alte Wunden

160 21 4
                                    

GUZMAN

„Dein Vater lässt ungern die Zügel locker."

***

Das Isolierband durchzuschneiden kostet mich eine große Überwindung, denn Elisabetta könnte eine potenzielle und vor allem tödliche Gefahr für Jesus und mich darstellen, doch er hat recht. Ich kann sie nicht töten, nicht, wenn ich nicht wie Gandia enden will.

Er wird irgendwann die Grenze des menschlichen Seins überschritten haben, wahrscheinlich in dem Glauben, dass er immer noch das richtige tut. Das ich nicht lache. Doch mir wird das nicht passieren! Deshalb befreie ich Elisabetta und lasse sie stehen.

Was? Hätte ich ihr Hat wie ein Ritter in goldener Rüstung hinstrecken sollen? Sicher nicht.

Ich geselle mich wieder zu Jesus, der sich eines der bestellten Gerichte von gestern in der Mikrowelle warm macht. Er steht davor, drückt sich fast die Nase an der Scheibe platt und sabbert jetzt schon, obwohl ich bei dem Geruch, der mir entgegen schlägt, schon längst der Magen umdreht.

„Cabron, seit wann bist du zu einem geschmackslosen Penner mutiert?", ziehe ich ihn auf, nachdem es leise Pling gemacht hat und er das dampfende Schälchen herausgenommen hat. Immerhin nimmt er sich noch Messer und Gabel, bevor er die Wan-Tans in den Mund stopft. Was ist aus meinem Gourmet geworden, der niemals im Stehen gegessen hätte?

„Gandia, das Arsch", murmelt er mit vollem Mund. Ich verdrehe die Augen und ziehe mich mit einer lässigen Bewegung auf die Platte, sodass ich gemütlich sitze, während er immer noch stehend sein Essen runterschlingt. Da bleibe ich doch lieber beim Bier, denke ich und komme mir wie eine dieser Schwangeren vor, die bei jedem Geruch die Nase rümpfen und einen Würgereiz entwickeln, den sie beim Blowjob lieber wieder vergessen sollten.

„Was hast du vorhin eigentlich so lange bei ihr gemacht?", fragt er mich zwischen dem Kauen. Ich muss kurz sammeln, bevor ich kapiere, was er von mir will.

„Ich hab die Fesseln abgemacht", antworte ich und zucke mit den Schultern, ehe ich mir ein frisches Bier aus dem Kühlschrank nehme – der Gott sei Dank neben mir steht, sodass ich mich nicht einmal bewegen muss – und daraus trinke.

Doch Jesus sieht das Ganze nicht halb so entspannt, denn er verschluckt sich an seinen Wan-Tans und beginnt auf ekligste Weise zu husten, sodass einige Krümel aus seinem Mund durch die Gegend fliegen. Angewidert weiche ich ihnen aus und verstehe nicht, was er für einen Aufriss macht, immerhin war es seine Idee, die Kleine laufen zu lassen.

„Du hast was?", fragt er, als er sich beruhigt hat. Er greift nach meinem Bier, doch ich bin schneller und bringe es in Sicherheit.

„Nimm dir gefälligst ein eigenes", sage ich genervt und deute auf den Kühlschrank. Jesus brummt etwas, das ich nicht verstehe und holt sich eines, öffnet es und setzt es an seine Lippen an. Sein Adamsapfel hüpft auf und ab, während er die Flasche zu einem Viertel leert und sie dann auf die Arbeitsfläche stellt.

„Und was hast du jetzt mit ihr vor?", fragt er mich und wirft den Rest seines Fertiggerichts in den Müll, schnappt sich sein Bier und spült kräftig nach. Ich überlege kurz und zucke dann mit den Schultern.

„Sie nicht töten?", scherze ich und lache, sogar Jesus stimmt mit ein. Doch wir werden von einem lauten Räuspern unterbrochen.

„Ich bin neben euch, du musst also nicht so reden, als wäre ich nicht hier", mischt sich Elisabetta ein und steht mit verschränkten Armen vor der Brust da und sieht uns giftig an. Erst jetzt sehe ich, was sie unter dem grauen Hoodie trägt. Es ist ein schwarzer Jumpsuit, der bis zu ihren Waden reicht, die ziemlich trainiert wirken – genau wie Arme -.

Gangs of Sinaloa - Cruel LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt