Neue Flügel fliegen höher

~Zwischen Realität und Vorstellung~

Für einen sehr großen Moment saßen die beiden schweigend am Küchentisch. Tatsuya brauchte etwas um das was er da erfahren hatte zu verarbeiten. Falls das überhaupt so schnell ging. Tausend fragen flirrten durch seinen Kopf, dass ihm fast schwindelig wurde.
„Kann ich dich mal was fragen?", flüsterte Tatsuya schließlich.
„Schieß los."
„Wie hast du dieses Chaos in deinem Kopf ausgehalten?"
„Wie meinst du das?"
„Naja...als du...gemerkt hast das...du...du..."
Tatsuya sah hilflos auf. So durcheinander wie in diesem Augenblick war er noch nie. Er traute sich ja nicht mal auszusprechen, was ihm auf der Zunge lag.

„Gar nicht", erlöste Sora ihn. „Ich war vermutlich genauso durcheinander wie du jetzt. Aber so blöd das auch klingen mag, davor wegrennen, oder versuchen es zu verdrängen hilft nicht. Das macht auf Dauer nicht glücklich, glaub mir", ergänzte er und versuchte sich an einem aufmunterndem Lächeln.
„Du meinst also ich soll es einfach hinnehmen?"
„Warum denn nicht? Wenn du meine Meinung wissen willst, ich finde euch zwei zusammen echt niedlich."
„A-aber wie soll ich denn...was...wann...", stotterte Tatsuya, als er an all die flüchtigen Momente der letzten Monate zurückdachte.
„Das Beste ist, wenn du dich erst einmal wieder beruhigst", sagte Sora fast schon streng, stand auf und wuschelte Tatsuya durch die Haare. Dann setzte er sich aufs Sofa und schaltete den Fernseher an.

„Na komm wir gucken etwas. Dann können wir beide runterfahren."
Sora drehte sich und klopfte auf den freien Platz auf dem Sofa. Tatsuya zögerte kurz. Er hatte immer noch so unendlich viele Fragen, aber er konnte Sora ansehen wie viel Kraft ihn die Geschichte gekostet haben musste.
Später, dachte er noch und kuschelte sich schließlich neben Sora aufs Sofa.

Sehr zu Tatsuyas leiden lenkte das Fernsehprogramm kein bisschen ab. Er starrte seit Minuten auf den Bildschirm, konnte aber nicht sagen um was es in der Serie oder dem Film - nicht mal das wusste er - ging. Sein Kopf schwirrte nach wie vor. Seit er wusste was Sora in der Mittelschule durchmachen musste, suchte er nach Anzeichen, die er übersehen haben könnte.

Er fühlt sich wirklich schlecht. Er war so mit sich beschäftigt gewesen, dass er Sora gar nicht mehr richtig wahrgenommen hatte. Wenn er ehrlich war, musste es für Sora echt schwer gewesen sein zusätzlich auch noch sein blödes Gejammer zu ertragen.

Im vollen Kontrast zu seinem Schlechten Gewissen gesellte sich zudem ein Hauch von Wut. Warum hatte Sora nicht mit ihm geredet? Warum war er lieber zu diesem Arsch gegangen?
„Sora?", hauchte Tatsuya leise. Er wollte nicht wieder anfangen, aber die Fragen in seinem Kopf wollten einfach keine Ruhe geben.
„Hm?"
„Warum bist du nicht zu mir gekommen..."
„Hab i-"
„Ja, hast du erwähnt. Ich mein...warum bist du nicht trotzdem zu mir gekommen? Ich weiß ich hab' viel gejammert, aber ich hätte dir immer zugehört", sagte Tatsuya und knete das Kissen, das er seit zwei Stunden fest umklammert hielt.

Sora wagte nicht seinen Blick vom Fernseher zu nehmen.
„Das trifft dich ziemlich nicht wahr? Kann ich aber auch verstehen...Und wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht mehr genau warum ich damals nicht zu dir gegangen bin."
„Vermutlich, weil du eh nie gern über dich redest", sagte Tatsuya traurig. „Wäre Yui damals nicht auf meine Mutter zugegangen hätte ich das von deiner Familie vermutlich auch nie erfahren."

„Tut mir wirklich leid. Ich weiß damit ist es nicht getan, aber ich verspreche dir, dass ich mich ab heute bessere. Und ich werde dir auch helfen dein Gefühlschaos in den Griff zu bekommen", sagte Sora und sah jetzt zu seinem Freund.
„Kann das nicht einfach wieder weg gehen?", jammerte Tatsuya und vergrub sein Gesicht im Kissen.
Sora lächelte schwach.
„Ich fürchte nicht, nein."
Er konnte ein dumpfes grummeln hören.
Kein Wunder, dass es Kageyama erwischt hat. Der kleine ist zu süß für diese Welt, dachte Sora und schmunzelte nun. Er lehnte sich zurück und ließ den Blick durch den Raum schweifen.