| 𝐭𝐰𝐨 |

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Sobald die Tür hinter Tae in's Schloss fiel, blieben nur Jungkook und Yeontan in ihrem stillen Apartement zurück.

"Keine Sorge.", Jungkook ging vor Yeontan in die Hocke und kraulte das schwarzbraune Fell hinter ihren Ohren, während sie auf dem perlweißen Sofa ihre Sitzposition veränderte, "Ihm passiert sicher nichts.", murmelte er ihr zur Beruhigung zu, obwohl seine Worte mehr an ihn selbst gerichtet waren.

Yeontan hob den Kopf und blinzelte Jungkook gespannt an. Ihr Hund verfolgte jeden Morgen aufmerksam dieselbe Routine: Taehyung würde das Apartement verlassen, um in's Museum zu gehen und Jungkook begann sich seine Sportkleidung überzuziehen, bevor er entweder eine Runde durch die Pariser Straßen joggte oder den Boxsack aufhing.

Heute entschied er sich wieder für den Boxsack. Mit einem konzentrierten Blick bandagierte er sich seine Knöchel, bevor er in ein lockeres, schwarzes Top und eine graue Sporthose von Puma schlüpfte.

Die Decke in ihrem Apartement war so hoch, dass er auf einen Stuhl steigen musste, um den schweren Boxsack am Haken über seinem Kopf anzubringen. Als er endlich hing, band Jungkook sich das schulterlange, schwarze Haar noch zu einem unordentlichen Zopf- und stellte sich dem Boxsack gegenüber.

Er atmete tief durch, während er zunächst einmal seine verspannten Schultern lockerte und die Knöchel an beiden Händen knacken ließ.

Vor seinem inneren Auge flackerten die Erinnerungen an seinen unruhigen Traum auf. Wieder einmal sah er Taehyung vor sich, wie er an einen Stuhl gekettet war.

Wang beugte sich über ihn, und dieses mal wanderte sein Messer nicht zu Taehyung's Ohr, sondern direkt zu seinem Herzen. Er schnitt ihm langsam das Herz aus der Brust, und er konnte absolut nichts dagegen unternehmen.

Taehyung schrie. Derselbe schmerzerfüllte Schrei, den Jungkook schon einmal durch sein Handy mitanhören musste.

Wuterfüllt platzierte Jungkook den ersten Schlag auf seinem Boxsack.

Wang könnte noch immer irgendwo dort draußen sein und ungeduldig auf seine Rache warten.

Die nächsten Faustschläge folgten- schnell und präzise, im Bereich der Brust, der Magengrube, im Gesicht. Er drehte sich blitzschnell um sich selbst und nutzte den gewonnenen Schwung, um von einem Fuß abzuspringen und mit dem anderen stark zuzutreten.

Jungkook führte mittlerweile ein neues Leben- ein Leben, in dem er tatsächlich etwas zu verlieren hatte. Er war so glücklich, dass es ihm mehr Angst einjagte als je etwas zuvor. Jeon Jungkook hatte alles, und damit konnte er verdammt viel verlieren.

Mit zusammengebissenen Zähnen schlug er auf das glatte Material des Boxsacks ein, mal traf er ihn mit seinen Fäusten, dann seine Ellenbogen, sein Knie, seine Sportschuhe.

Es hörte nicht auf, dass er Taehyung in seinen Träumen sterben sah, ihn für immer verlor, Nacht für Nacht.

Auch wenn er es zu Anfang versucht hatte, es war unmöglich, Taehyung etwas vorzulügen. Dieser wusste bereits, dass Jungkook nie wirklich gut schlafen konnte. Dennoch war es für Jungkook der schönste Teil des Tages, bereits einige Stunden vor Tae wach zu werden und ihn einfach nur zu betrachten. Seine Atmung und sein Herzsschlag beruhigten sich jedes Mal, wenn er nur in Taehyung's zartes, schlafendes Gesicht blickte.

Wenn er könnte, würde er diesen Mann am liebsten vor dem Rest der Welt verstecken; seine Unschuld, seine Schönheit und Verspieltheit nur für sich selbst behalten, damit die kalte Welt sie nicht verdarb, ihn nicht verletzte oder es wagte, ihm irgendetwas davon zum Vorwurf zu machen.

Sein langes, schwarzes Haar, dessen Spitzen wunderschöne, leichte Locken bildeten. Bereits mit seinen silbernen Haaren hatte er wie ein Engel ausgesehen, aber die dunklen Locken verliehen ihm etwas noch attraktiveres, etwas unendlich verführerisches. Wenn Tae ihn dazu noch aus diesen tiefbraunen Augen anblickte, die vollen Lippen aufeinandergepresst- er war ihm hilflos verfallen.

Jungkook konnte seine dunklen Ängste vergessen, solange sie zusammen waren, solange er bei ihm war, um ihn vor seinen eigenen Albträumen zu beschützen. Doch sobald Taehyung ihr Apartement verließ oder irgendein anderer Mann ihn wieder mit diesem Begehren in seinen Augen betrachtete, fiel Jungkook wieder in den tiefen Ozean seiner Furcht und etrank in seinen schmerzhaften Erinnerungen; erstickte in dem Gefühl, alles zu verlieren das er liebte.

Schwer keuchend drückte Jungkook seine Stirn gegen das kühle Kunstleder seines Boxsack's und versuchte, sich wieder zu beruhigen. Sein eigener Atem dröhnte in seinen Ohren und sein Herz hämmerte aufgeregt gegen seine Brust. Langsam schloss er die Augen und zog scharf die Luft ein. Wieso konnte er seine Vergangenheit nicht einfach hinter sich lassen?

All die Wut, die Angst, den Schmerz- er dachte seine Schatten wären einfach verschwunden, gemeinsam mit Junior, dem Menschen, der er einmal war. Doch sie waren präsenter als je zuvor, und mit jedem Tag wurden ihre Umrisse klarer, verschmolzen zu den Gesichtern von Jackson Wang, dem Butcher, Chris oder Minho.

Vielleicht fiel es ihm so schwer damit abzuschließen, weil er keine Möglichkeit gehabt hatte, einen Schlussstrich zu ziehen. Taehyung schien zu glauben, dass Jungkook sein altes Leben vollständig hinter sich gelassen hatte, doch seine Vergangenheit war noch immer ein Teil von ihm. Ein Teil der atmete, der ihn mit gespitzten Ohren schlafen ließ und der ihm immer wieder die Gesichter seiner Feinde in einer großen Menschenmenge vor Augen führte.

Seufzend nahm er die Bandagen wieder ab und ging unter die Dusche, um den Kopf frei zu bekommen. Das heiße Wasser massierte seine Schultern und reinigte seine verschwitzte Haut, während er sich die Haare mit Shampoo einrieb.

Er brauchte wohl einfach mehr Zeit um sich daran zu gewöhnen, dass sie endlich in Sicherheit waren. Wenn Taehyung morgends unbesorgt das Haus verlassen konnte, würde er es auch irgendwann schaffen.

Nachdem er sich abgetrocknet hatte, zog er sich ein weißes Hemd über und schlüpfte in eine frische, schwarze Jogginghose. Ihm blieb noch etwas Zeit, bevor seine Schicht im Cafe begann, also machte er sich einen heißen, schwarzen Kaffee.

Dabei fiel sein Blick auf die Zeitschrift, die im Esszimmer auf dem kleinen, runden Glastisch lag. Sie war aufgeschlagen worden, damit Taehyung den Artikel über den neuen 'Golden Closet' lesen konnte, den das Museum vor ein paar Wochen veröffentlich hatte.

Unglücklich verzog Jungkook das Gesicht und überflog den Artikel flüchtig. Auch wenn Taehyung sich über diese Seiten gefreut hatte- Jungkook befürchtete, dies würde eine wunderbare Spur zu ihnen beiden abgeben.

So sehr er das Malen liebte, genau aus diesem Grund hatte er sich für einen weiteren Job als Kellner beworben, denn die dauerhafte Kooperation mit irgendwelchen Museen und Kunstsammlern waren wie Türen zu seiner dunklen Vergangenheit.

Und es war nur eine Frage der Zeit, bis einer seiner Schatten aus dieser Tür in ihr neues Leben treten würde.

___note____________
Bild: Jeon Jungkook (suffer from his hotness)

Poor Jungkookie~

Hoffe es hat euch gefallen!

xoxo

Liza

Serpents | taekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt