Wochen vergingen und der Frühling erreichte sie endlich.
Nico und Ava begannen eine tiefe Freundschaft. Sie konnten alles miteinander teilen. Sie half ihm so gut es ging mit dem kleinen Regar und er brachte ihr bei zu kämpfen wie ein Wolf, Fährten zu lesen und zu jagen.
Langsam kehrte Normalität ein und das Rudel kam zur Ruhe.
Ava saß auf der Veranda des kleinen Steinhauses, das sie mit Mia und Ethan bewohnte und genoss die Sonnenstrahlen, die ihre Haut wärmten. Sie hatte sich in eine dicke Wolldecke gewickelt, las ein Buch, das Ethan ihr gegeben hatte. "Tote Seelen" von Nikolai Gogol, hatte ihr Ethan erklärt und gemeint, das sei das Lieblingsbuch seiner Mutter gewesen. Auch wenn Ava es nicht zugeben wollte, verschlang sie es mehr oder weniger und musste herrlich lachen über den grotesken Humor des Autors.
Mia spielte auf der Lichtung vor ihr mit einigen Vögeln. Der Wald schien regelrecht aufzublühen, seitdem die beiden Hüterinnen wieder an ihre vom Schicksal und der Mondgöttin auferlegten Arbeit gingen.
Überall auf der Wieso sprossen die ersten Frühlingsboten und vertrieben das triste Grau. Ethan war mit einigen jungen Kriegern an der Grenze des Territoriums unterwegs und wies sie in ihre neue Aufgaben ein.
"Na Luna, wo sind wir in Gedanken?", schreiend sprang Ava von ihrem Stuhl und fiel beinahe von der Terrasse, wenn Nico sie nicht gepackt und festgehalten hätte.
"Bist du von allen guten Geistern verlassen?", sie schlug ihm auf den Arm und lachte.
"Du musst eben wachsamer sein, dann passiert sowas auch nicht."
"Wachsamer? Wie wäre es, wenn du wie alle anderen deinen Besuch ankündigst?"
"Wofür? Damit ich den Spaß verliere, dich immer wieder zu Tode zu erschrecken?"
Er grinste auf sie hinab und lehnte sich an einen der Pfähle, die das Vordach über ihnen trugen. Von Tag zu Tag wirkte Nico freier, fröhlicher und mehr er selbst. Er verwandelte sich zwar nicht, da er fürchtete, dass sein Wolf geradewegs zu den Wybrancy laufen würde um auch den Rest von ihnen zu töten, aber er war irgendwie ruhend und Ava spürte, dass seine Trauer hier im Rudel aufgefangen wurde.
"Wie geht es Regar?", sie setzte sich zurück auf ihren Stuhl und packte sich wieder dick in ihrer Decke ein. Sie wusste, dass Ethan nur hier war, weil Ethan sie nicht "schutzlos" zurück lassen wollte.
"Sehr gut. Er wächst und gedeiht und ich glaube, so langsam spüre ich auch seinen Wolf, wenn ich in seiner Nähe bin.", zufrieden lächelte der Beta und schaute zu Mia, die weiter mit den Tieren des Waldes tobte. Sie hatte sich in ihren Elch verwandelt und sprang mit staksigen Beinen durch den Bach.
"Erhaltet ihr euren Wolf schon so früh?", Ava hatte immer gedacht, dass die Wölfe ihn erst mit der ersten Verwandlung bekämen und musste nun feststellen, dass sie gar nicht wusste, wann genau das geschah. Sie nahm sich vor, demnächst etwas mehr über ihre neue Familie in der Bibliothek des Rudels nachzulesen.
"Nein, nein der Wolf ist immer da. Er drängt uns sich regelrecht auf und irgendwann, wenn er stark genug ist, verwandeln wir uns zum ersten Mal. Bei den meisten passiert das irgendwann im Teenageralter. Ethan hat sich das erste mal mit 5 verwandelt...", er beobachtete das Spiel der Tiere auf der Wiese. "Aber deswegen bin ich nicht hier, Luna. Ich habe eine Nachricht erhalten, dass ein anderes Rudel durch unser Gebiet ziehen möchte und wollte dazu einiges mit dir besprechen..."
Ava sah überrascht zu ihm auf. Er nannte sie selten bei ihrem offiziellen Titel, zumal sie noch nicht mal die Luna Zeremonie hinter sich hatte. Dass er sie jetzt so ansprach, verursachte ihr Gänsehaut.
"Wann kommen sie hier durch?"
"Wir schätzen, dass sie in ca. einer Stunde an unserer Grenze sind..."
"Sind sie eine Bedrohung für uns?"
Wieder einmal merkte Ava, dass sie viel zu wenig über die Wölfe wusste. Wer waren ihren Feinde? Wie verhielt man sich, wenn man Kontakt zu anderen Rudeln hatte? Sie wusste, dass die Wölfe äußerst territorial waren und es nicht selten zu Kämpfen zwischen einzelnen Rudeln kam. Die Situation war also durchaus ernst.
"Ich denke nicht. Liam sagte, dass es nur 6 Wölfe wären und darunter zwei Kinder. Sie wirken eher als wären sie auf der Flucht."
"Kinder?", ihr Herz machte einen Satz. Kinder auf der Flucht... nein, das durfte sie nicht zulassen und solange Ethan nicht hier war, musste sie die Entscheidungen treffen.
"Macht ihnen eine der verlassenen Hütten im Wald fertig, Nico. Wir lassen keine Kinder im Stich oder verjagen sie. Egal ob fremdes Rudel oder nicht!", befahl sie streng und stand auf. Nico hob eine Augenbraue und sah sie an. Dann nickte er und begann die Stufen der Veranda runter zu gehen.
"Ich werde dafür sorgen, dass alles vorbereitet ist. Lass deinen Kanal offen, Ava. Wir geben Bescheid, wenn sie da sind und holen dich ab."
"Nehmt Mia mit ins Rudelhaus. So lange die fremden Wölfe hier sind, möchte ich, dass alle sich im Zentrum aufhalten."
Noch einmal nickte der Beta bevor er zu dem kleinen Elchkalb lief und ihr bedeutete mitzukommen.
Vor einigen Tagen hatten sie Lager im Wald und ums Rudelhaus aufgebaut. Ava hatte den Wölfen gezeigt, wie sie ihre Umgebung stets für eine überstürzte Flucht vorbereitet hatte und so waren überall verstreut für alle Kleidung und Vorräte gelagert.
Seufzend ging sie ins Haus um sich selbst umzuziehen und vorzubereiten. Sie ahnte schon wovor dieses fremde Rudel davon lief und war bereit sie unter ihren Schutz zu stellen. Sie war nicht nur die Luna des Rudels, auch wenn die Wölfe das gerne vergaßen. Sie war auch die Hüterin dieses Waldes und sie hatte nicht vor, dass auf ihrem Land noch einmal solche Gräueltaten vollbracht werden würden. Es gab wohl keinen sicheren Ort im Umkreis von mehreren Tagesreisen, auch wenn ihr klar war, dass das nicht immer so bleiben würde und die Wybrancy wieder kommen werden, sobald sie wieder erstarkt waren.
Sie stieg die Treppen hoch und ging in ihr Schlafzimmer, umrundete unterwegs das Chaos das Mia so gerne hinterließ und lächelte als sie die zugedeckten Kuscheltiere in der versteckten Winkeln des Hauses entdeckte.
Ist alles ok bei dir?
Ethans tiefe Stimme streifte ihren Geist und lullte sie ein. Sie lächelte stumm und schickte ihm schnell das Gespräch mit Nico. Sein Wolf knurrte in ihrem Geist und sie wusste, dass er ganz und gar nicht glücklich mit ihrer Entscheidung war.
Ich werde einigen der Jägern Bescheid geben, dass sie sich mit dir gemeinsam auf den Weg machen. Ich bin in 2 Stunden wieder da, kleines Kätzchen.
Ava lachte auf. Auch wenn er beschloss, ihre Entscheidung zu akzeptieren, war sein Beschützerinstinkt einfach zu groß um alles ihr zu überlassen.
Ich pass schon auf keine Sorge. Ich liebe dich, Ethan.
Du bist mein Leben, Luna.
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Vom Mond geküsst
FantasyDie 25 jährige Ava ist auf der Flucht. Vor 3 Jahren findet sie in einem kleinen Ort in Alaska Zuflucht vor ihren Verfolgern und versucht ihre übernatürliche Seite zu verbergen. Im örtlichen Diner trifft sie auf eine Gruppe von Werwölfen und wird mag...