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Nachdem Noah mir eine zwei Liter Flasche Wasser in die Hand gedrückt hatte, vergingen die darauffolgenden Minuten schweigend. Zwischendrin war das gluckende Geräusch des Wassers, welches meinen Hals runterrannte, zu vernehmen. Ansonsten herrschte eine unangenehme Stille.

Noah schrieb mit irgendwem über sein Handy, während ich den Raum begutachtete. Die Einrichtung war nicht gerade modern, allerdings wirkte sie auch nicht zu altbacken.

Das schlichte Ledersofa mit passenden Sesseln, auf dem einen hatte der Esel, der sich Noah Moretti schimpft, seinen Fettarsch geparkt, hinterließ einen beruhigenden Eindruck bei mir. Der Rest des Wohnzimmers war mit mediterraner Dekoration geschmückt und mit gefühlt Hunderten von Familienfotos zugekleistert.

Umso länger ich mich in dem Wohnzimmer umsah, desto weniger verstand ich das strukturelle Prinzip einer Familie. Ich meine, im Endeffekt ist eine Familie auch nur ein Haufen Fremder, zu denen man seit seiner Geburt nett sein soll.

Es macht doch gar keinen Sinn, wenn man schon in einer Gemeinde lebt, sich da auch noch eine Horde Nervensägen „unfreiwillige" Freunde an zu züchten. Noahs Verwandtschaft scheint riesig zu sein, wenn ich mir mal so diese ganzen Bilder betrachte. Apropos Noah!

Komplett in meine Noemata gesellschaftlicher Zwangsstrukturen vertieft, sehe ich erst jetzt wieder zu ihm. Sein Blick scheint bereits auf mir zu liegen. Als er bemerkt, dass ich ihn beim Starren erwischt habe, wird er zu meinem Missfallen nicht rot. Nicht mal ein bisschen rosa. Stattdessen studiert er anscheinend meinen Gesichtsaufbau.

Gerade als ich ansetze sein Verhalten zu kommentieren, nimmt er mir dies vorweg, indem er aufsteht und sich neben mich auf die Couch setzt. Währenddessen unterbricht er unseren Blickkontakt keine Sekunde. Ernsthaft, muss der nicht mal blinzeln?

Als seine große Hand sich auf meinen Oberschenkel legt, schlagen meine inneren Alarmglocken aus. Doch ich fühle mich taubstumm und bewegungsunfähig. Ich sollte nicht zulassen, dass er mich anfasst!

Statt etwas dagegen zu unternehmen, schaue ich allerdings lediglich weiterhin in seine glitzernden Augen. Sie sehen erinnern mich an Diamanten, so wie sie funkeln. Allerdings sind diese Juwelen in den Matsch gefallen und haben die Farbe Braun angenommen.

Der primatenähnliche Idiot beugt sich zu mir vor und streicht eine meiner widerspenstigen Haarsträhnen hinter mein Ohr. „Valea, mia ribelle", haucht er in mein Ohr und hinterlässt eine nervige Gänsehaut. Bestimmt hat er etwas in mein Wasser gemischt, sonst hätte ich ihm schon längst eine geklatscht. Ich meine, es ist doch nicht normal, dass ich mich hier von ihm begrabschen lasse.

Seine auf meinem Bein verweilende Hand, zeichnet kleine Formen auf meiner Jogginghose. Sind wir hier vielleicht im Geometrieunterricht? Ich werde ruckartig sanft aus meinen Gedanken gerissen. Seine Nasenspitze berührt die meine.

Ich spüre, wie Noah sich langsam weiter zu mir vorlehnt. Will er mich jetzt küssen oder was? Unsicherheit breitet sich in mir aus, zieht mir durch Mark und Knochen.

Wie soll ich denn jetzt reagieren? Möchte ich jenes bevorstehende? Meine Magensäure antizipiert mir meine Entscheidung.

Kurz bevor unsere Lippen verschmelzen können, um romantische Feuerwerke in uns auszulösen, drehe ich mich leicht von Noah weg und übergebe mich auf das Ledersofa.

Verlegenheit durchflutet mich. Normalerweise sind mir die wenigsten Dinge peinlich, schließlich interessiere ich mich herzlich wenig für die Denkweisen anderer Personen. Jedoch kurz vor einem eventuellen Kuss, jemandem fast auf den Schoß zu brechen, ist selbst für eine Valea Konstantinova unangenehm.

„Wow. Ich hab ja schon den ein oder anderen Korb bekommen, aber dass du mich so zum Kotzen findest, hätte ich nicht gedacht."

Dass Noah belustigt mit der Situation umgeht, erleichtert mich ungemein. „Tja, wenn ich so gut im Körbe verteilen bin, sollte ich vielleicht über eine Basketballkarriere nachdenken."

ᖴᗩᑌSTSᑕᕼᒪᗩG ᑎᗩᑕᕼ ᒪIEᗷE!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt