Serpents | taekook

| 𝐭𝐡𝐢𝐫𝐭𝐲-𝐧𝐢𝐧𝐞 |

Wir sterben ständig.

Nicht unbedingt auf eine endgültige, unwiderrufliche Art- im Laufe unseres Lebens lösen wir uns jedoch kontinuierlich auf; in einer neuen, besseren Version von dem, der wir zuvor gewesen sind.

Indem wir lernen, indem wir neue Menschen treffen- alte Gewohnheiten aufgeben und Ungewohntes ausprobieren.

Unsere Tode kommen langsam, schleichend- und bevor wir es überhaupt realisiert haben, sind wir bereits jemand ganz anderes.

Die Erinnerungen bleiben, doch es kommen neue Erfahrungen, neue Menschen, ein neues Umfeld, um uns schließlich ein neues Gesicht zu geben.

Was passiert also mit dem Menschen, der wir vorher gewesen sind?

Wer trauert um das innere Kind, das wir verloren haben, als wir erwachsen wurden?

Es gibt keinen Abschied, keine Beerdigungen für die Versionen von uns, die durch Neue ersetzt werden.

Wir sterben ständig.

Und für gewöhnlich spüren wir es nicht einmal.

Aber es gibt Ausnahmen.

Als Jeon Jungkook an jenem regnerischen Frühlingsabend seine Augen aufschlug, konnte er genau fühlen, dass er aus seinem eigenen Grab erwachte.

Der Jungkook, der sein Leben damit verbracht hatte, wegzurennen und Schulden zu begleichen- der war gestorben, mit vier Kugeln in seiner Brust.

Seine hellbraunen Augen zuckten konzentriert über die weiße Decke, studierten die grelle Neonlampe über dem unbekannten Bett, in dem er lag.

Etwas hat sich verändert.

Er lauschte dem rhythmischen Trommeln der Wassertropfen vor dem Fenster und nahm einen tiefen Atemzug, der beruhigende Geruch von frischem Regen in seiner Nase.

"M-Mr. Jeon!", rief die Stimme einer Frau zu seiner rechten Seite- und kurz darauf beugte sich eine Krankenschwester über sein Bett, um ihn von dem EKG zu entkabeln und vorsichtig aufzusetzen.

Jungkook starrte blinzelnd zu Boden, während die Ärzte in das Zimmer kamen, ihm Fragen stellten, die er knapp beantwortete und seinen Zustand untersuchten.

"Heilige Sch-"

Alle Blicke wandten sich zur Tür, in welcher Lee Minho erschien und eine kleine Packung bunter Smarties fallen ließ, die sich mit einem lauten Klappern auf dem glatten Zimmerboden verteilten.

Er breitete beide Arme aus: "Du bist wach!", das Grinsen zog sich über sein gutaussehendes, bleiches Gesicht, doch es hielt nur wenige Sekunden- dann verwandelte es sich in einen Ausdruck von purem Schock:

"Oh fuck, du bist wach!", er führ sich überfordert durch sein dunkelbraunes Haar.

Jungkook seufzte schwer und richtete sich wieder an die Ärzte um ihn herum:

"Es geht mir gut.", ertönte der gewohnt sanfte Ton seiner Stimme und er schwang vorsichtig die Beine aus dem Bett.

Minho trat vorsichtig in das Zimmer und verbeugte sich knapp vor den Ärzten, als sie sich an ihm vorbei schoben, bemüht darum, nicht auf die Smarties zu treten.

"Wie lange?", wollte Jungkook wissen, den Blick weiterhin zu Boden gerichtet.

"Ungefähr ein halbes Jahr.", antwortete Minho und Jungkook schloss die Augen.

Sechs Monate sind eine lange Zeit.

Der Butcher musste ihn für Tod halten und die Serpents würden wohl nicht mehr mit ihm rechnen- was ihn zu seiner wichtigsten Frage brachte.