der Blick ihren Augen vor Panik verdunkelte. "Mama? Ich hab Angst!", sie griff zitternd nach den Händen der Frau, die sie großgezogen hatte und sah verzweifelte von einem Gesicht ins andere. So oft hatten sie es durchgespielt. Die Flucht geplant, den Weg geübt. Jetzt, wo der Moment gekommen war, schien es ihr als wäre alles ein Traum. "Wir lieben dich Ava!", ihre Mutter schluchzte auf als sich ihre Hände an die Schläfen ihrer Tochter legte. Sie spürte, wie die Magie ihrer Mutter mit seidig weichen Fingern in ihren Kopf eindrangen. Ihre eigene schien sie willkommen zu heißen und ihr den Weg zu bahnen. Langsam erloschen ihre Erinnerungen. Erst verschwanden die gemeinsamen Ausflüge im Wald und wie sie gelernt hatte, was ihre Aufgabe als zukünftige Hüterin dieses Waldes waren. Dann nahm ihre Mutter ihr die Erinnerungen an die Wandlung in andere Gestalten und ihre Verbindung zu den Werwölfen. Zuletzt vergaß sie ihren älteren Bruder.
Zurück blieb nur völlige Leere und die Gewissheit, dass sie heute ihre Familie zum letzten Mal sah. Als sie aufstand, fühlte sie nur dumpfe Trauer, die sie nicht richtig fassen konnte. Ihre Eltern reichten ihr einen Rucksack. Verwirrt betrachtete sie den fremden Jungen am anderen Ende des Raums. Warum weinte er nur? Dann trat sie durch den Hintereingang des Hauses und floh den Tieren des Waldes hinterher.
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Vom Mond geküsst
FantasyDie 25 jährige Ava ist auf der Flucht. Vor 3 Jahren findet sie in einem kleinen Ort in Alaska Zuflucht vor ihren Verfolgern und versucht ihre übernatürliche Seite zu verbergen. Im örtlichen Diner trifft sie auf eine Gruppe von Werwölfen und wird mag...