Zwangslage

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GANDIA

„Wollen Sie ihren Bruder und seine Familie schützen, oder geht es Ihnen dabei viel mehr um die Ergreifung von Guzman und seinem Komplizen?"

Der rote Lippenstift der Jefa verzieht sich, als sie ihre Lippen kräuselt. Schon viel zu lange sitzen wir in diesem provisorischen Büro, dass sie sich hier eingerichtet hat. Keine paar hundert Meter von Rosa entfernt, von deren Existenz nichts weiß. Und das soll auch so bleiben.

„Haben Sie meinen Rat befolgt und die Schlinge enger um Ihren Zeugen gezogen?", fragt sie mich, schlägt die Beine übereinander, die sie auf ihrem Schreibtisch liegen hat. Ihre Uniform mit all seinen Abzeichen und Medaillen steht im vollkommenen Kontrast zu ihrem geschminkten Gesicht. Welches mehr nach Laufstegmodel aussieht als nach einem ranghohen Tier im mexikanischen Militär. Ich verstehe nicht, wie sie daraufkommt. Immerhin hatten wir es die letzten vierzig Minuten über ganz andere Sachen, aber wie es scheint, hat sie darauf keine Lust mehr.

„Kommen Sie, Gandia. Es interessiert mich brennend, was Sie angestellt haben, denn Sie wirken um einiges entspannter als bei unserem letzten Treffen", meint sie und sieht mich auffordernd an.

Ihre dunklen Augen sprechen Bände, die Neugier steht ihr ins Gesicht geschrieben. Ich stehe vor dem Schreibtisch, verschränke hinter dem Rücken meine Hände und fühle mich erneut in ihrer Gegenwart in meine Zeit bei der US Army zurückversetzt.

Als stünde ich vor meinem Chief, der mich wegen eines Vergehens in sein Büro zitiert hat. Völliger Bullshit! Ich habe nie gegen ein Gesetz verstoßen, habe stets nach dem Kodex gehandelt und auf meine Truppe geachtet.

Aber diese ganzen Sesselfurzer haben keine Ahnung, dass man im Einsatz nicht immer nach Handbuch vorgehen kann. Ich habe nur das getan, was von mir verlangt wurde, auch wenn es niemand laut genug ausgesprochen hat.

„Zieren Sie sich nicht so, das steht Ihnen nicht!", reißt ihre rauchige Stimme mich aus meinen Erinnerungen. Fast schon dankbar festige ich meinen Stand und atme tief durch, doch bevor ich dazu komme ihre Neugier zu stillen, klopft es kurz an die Stahltür. Ich drehe mich um, nicke dem Soldaten zu und warte auf seine Nachricht. Die Jefa hinter mir schnaubt genervt durch die Nase und setzt sich gerade hin.

„Was gibt's, Chavez?", knurrt sie. Der Soldat starrt einen Punkt in der Ferne an, während er kurz salutiert und dann endlich mit der Sprache rausrückt.

„Verzeihen Sie die Störung, Jefa, aber es gibt da etwas, das Sie sich ansehen sollten", sagt er und tritt näher, nachdem sie ihm ein Zeichen gegeben hat. Erst jetzt fällt mir das Ipad auf, dass er in der Hand hält.

„Um was geht es denn?", erkundigt sie sich.

Der Soldat öffnet das Programm und zum Vorscheint kommt eine Gegend, die mir nur allzu sehr bekannt ist. Ich schlucke, spüre ihren Blick auf mir. Doch ich sage nichts, schaue das Überwachungsvideo weiter an und als ich diesen verdammten Drecksack sehe, kann ich nicht anders als zu fluchen.

„Können Sie mir sagen, was das soll?", knurrt die Jefa und sieht mich streng an. Nie hätte ich gedacht, dass mir meine Vergangenheit derart in die Quere kommt. Zumindest nicht dieser Teil.

„Das sieht mir danach aus, als ob sie diese Gegend kennen", fügt sie hinzu. Ihre Stimme klingt mehr als gereizt, also beginne ich es ihr zu erklären.

„Das ist das Haus meines Halbbruders Rino und so wie es aussieht haben Guzman und sein Hackerfreund etwas vor", sage ich und spüre, wie mir die Galle hochsteigt. Das Verhältnis zu meinem Halbbruder ist nicht das beste und wir haben seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr, doch ich weiß ganz genau, was die beiden vorhaben.

Gangs of Sinaloa - Cruel LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt