Happy Halloween

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ROSA

„Bist du schon tot, oder atmest du wieder?"

Ich liege auf der Seite und betrachte die Striche an der Wand. Die Pritsche fühlt sich heute noch um einiges unnachgiebiger an und dass, obwohl ich schon so lange hier bin. Heute ist Halloween, eigentlich kein richtiger Feiertag bei uns, aber in den Staaten wird dieser Kult fast schon als heilig eingestuft. 

Obwohl ich nichts damit anfangen kann, war ich fast jedes Jahr an einer Kostümparty und wie immer seit jedem Tag, an dem ich Guzman das erste Mal getroffen habe, habe ich nach ihm Ausschau gehalten. 

Als ob sich unsere Wege jemals wieder kreuzen würden. Denn er hat es selbst gesagt, ich werde ihn danach nie wiedersehen. Und doch war da diese kleine, unerschütterliche Hoffnung ihn irgendwann einmal wiederzusehen. Und wer hätte es gedacht, treffen wir uns auf der Geburtstagsfeier des Gobernadors wieder und das Spiel wiederholt sich. 

Wir treiben es hemmungslos und werden dabei von Gandia beobachtet. Und obwohl ich es nicht sollte, wünschte ich mir manchmal, dass wir uns niemals wiedergetroffen hätten. Dann wären wir beide nicht in dieser missratenen Situation, in der wir jetzt stecken. 

Aber was wäre, wenn war noch nie mein Ding. Entweder man nimmt die Lage so, wie sie kommt, oder man stürzt sich von einer Brücke. Ganz einfach, aber, dass das Leben in Wirklichkeit nicht so ist, weiß ich jetzt mehr denn je. 

Ich strecke den Finger aus und berühre den heutigen Strich. Er steht für all meine Träume, Wünsche und Sehnsüchte, die sich niemals erfüllen werden. Ich stelle mir vor, wie die Glocken zur Mitternachtsmesse läuten, während die verfressenen Kindern noch immer durch die Straßen ziehen und von Haus zu Haus gehen, nur um noch mehr Süßigkeiten zu erhaschen. 

Wie gerne wäre ich jetzt bei ihnen, könnte mich unter die schnatternden Eltern mischen, die sich ebenfalls in ein Kostüm gezwängt haben und heimlich Schnaps aus der Flasche trinken, die in einem dieser grässlichen braunen Papiertüten steckt. 

Ich wäre für alles offen und sogar mit der hässlichsten Verkleidung zufrieden, würde es mich hier rausbringen. Raus aus der Dunkelheit, weg von Gandia und seinen Lügen. Ich lasse den Arm wieder sinken und schließe die Augen, spüre, wie mich die Müdigkeit einholt und ich in einen unheimlich tiefen Schlaf drifte.

„Wer lässt ihr schon eine Kostümparty steigen, geschweige denn lebt hier draußen?", fragt mich Lina, meine beste Freundin, als wir aus dem Wagen steigen und die Umgebung betrachten. Irgendwo in der Pampa zwischen Culiacán und Mazatlán steht eine Villa im viktorianischen Stil, die perfekt dekoriert wurde und zu einem grausigen Schauplatz für die perfekte Halloweenparty abgibt. 

„Pferdescheiße!", stöhnt Lina, als sie einen Haufen in der Nähe sichtet. Sie sich die Nase zu, was ihr aufwendig geschminktes Make-up ruiniert, also lässt sie es und hält stattdessen den Atem an, was mich zum Lachen bringt. Ich stört der Geruch überhaupt nicht, im Gegenteil.
Es passt zur Atmosphäre, die herrscht und unterstreicht den ländlichen Touch. 

Die Villa eines Kartellmitgliedes – ich verurteile diese Institution, aber in Mexico ändert sich nicht über Nacht und was ist schon dabei etwas Spaß zu haben? - ist hell erleuchtet und ist ein richtiger Eyecatcher. Die lauten Bässe dringen nach draußen und vibrieren in meiner Brust und bringen mein Herz dazu im selben Rhythmus zu schlagen. 

„Bist du schon tot, oder atmest du wieder?", ziehe ich Lina auf, die die Augen verdreht und dann zu lachen beginnt. Ich stimme mit ein und hake mich bei ihr ein. Zusammen schließen wir uns den anderen eben eingetroffenen Gästen an und je näher wir dem Eingang – der den Eingang zur Hölle symbolisiert – kommen, desto lauter wird es. 

Gangs of Sinaloa - Cruel LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt