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ALPHA

Ava saß wie gelähmt auf dem Boden des kleinen Badezimmers und überlegt fieberhaft, wie sie sich aus dieser Situation befreien sollte. Ihre beste Chance bestand wohl darin zu fliehen, bevor sich das Band vervollständigt. Aber wie viel Zeit blieb ihr noch?

Selbst ohne ihre Gabe zu nutzen spürte sie schon jetzt den starken Sog, der sie wie magisch an Ethan band. Wenn es für sie schon so stark war, wie musste es dann erst für ihn sein?

Es klopfte zaghaft an der Tür. "Ava ist alles ok?" Sie war nicht fähig zu antworten. In ihr tobten zwei Seiten. kämpften miteinander wie ein revalisierendes Rudel Wölfe um die Herrschaft und mit jedem Moment, der verging, spürte sie, dass es nicht die Seite war, die fliehen wollte, die die Überhand hatte.

In ihrer Überlegung verlor Ethan die Geduld. Mit einem lauten Rumms knallte die Tür zum Badezimmer auf. Sie saß immer noch am Boden und starrte ihn erschrocken an. Ethan und Jasper standen sorgenvoll in der Tür. Im Flur konnte sie noch mehr aufgeregte Stimmen hören und mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie weitaus länger hier drin gesessen hatte, als ihr bewusst war. Ihr Gefährte kniete vor ihr und hob sie sanft in seine Arme. Jasper machte ihnen Platz, während Ethan sie zurück zum Bett trug. In der Tür stehend erkannte sie Nico und Liam. Sie konnte spüren, dass im Gang noch mehr Wölfe rumtigerten. Ihre Luna verletzt und damit das ganze Rudel in Aufruhr.

Luna.

Sie eine Luna. Die Gefährtin des Alphas sollte eigentlich das Rudel schützen. Sie war die, die Kranken pflegte, Trost spendete und Ratschläge gab. Kam es hart auf hart war sie die Waagschale, die ein Rudel in den Untergang oder den Sieg führen konnte.

Ava wollte nichts von all dem sein. Sie bedeutete nichts als Gefahr und Leid. Verzweifelt dachte sie zurück an den letzten Moment in dem sie ihre Eltern lebend gesehen hatte. Sie sah die weißblonden Haare ihrer Mutter und die eisblauen Augen. Sie sah ihren menschlichen Vater, der verzweifelt versuchte die Tür zu versperren.
" Ava Schatz. Denk dran. Niemand darf es sehen. Niemand darf es spüren. Wir lieben dich!" Gleisendes Licht und im nächsten Moment stand sie alleine mitten im Wald.

Sie schüttelte den Kopf und versuchte die Gedanken abzuwimmeln. Die Erinnerung an ihre Eltern war schmerzhaft. Sie wusste, dass beide getan hatten, was sie konnten um sie zu schützen. Sie hatten sie gelehrt sich zu verteidigen, hatten sie vorbereitet so gut sie konnten, aber als ihre Gabe viel zu froh in ihr Leben trat, konnte niemand mehr verhindern, dass man sie fand.

Ein Fehler - ein Schritt zu weit und Ava hatte alles verloren.

Eine aufgeregte Kinderstimme durchbrach ihre Gedanken und sie sah wie ein kleines Mädchen sich seinen Weg, durch die Beine der Erwachsenen schlängelte. Sie hatte schwarze Haare, die ihr bis zu den Hüften gingen und flitzte barfuß durch den Raum. Ava schätzte sie auf 5 Jahre.

"Mia bleib stehen!" nun erschien eine junge Frau in der Tür. Sie sah aus wie eine ältere Version des Mädchens. Ihre Augen waren fast schwarz, so dunkel war das braun in ihnen. Immer wieder griff sie nach dem Wirbelwind bekam sie aber einfach nicht zu fassen. Gerade erreichte sie sie beinahe, da verschwand das Mädchen einfach nur um im nächsten Moment direkt neben Ava aufzutauchen und sie aus strahlenden Augen anzugrinsen.

"Hallo Luna!" rief es aus und umarmte sie. Alle im Raum waren still und starrten sie an. Alle ausser Ethan. Er kniff sich in den Nasenrücken und schüttelte den Kopf. Ava konnte das Mädchen nur anstarren. Mit einem Mal spürte sie genau, was hier vor ihr stand. Sie und ihre Schwester, oder zumindest ging Ava davon aus, dass sie ihre Schwester war, waren keine Wölfe.

"Das ist unmöglich." Flüsterte sie. Sie war die letzte. Sie musste die letzte sein. Ihre Mutter war schon lange tot und mit ihr starb ihre Blutlinie.

Die beiden fremden Mädchen sahen sie an und der Raum füllte sich mit Stille, die nur von Ethan Knurren unterbrochen wurde. Wieso musste er eigentlich andauern Knurren?

"Was zum Teufel ist hier los? Was ist an - Lasst sie hier ankommen und haltet euch fern! - Nicht zu verstehen?" sein Gesicht lief rot vor Wut an, während er das ältere Mädchen anschaute. Unter seinem Blick zuckte sie sichtlich zusammen. Ava versuchte immer noch das Gesehene zu verstehen, während das kleine Mädchen sie weiter anguckte.

Schnell kam das ältere Mädchen und zog Mia von ihr weg. "Es tut mir leid, Luna. Sie hatte gehört, dass alle hier hoch gekommen sind und ich konnte sie nicht stoppen." Stotterte sie. Dann zog sie ihre Schwester mit sich nach draussen.

"Verschwindet. ALLE!" knurrte Ethan zwischen seinen Zähnen hervor. Ava war froh, nicht seinem Blick ausgeliefert zu sein. Sie glaubte nicht, dass sie dieser Wut lange hätte standhalten können und wunderte sich, dass ihr nicht früher klar geworden war, dass dieser Mann der Alpha des Rudels war.

Mit leisem Getuschel entfernt sich sein Rudel schnell. Nur Jasper, Liam und Nico blieben zurück und sahen Ethan erwartungsvoll an. Dieser seufzte und setzte sich auf den Stuhl neben sich. Nico räusperte sich als wolle er etwas sagen, aber verstummte dann doch wieder. Keiner wollte die Stille brechen und ungewollt die Aufmerksamkeit des Alphas auf sich ziehen.

Eine Luna beschützt ihr Rudel.

Flüsterte es in Ava. Sie fasste den Saum ihres Hoodies und fragte flüsternd: "Wer waren diese Mädchen?"
Ethan rutschte nervös auf seinem Stuhl rum, während seine Männer Löcher in die Luft starrten. Schliesslich war es Jasper, der die Stille brach. "Sie sind Waisen. Wir haben sie vor 3 Jahren alleine draußen im Wald gefunden. Auch wenn sie keine Wölfe sind, gehören sie nun zu unserem Rudel."
"Was sind sie?" Ava musste es einfach hören. Sie konnte nicht fassen, was sie dort gesehen hatte. 3 Jahre? Vor 3 Jahren war sie hierher geflüchtet. Was, wenn.... Nein. Daran durfte sie nicht denken. Jasper musterte sie lange von der Seite.
"Sie sind wie du oder?" Fragte er schließlich und alle schauten erst ihn und dann Ava erschrocken an. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals runter und sah auf. Etwas in ihr sagte ihr, dass diese Mädchen für Jasper sehr wichtig waren, dass diese Frage für ihn mehr Bedeutung hatte, als herauszufinden wer sie war.
Langsam schüttelte sie den Kopf und sah auf ihre Hände. Gelogen war dies nicht. Sie war nicht wie diese Mädchen. Sie spürte genau, dass die zwei anders waren. Sie waren wie ihre Mutter. Reinblütig.
Sie hingegen war ein Mischling. Ihr Vater war ein Mensch gewesen. Gewöhnlich. Ihr Mutter hingegen...
"Meine Mutter war eine Opiekun. Aber mein Vater war ein Mensch." flüsterte sie schließlich. Sie spürte Ethans Blick auf sich ruhen. Wie auf ein unsichtbares Zeichen verschwanden seine Männer. Im Vorbeigehen legte Jasper ihr die Hand auf die Schulter. Verwundert schaute sie hoch in sein Gesicht. Unergründlich sah er sie an. "Willkommen zu Hause:" sagte er schliesslich und verließ endgültig den Raum.

Ava starrte weiter auf den Fleck an dem Jasper eben noch gestanden hatte. Erst fanden SIE sie. Dann war sie gebunden an einen Werwolf und dann fand sie hier, an einem Ort bei dem sie niemals damit gerechnet hätte, diese Mädchen.

"Ist das wahr?" brach Ethan schließlich die Stille. Er sah sie nicht an. Die Tapete hinter hier schien plötzlich eine unheimliche Anziehungskraft zu besitzen. Als Ava nicht antwortete, sah er ihr schließlich doch in die Augen. "IST.DAS.WAHR?"
Plötzlich sah sich Ava dem Zorn eines mächtigen Werwolfs ausgesetzt. Dieser Tag konnte nicht mehr schlimmer werden.

Vom Mond geküsstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt