„Hey ist hier noch ein Platz frei?", ertönte eine mir wohlbekannte und gegenwärtig stark verhasste Stimme. Ohne mich zu Noah umzudrehen, repliziere ich: „Ist der Idioten-Tisch nicht dort?" Meine Zeigefingerspitze sticht in die Richtung des Tisches, an welchem ich am ersten meiner Tage in dieser Irrenanstalt Platz genommen hatte. Wie bereits erwartet, sitzen an jenem Punkt die bekannten Gesichter von Noahs Arschlochtruppe und starren sehr unauffällig zu uns herüber.
Der Hochgewachsene räusperte sich verlegen. „Ich würde mich gerne bei dir entschuldigen, Valea. Deine Nähe gefällt mir und ich wollte keineswegs eine Chance auf einen Ausbau dessen mit meinem kindischen Verhalten verspielen." Während seines Geplappers hatte ich mich zu ihm umgedreht.
Es war lächerlich anzusehen. Diese Worte trugen keine Ehrlichkeit in sich und sie waren auch nicht gerade sorgfältig zusammengelegt. „Heb dir deine geheuchelte Entschuldigung für jemanden auf, der sie hören möchte. Wie du zur Annahme kamst, du hättest irgendeine Erfolgsaussicht auf eine Freundschaft mit mir, weiß ich nicht, denn sie ist fälschlich. Ich bin schließlich keine Proktologin, also warum sollte ich den Kontakt zu Arschlöchern wie dir pflegen?" Um nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, versuchte ich meine Stimme nicht zu heben. Allerdings war das leichter gedacht, als getan. Ich musste mich stark zurücknehmen, um nicht durchzudrehen.
Dem Idioten schaute ich tief in seine leider relativ schönen Augen. Er schien zuerst perplex zu sein, warum ich ihn angiftete, obwohl er sich doch entschuldigt hatte. Doch dann erleuchtete es anscheinlich Noahs winziges Hirn. Dieser Kindergarten wurde mir recht schnell zu bunt, weshalb ich schnellen Schrittes das Schulgelände verließ. Was interessierte mich schon dieser blöde Unterricht, ich würde ja sowieso nicht zuhören.
Früher hatte ich oft geschwänzt. Nicht weil mir ständig Diskussionen, wie diese widerfahren waren. Nein, ich ging lediglich nicht zur Schule, weil man es von mir erwartete. Ich rebellierte gegen die mir aufgetischte Bildung, die mich in ein System stecken sollte. Man ging in die Schule, um zu lernen und später einen Beruf, der Gesellschaft dienend, auszuüben. Während dieser Zwangsformung wurde man von ebenfalls dem System Erlegenen nach Kriterien, die den eigenen Prioritäten überhaupt nicht entgegenkamen, bewertet. Eine ganze Angelegenheit zum Nutzen anderer, getarnt als Privileg eines Industrielandes. Man versuchte mir ein Leben aufzuzwingen, nur weil jeder, der es so leben wollte, die Hilfe der anderen dazu benötigte.
Überspitzt und einseitig gesehen war das Ganze ein großes Projekt neuer Sklaverei. Um eben dies nicht zu unterstützen und gleichermaßen auch, um wieder von der nächsten Pflegefamilie abgestoßen zu werden, schwänzte ich den Unterricht und baute Scheiße. Ich war keine durchtriebene Kriminelle, aber ich neigte nun mal auch dazu, Dinge zu tun, die der gesellschaftlichen Moral und somit auch manchen Gesetzen widersprachen.
Ich verfiel zurück in alte Muster. Vielleicht war es Langweile oder meine Gefühle, welche gerade verrücktspielten. Der Grund war egal. In meiner Blindheit gefangen betrat ich den Kiosk. Viele Regale waren aufgestellt, sodass sie kleine Gänge ergaben. Vorbei an einem für Kinder paradiesischen Kaugummispender verfolgte ich mein Ziel.
Die Stellage vor mir war zweigeteilt, der untere Teil voller Schokoladen- und Müsliriegel, während ab Brusthöhe an Zigarettenschachteln eingereiht waren. Tabak verband und trennte gesellschaftliche Schichten. Wenn ein älterer Geschäftsmann zu einem Glas Whiskey und einer Zigarette einlädt, wird es anders aufgenommen, als eine alleinerziehende Mutter, die gleich drei Päckchen Zigaretten kauft und das auch noch im Beisein ihrer kleinen Kinder. Es könnte dieselbe Sorte sein und es wird trotzdem anders gewertet.
Mit einem schnellen Schulterblick greife ich nach der roten Packung Kippen und stecke sie unbemerkt in meine Jackentasche. Ich möchte gerade den Ausgang ansteuern, als mich eine Stimme aufhält.
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ᖴᗩᑌSTSᑕᕼᒪᗩG ᑎᗩᑕᕼ ᒪIEᗷE!
Teen FictionGegensätze ziehen sich an, nicht wahr? Doch was passiert, wenn zwei Rebellen aufeinander treffen? Stoßen sie sich ab? Oder rebellieren sie auch gegen diese Theorie? Valea Konstantinova hat jeglicher Art von zwischenmenschlicher Beziehung schon vor l...