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Am nächsten Morgen holte mich Eliza, mit dem Radio auf vollster Lautstärke aufgedreht, ab. Wie immer erzählte sie mir die gesamte Fahrt irgendeinen belanglosen Tratsch, dem ich über die Hälfte der Zeit sowieso nicht folgen konnte. Ein wenig bereute ich es vor ihr zugegeben zu haben, dass ich Noah gar nicht so unbeschreiblich abstoßend fand.

Daher war ich gleichermaßen erleichtert, wie auch beunruhig, dass der Rotschopf heute noch kein einziges Wort in Verbindung mit jener Erkenntnis ausgesetzt hatte. Gab sie mir tatsächlich meinen so geliebten Freiraum und bedrückte mich emotional nicht unnötigerweise mit weiteren Interpretationen und Spekulationen Noah betreffend? Oder plante das Biest etwas Hinterlistiges, um ihre persönliche Auslegung von Dr. Hitch nachzuspielen mit mir in der Protagonistenrolle?

Den frühmorgendlichen Unterricht brachte ich wie immer damit zu, vor mich hin zu grübeln und den durchschnittlich hässlichen Schulhof, von den leicht dreckigen Fenstern aus, zu betrachten. Mit Lehrern legte ich mich prinzipiell erst ab der dritten Stunde an, vorher war ich einfach noch zu kraftlos. Da die Bildungswesenangestellten jedoch beinahe ausnahmslos koffeinabhängig waren, wollten jene schon vor Tageslichtoffenbarung zum Disput mit mir übergehen.

„Valea Konstantinova, ich empfinde es als äußerst unhöflich von dir, meinen Unterricht fast durchgängig mit schlafen, zeichnen und gelangweiltem Rumsitzen zu vollbringen. Du könntest wenigstens so aussehen, als würdest du dich für mein Fach interessieren.", schnauzt mich mal wieder einer dieser untervögelten, noch nicht verbeamteten Ignoranten an. Noch immer leicht schlaftrunken hebe ich meinen Kopf von dem mit Bleistiftschmierereien versauten Tisch hoch.

„Anstatt unsachliche, mir vollkommen gleichgültige Kritik an mir zu äußern, könnten Sie ihren Energieaufwand dessen ja auch der verbesserungswürdigen Gestaltung ihrer Stunden widmen und sich somit eventuell eines fernen Tages meine Aufmerksamkeit verdienen.", gebe ich ruhig zurück.

Der Kopf des Pädagogen gewinnt relativ zügig einige Nuancen rötere Farbe und in einem Zeichentrickfilm würde nun wahrscheinlich Dampf aus den Ohren des Lehrers treten. „Nachsitzen, zwei Stunden an dem heutigen Nachmittag! Und nun verlassen Sie bitte meinen Unterricht, damit dieser ungestört fortgefahren werden kann.", schmeißt man mich mit einer völlig übertriebenen Sanktion heraus.

Inwiefern bin ich nun eigentlich noch verpflichtet in der Schule zu bleiben? Schließlich hat mir der Lehrer quasi, wenn auch mit anderen Worten, nahegelegt mich von der Bildungsausgabe zu entfernen, was man auch generalisieren könnte. Vielleicht meinte er auch, ich solle nachhause gehen und mich ausruhen. Das ist durchaus so interpretierbar, meiner Meinung nach und in der Schule legt man doch viel Wert auf eigenständige Meinungsbildung. Während meines inneren Monologs schlendere ich durch die menschenleeren und mir somit wohlgelittenen Gänge.

„Warum hat man dich heute rausgeschmissen? Doch nicht deines höflichen Mundwerkes wegen oder etwa doch?", erschreckt mich seine wohlig kratzige Stimme von hinten. Noahs große Schritte eilen innerhalb kürzester Zeit neben meine vergleichsweise, zierliche Person. Genervt verdrehe ich die Augen. „Und was ist mit dir? Warst denen wohl auch zu charmant, was?", entgegne ich ihm also zynisch. „Fahr die Krallen ein, ich hab ne Freistunde. Und ich will mit dir reden.", versucht er mich zu besänftigen, was ihm, oh Wunder, nicht gelingen mag.

„Sinnloseste Aussage des heutigen, nun beendeten Gesprächs, herzlichen Glückwünsch! Ersten reden wir bereits die ganze Zeit miteinander oder wie würdest du diese Tätigkeit sonst benennen? Außerdem habe ich dir bereits mitgeteilt, dass du dir deine gefakte Entschuldigung rektal einführen kannst. Ich habe keinerlei Interesse, dieselben Floskeln zu hören, die ihr Typen euch gemeinsam in den Spotkabinen für solche Aktionen ausdenkt und dann jedem zweiten Mädchen mit gekräuselter Stirn vorsäuselt, wie in ein einem schlechten Film."

Gerade als ich in Richtung Schulbibliothek abbiegen möchte, hält mich der Kotzbrocken auf, indem er meinen Arm umschließt. „Wie oft muss ich noch betonen, dass du mich nicht anpacken sollst. Nimm deine Hand weg oder ich werde gleich auch mal handgreiflich." Ein herablassendes Schmunzeln durchquert sein Gesicht, jedoch lässt er von mir ab. „Bitte lass mich mein Verhalten erklären, wenn du schon keine Entschuldigung hören möchtest. Komm mit auf den Schulhof.", bittet er mich. Nachgiebig, wie es sonst gar nicht meine Art ist, gehe ich mit ihm. Begründen kann ich jene Entscheidung keinesfalls, doch es fühlte sich in diesem Moment ganz einfach richtig an.

ᖴᗩᑌSTSᑕᕼᒪᗩG ᑎᗩᑕᕼ ᒪIEᗷE!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt