Kein Entkommen

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ROSA

„Du hast es ganz schön lange ausgehalten, aber am Ende konntest du trotzdem nicht ohne mich sein. Nicht wahr?"

***

Säure fließt durch meine Adern, mit jedem tiefen Atemzug und jedem kräftigen Herzschlag breitet es sich weiter in mir aus, bis jedes Organ davon befallen ist. Das Stechen in meinen Seiten und das Brennen in meinen Muskeln verstärken das Gefühl und bringen mich dazu langsamer zu werden. 

Ich war davor schon keine Sportskanone, aber die drei Monate in völliger Isolation, gefangen in dieser düsteren Zelle, haben meine Reserven so sehr schrumpfen lassen, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann.

Wie viel Zeit seit meiner Flucht vergangen ist, weiß ich nicht, aber ich bin noch lange nicht sicher. Werde ich das jemals sein? Diese Frage schiebt sich immer mehr in mein Bewusstsein, verdrängt die Angst, die ich noch immer spüre und die mich nach wie vor beherrscht.

Ich hole tief Luft und stütze meine Arme auf den Knien ab, während ich versuche wieder zu Kräften zu kommen. Das wilde Pochen meines Herzens in den Ohren, richte ich mich langsam auf und schaue mich um. 

Ich bin in Richtung Osten gerannt, als ich Gandia mein Knie in seine Eier gerammt habe. Doch die Kirche kommt mir auch jetzt nicht bekannt vor und die Gegend darum ebenfalls nicht. Zumindest wüsste ich nicht, wo ich mich in Culiacán befinde. Verdammte Scheiße!

Konzentrier dich, Rosa!

Ich kneife die Augen zusammen, während mein Magen nach unten sackt und sich um die eigen Achse dreht. Oder bin ich das? Ich reiße die Augen auf und drehe mich um, denn die Angst, dass Gandia mich zufassen kriegt, ist nicht nur riesig, sondern auch berechtigt. Ich muss weiter. Aber wohin?

Wieder schaue ich mich um, halte nach Straßenschildern Ausschau, doch keines gibt mir einen Anhaltspunkt, wo ich bin. Ist das hier überhaupt Culiacán? Nichts sieht vertraut aus. Ich muss weiter, egal wohin.

Also renne ich los, ignoriere das Brennen meiner Muskeln, die sich immer mehr verkrampfen und einen glühenden Schmerz erzeugen, der mir die Tränen in die Augen schießen lässt. Ich renne über Gehsteige, überquere Straßen und biege gefühlte hunderttausend Mal ab – mal nach rechts, mal nach links. Ich muss in Bewegung bleiben, kann mir keine Pause leisten. Denn ansonsten bin ich so gut wie tot. Und ich bin nicht bis hierhergekommen, um jetzt doch zu scheitern. Nein. Aufgeben ist keine Option für mich.

Ich verdränge alles, jeden Gedanken an meine Familie, an Guzman, an die letzten Monate oder sonst etwas, das mich runterzieht, jeden Schmerz und konzentriere mich allein auf meine Atmung. Die sich immer mehr zu einem Debakel entwickelt.

Denn je mehr ich atme, je tiefer die Züge sind, desto weniger Sauerstoff gelangt in meine Lunge und somit auch in mein Blut.

Ich weiche überfüllten Mülltonnen aus, quetsche mich durch enge Gassen und das alles, um am Ende in die ausgebreiteten Arme meines Peinigers zu gelangen. Und das ist kein verdammter Scherz und auch keine beschissene Metapher, sondern mein purer Ernst. Denn als ich mich durch die letzte, enge Gasse gequetscht habe, die so dunkel wie ein Affenarsch gewesen ist, pralle ich gegen Gandia, der mich mit einem schiefen Grinsen – das von einem Ohr zum anderen reicht – begrüßt.

„Du hast es ganz schön lange ausgehalten, aber am Ende konntest du trotzdem nicht ohne mich sein. Nicht wahr?", säuselt er, während seine Finger sich um mein Handgelenk schließen und so fest zudrücken, dass sie mir das Blut abschnüren.

„Nein."

„Oh doch. Und du wirst mir nicht noch einmal entwischen, du dummes Miststück!", brüllt er, nachdem ich meine Gedanken laut ausgesprochen habe. Er ragt über mir auf, bedrohlich wie ein Axtmörder bei Nacht und das ist er auch. Gandia geht über Leichen, um das zu bekommen, was er will und das bin ich. Ich. Ich. Ich.

Gangs of Sinaloa - Cruel LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt