Schwere Schritte

104 13 4
                                    

ROSA

„Ich bin hier, um Lebewohl zu sagen, Mama"

***

Diese Schritte, die ich nun gehe, sind die schwersten meines Lebens. Denn sie bedeuten, dass ich Culiacán und damit meinen Vater für immer verlasse. Und das bricht mir das Herz, zu wissen, dass ich nie wieder zurückkann – zumindest solange, bis sie Guzman für den Tod an Gandia verantwortlich machen -, liegt schwer auf meinem Gewissen.

Mein Vater und die anderen Mitglieder der Estrellas, sowie Santiago, Pepe und sogar Jesus können nichts dafür und haben schon genug für uns geopfert. Vielleicht ist es für sie sogar eine Befreiung, uns nicht mehr decken zu müssen. Aber weh tut es trotzdem und ich weiß nicht, ob ich das wirklich schaffe.

Ich stehe unten an der Bucht, an der Stelle, wie vor ein paar Tagen. Ich konnte nicht einfach so zu meinem Vater gehen, denn vielleicht observieren sie ihn und nur hier kann er sie abschütteln.

Denn, wenn man den versteckten Weg nimmt, der zur Bucht führt, wird man wie vom Erdboden verschluckt. Als würde man nicht mehr existieren und diesen Weg kennen nur wir beide.

Das Rauschen der Wellen durchbricht die malerische Stille an diesem Novembertag. Ich ziehe die Jacke enger um mich, als mich die frische Brise erfasst und sauge den Geruch von Salz tief in meine Lunge. Schon bald werden wir das in Hülle und Fülle um uns haben, denn der Plan steht. 

Der Frachter ausgesucht und Guzman kümmert sich, währenddessen ich mich von meinem Vater verabschiede um den Kapitän, den wir schmieren müssen, damit wir als blinde Passagiere mitfahren dürfen. Unbemerkt von allen Radaren der Polizei, die uns beide viel lieber hinter Gittern sehen würde als uns am Strand liegend mit einem Mai-Thai in der Hand. Die Sonne brennt uns auf die Haut und wir können ungestört ein Leben aufbauen, das nichts mit Kartellen, Polizei oder sonst etwas zu tun hat. Was das genau ist, weiß ich nicht, aber das lässt sich sicherlich herausfinden.

„Ein schöner Tag, m'ija, nicht wahr?", reisst mich die Stimme meines Vaters aus meinen Gedanken. Ich wirble herum und lächle, stürze mich in seine Arme und halte ihn ganz fest. Der vertraute Geruch nach Seife und Motorenöl steigt mir in die Nase und lässt mir die Tränen in die Augen steigen.

„Ich hab dich vermisst", wispere ich und beiße mir auf die Lippen. Seine Hände halten mich fest, genau, wie in meiner Kindheit. Am Tag von Mamas Beerdigung, als ich vom Fahrrad gestürzt und mir das Knie aufgeschürft habe, oder als ich das Vollstipendium bekommen habe. Alles Stationen meines Lebens, die er an meiner Seite war. Unablässig und mit väterlichem Stolz. Selbst, dann, wenn ich gescheitert bin, war da das Funkeln in seinen treuen Augen, dass mir nun für immer fehlen wird.

Will ich das? Kann ich ihn überhaupt verlassen?

Er hat doch nur noch mich ...

„Wie geht es dir, mein Schatz?", fragt er und löst sich ein Stück, hält mich trotzdem noch in seinen Armen. Ich schlucke die Tränen runter, doch verhindern kann ich dabei nicht, dass sich eine doch noch aus meinem Augenwinkel löst. Mein Vater streicht sie mit einem milden Lächeln weg und betrachtet mich mit einem Ausdruck, den ich nicht deuten kann.

Ist es angst, Sorge, oder doch die Gewissheit, dass das unser letztes Treffen wird?

Mein Herz wird schwer und rutscht mir sprichwörtlich in die Hose. Auf einmal will ich das nicht mehr, will mich nicht von meinem Vater verabschieden.

Doch, als hätte er meine aufsteigende Panik gespürt, legt er mir die Hände auf die Schultern und sieht mir fest in die Augen.

„Ich will nicht, dass du wegen mir hierbleibst", setzt er an und bestätigt damit meine Vorahnung. Ich schüttle den Kopf, doch er spricht weiter.

Gangs of Sinaloa - Cruel LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt