unbekanntes Terrain

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ROSA

„Lauf, du dumme, kleine Schlampe!"

***

„Wohin bringst du mich?", flüstere ich, als ich ihn hinter mir spüre. Gandias Atem berührt meinen Nacken, streift die dünne Haut und bringt mich dazu zu erschauern, was ihn lächeln lässt.

Ich will mich umdrehen, ihm in die Augen schauen und endlich wissen, ob er die Wahrheit sagt. Über Guzmans Tod und darüber, wie lange er mich noch hier festhalten will. In den letzten Stunden bin ich nicht zur Ruhe gekommen, habe mir die Augen aus dem Kopf geweint und so lange geschrien, bis ich nicht mehr konnte. 

Doch es hat nichts gebracht. Er kam nicht, hat mich in meinem Schmerz vollkommen allein gelassen und jetzt ist da und steht hinter mir, als wäre er Houdini persönlich. Aber wieso? Warum ist er hier?

Als Antwort lässt er vor meinen Augen ein schwarzes Seidenband auftauchen, mit dem er mir die Augen verbindet. Er schweigt dabei, seine Bewegungen sehen routiniert aus und ich habe das Gefühl, dass er das schon viel öfter gemacht hat.

Ich schlucke, weiß nicht, was er vor hat und obwohl ich mich dagegen wehren sollte, bleibe ich stehen und lasse es zu. Er knotet das Band an meinem Hinterkopf fest und legt mir danach die Hände auf die Schultern. Ich zucke zusammen, atme viel schneller als noch vor ein paar Sekunden und spüre, wie mein Herz sich darauf gefasst macht so viel Blut wie nur möglich durch meinen Körper zu pumpen.

„Was hast du vor?", wispere ich heiser. Meine Kehle fühlt sich wie Sandpapier an und meine Zunge klebt die meiste Zeit am Gaumen fest, was das Sprechen schwerer macht. Gandia sagt noch immer kein Wort, atmet in einem regelmäßigen Rhythmus ein und aus und mit jedem Atemzug, trifft die warme Luft meinen Nacken und erzeugt eine Gänsehaut, die nicht enden will.

Die Stimmung hat sich so schnell verändert, dass ich kaum noch hinterher komme. Ist er wütend? Will er mich verführen? Denn darauf hofft der kranke Teil in meinem Innern, dass er sich endlich nimmt, was er begehrt und ich auch.

Doch als seine Hände langsam über meinen Arm nach unten streichen, seine Nägel ganz leicht über meine Haut fährt, ziehe ich scharf den Atem ein. Meine Atmung beschleunigt sich und die Dunkelheit, die mich umgibt, trägt ihr Übriges dazu.

Ich habe das Gefühl alles noch viel deutlicher wahrzunehmen, als wäre mein Gehör innerhalb von Sekunden geschärft worden, sodass ich besser höre als jemals zuvor. Er leckt sich über die Lippen, atmet durch die Nase ein und aus und als er schluckt, höre ich auch dieses Geräusch. Es vernebelt mir die Gedanken und mein Blut fließt deutlicher langsamer durch meine Adern.

„Was passiert hier?", keuche ich und beiße mir augenblicklich auf die Lippen. Er soll nicht merken, dass ich das auf eine kranke Art und Weise genieße. Obwohl er das seit unserem Kuss vor ein paar Stunden doch schon getan hat und vielleicht auch schon davor. Und davor wahrscheinlich auch.

Ich bin nicht so undurchschaubar, wie ich gedacht habe. Seine Finger verschränken sich mit meinen und die plötzliche Nähe, die unvermittelt eintritt, reißt mich aus meinen Gedankengängen heraus. Er zieht mich mit sich, führt mich Schritt und Schritt weiter durch den Raum.

Ich höre, wie die Tür aufgeht und bleibe wie angewurzelt stehen. Gehen wir raus? Lässt er mich gehen? Wird das der Weg zur Schlachtbank sein? Tausend andere Fragen purzeln in meinem Kopf wild durcheinander und nehmen mein Gehirn völlig in Beschlag. Ich bin unfähig mich zu bewegen, als wäre ich in flüssiges Pech getreten, dass binnen weniger Sekunden fest wird, sodass ich nicht mehr weitergehen kann.

„Gehen wir raus?", flüstere ich und atme hektisch ein und aus. Ich bin völlig überfordert, die Monate der völligen Isolation zeigen nun ihre Wirkung, denn die Panik - die mir die Kehle zuschnürt und mir den Schweiß aus jeglicher Pore triefen lässt -vor der Außenwelt und den damit verbundenen Gefahren, lassen mich wie ein bockiger Esel stillstehen. Und egal wie fest man an ihm zieht und zerrt, er bewegt sich keinen Millimeter weiter. Genau wie ich.

Gangs of Sinaloa - Cruel LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt