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Revali


Eine Schneeflocke berührt meinen Schnabel, während ich zusehe, wie diese ungeschickte Hylianerin versucht, die Sehne ihres Bogens zu spannen. Wenn ich nicht so genervt von der Tatsache wäre, dass mir die Frau wertvolle Zeit raubt, hätte ich über ihren Anblick gelacht, der ungefähr dem eines unbeholfenen Kükens gleicht, das zum ersten Mal einen Bogen im Flügel hält.

»Was in Hylias Namen machst du da eigentlich?«, frage ich sie ungeduldig.

Das Mädel hebt ihren Blick und sieht mich unschuldig an. »Ich spanne den Bogen, so wie du es mir gesagt hast«, erklärt sie mir kurz angebunden und hantiert erneut ungelenk an der Sehne herum.

»Der arme Pfeil!«, murmle ich und klatsche mir mit den Fingerfedern gegen die Stirn. »Und so habe ich dir das bestimmt nicht erklärt.«

Wieder legt die Hylianerin den Pfeil an die Sehne. Das Wurfgeschoss verheddert sich, gleitet zu Boden und fällt in den Schnee. Augenblicklich bückt sie sich um das verlorengegangene Ding und hebt es auf.

Ich seufze. Nun kann ich dieser angeblichen Auserwählten nicht mehr zusehen. Meine Geduld ist am Ende. Ohne zu zögern, entreiße ich ihr den Bogen aus der Hand und nehme auch den misshandelten Pfeil in die Flügel.

»Was du gerade tust, hat nichts mehr mit Bogenschießen zu tun, das ist eine pure Folterung einer majestätischen Waffe.«

Mit üblicher Konzentration spanne ich den Bogen auf die Sehne. Doch anstatt ein verärgertes Schnauben oder ein trauriges Schluchzen, vernehme ich ein unterdrücktes Lachen. Fassungslos drehe ich mich zu ihr um und sehe gerade noch, wie dieses Balg die Hand vom Mund nimmt.

Ich strafe die Hylianerin mit einem Blick der höchsten Empörung, senke den Bogen wieder und stapfe auf sie zu. Meine Wut nimmt zu, als ich bemerke, dass sie bei meinem Anblick nicht einmal zusammenzuckt.

»Der Schnee trübt wohl meine Sinne. Ich dachte schon, du hättest mich ausgelacht.« Den warnenden Ton in meiner Stimme verberge ich nicht.

Doch anstatt sich zu beherrschen, zuckt sie mit den Achseln und lacht wieder unbeherrscht auf. »Entschuldige die pure Folterung, aber ich dachte, da du dich als großartigen Helden und Lehrmeister angepriesen hast, wüsstest du, dass es von Vorteil wäre, deinen Lehrling erstmal in die Handhabung der majestätischen Waffe einzuweihen.«

Verbissen bin ich darum bemüht, meine Verärgerung über die Tatsache, dass mich dieses Weib soeben verspottet hat, runterzuschlucken. Wie kann sie es wagen, mich, Revali, den großen Krieger, zu verhöhnen. Eigentlich sollte ich sie zu einem Kampf herausfordern, dann könnte diese einfältige Göre zeigen, was sie draufhat, schließlich soll sie doch die Auserwählte sein. Stattdessen juckt es mich aus irgendeinem Grund in den Federspitzen, mich zu beweisen. Die Kleine soll staunen. Sie soll es bereuen, mich ausgelacht zu haben.

»Du willst eine Einweisung?«, grummle ich mit verschwörerischer Stimme. »Die kannst du haben.«

Ich greife nach dem Köcher, der zu Shanias Füßen liegt und schnalle ihn auf den Rücken. Bevor ich loslege, wende ich mich noch einmal ihr zu und sage: »Sieh zu und lerne!«

Konzentriert fixieren meine Augen die Ziele, die an der grauen teils angeschneiten Felsenwand angebracht sind. In Sekundenbruchteil plane ich die Reihenfolge, in der ich die Scheiben treffen will, dann lege ich los. Still sieht mir die Hylianerin dabei zu, wie ich den Pfeil blitzschnell spanne und ihn im nächsten Augenblick durch die Luft sausen lasse. Der Pfeil trifft sein Ziel. Im Anschluss durchbohre ich fünf weitere Scheiben im untersten Bereich der Wand. Es hat nicht mal 5 Sekunden gedauert. Nun sind die oberen Ziele dran. Ohne Vorwarnung springe ich in die Luft und beschieße weitere Scheiben. Natürlich treffe ich sie alle genau in der Mitte. Nun kann ich mir vorstellen, wie dem vorlauten Mädel die Kinnlade vor Erstaunen herunterfällt. Doch das war noch längst nicht alles, ich bin noch nicht fertig. Sechs Ziele sind noch übrig... und ich werde alle beinahe gleichzeitig treffen. Mit einem Seitenblick zu Shania hüpfe ich nochmal in die Höhe. In Sekundenbruchteil spanne ich drei Pfeile gleichzeitig und lasse sie durch die Luft zischen. Einen Wimpernschlag später ziele ich wieder und wiederhole den Vorgang. Grazil lande ich mit beiden Klauen auf den verschneiten Boden, während alle sechs Pfeile ihr Ziel finden, allesamt in der Mitte. Großspurig verbeuge ich vor der Hylianerin und sehe ihr triumphierend in die Augen.

Soulhunter 1 - Buch des Windes (Revali x Shania)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt