„Hallo? Valeria? Bist du das?", nervt mich Bethanys aufdringliche Stimme, aus einem anderen Raum heraus. „Jo.", gebe ich ihr eine knappe Antwort, will schon die Treppe hochstürme, als mich eine Hand an meinem Arm daran hindert. „Was denn noch?", fauche ich sie an. Bethany ist meine neue "Mutter", allerdings ist sie genauso wenig meine Mom, wie ihr Mann, Scott, mein neuer "Vater" ist. „Ich wollte nur sagen, dass wenn du abends alleine unterwegs bist, du mich gerne anrufen kannst, damit ich dich irgendwo abholen kann. Es ist um diese Uhrzeit nicht mehr sicher, alleine als Mädchen draußen rumzulaufen." Sie lächelt mich unsicher an, als würde sie daran zweifeln, ob sie richtig mit mir spricht.
Ich kenne diesen Blick nur zu gut, am Anfang sind sie doch alle gleich. Sie holen dich aus dem Loch, Kinderheim genannt raus, tun so, als wärest du das Kind, das sie sich immer gewünscht haben, aber nie hatten. Geben sich Mühe, alles richtig zu machen. Inszenieren die perfekte, kleine Familie. Aber dieser Etikettenschwindel hält auch nur so lange, bis sie einen wirklich kennenlernen. Wenn die aufmüpfige, schulschwänzende Rebellin eben nicht nur ein trügender Schein, sondern die unzufrieden stellende Realität ist. Dann werde ich ihnen allen zu viel und man schickt mich zurück in das Loch, aus dem ich kam.
„Weißt du Betty, ich bin schon groß und kann alleine durch dunkele Straßen laufen, ohne mir bei jeder Gestalt, die denselben Weg passiert, in die Hosen zu machen.", spreche ich mit ihr, als wäre sie ein lernbeeinträchtigtes Kleinkind. Traurig sieht sie mich aus ihren blau-grünen Augen an. „Was ist denn hier los? Gibt Beth dir etwa Ärger, weil du zu lange weg warst, Valy Baly?", kommt Scott aus der Küche und versucht anscheinend die Situation durch Humor, welcher bei ihm nicht sonderlich gut ausgebaut zu sein scheint, zu lockern. Die Augen verdrehend mache ich mich aus Bethanys Griff los und laufe die Treppe hoch zu dem Zimmer.
Ich nenne es nicht "mein" Zimmer, da ich spätestens in einem halben Jahr, sowieso wieder ins Heim abgeschoben werde. Obwohl ich diesen beiden Idioten noch kein halbes Jahr gebe, die sind zu nett! Sechs Monate halten die aufgekratzte Bethany und ihr lustiger Scott nicht mit einem verzogenen Gör, wie mir, aus. Höchstens drei.
Naja jedenfalls, darf ich mit fast jedem meiner unzähligen Umzüge, natürlich auch die Schule wechseln. Deshalb ist es sozusagen zur Gewohnheit geworden, immer wieder aufs Neue, doofe Blicke und überflüssiges Getratsche geschenkt zu bekommen. Auch die üblichen Lass-Uns-Freunde-Werden-Anfragen bleiben nicht aus, jedoch wimmele ich auch diese immer gekonnt ab. Wie gesagt, Menschen sind scheiße! Trotz allem stelle ich mir einen Wecker, für morgenfrüh. Wenigstens am ersten Tag, kann ich, mich da ja mal blicken lassen.
Somit stehe ich jetzt hier, unmotivierter denn je, vor dem hässlichen Gebäude, auch als Schule bezeichnet. Auf in den Kampf! Nach nur zwei Schritten auf dem Flur, quatscht mich irgend so eine Nervensäge an. „Hey soll ich dir das Sekretariat zeigen? Du siehst nämlich etwas verloren aus, was auch selbstverständlich ist, wenn man neu ist.", redet sie sich in Rage, „Ach übrigens ich bin E..." schroff unterbreche ich sie: „Stimmt, du bist die, der ich gleich auf's Maul haue, wenn sie mich nicht in Ruhe lässt." Mit diesem Satz laufe ich einfach an ihr vorbei und suche dieses verfickte Büro.
Als ich es gefunden habe, trete ich einfach ein. „Wie kann ich dir helfen? ", lächelt mich die alte Schachtel hinter dem Kastanienholzschreibtisch an und ich frage mich lediglich, was sie mit diesem freundlichen Lächeln zu kompensieren versucht. „Bin neu. Valea Konstantinova.", antworte ich der Sekretärin lustlos und sie nickt begeistert. Vielleicht hatte sie ja auch irgendwelche bewusstseinserweiternde Substanzen heute Morgen genommen. „Ah ja, hier hab ich's, Valeria Konstantinova. Bitteschön.", grinste sie mich an und reichte mir meine Unterlagen, sowie eine Spindnummer, da sich meine Bücher in diesem befinden.
Nachdem ich mir in aller Ruhe den Weg zu meinem Spind gebahnt und dort meine Bücher geholt habe, stehe ich nun in einem menschenleeren Flur vor der Tür des Raums, in dem ich jetzt Unterricht habe. Nicht gerade zaghaft klopfe ich und platze, ohne lächerlicherweise auf ein Herein zu warten, in das Zimmer.
Ein glatzköpfiger, dicker Mann mit Brille dreht sich zu mir und entpuppt sich somit direkt als Lehrer. „Du musst die Neue sein, stimmt's?", fragt er, was ich mit einem neutralen Nicken bestätige. „Okay. Mein Name ist Herr Russell und ich unterrichte Mathematik, Informatik und Biologie. Könntest du dich bitte auch kurz vorstellen." Also drehe ich mich der Klasse zu und sehe, dass viele interessierte, wie auch belustigte oder abgeneigte Augenpaare auf mir liegen. „Ich heiße Valeria Konstantinova, aber wehe jemand nennt mich so. Ich würde ja sagen, ihr könnt mich Valea nennen, allerdings hab ich sowieso nicht vor, mit einem von euch zu sprechen, also ist das auch egal!"
Auffordernd schaue ich zu Herr Russel, welcher dann auf einen Platz in der vorletzten Reihe zeigt. Dort setzte ich mich auch hin und höre die ersten fünf Minuten sogar noch zu, ab da wurde es mir dann zu langweilig, also beobachtete ich ein wenig ein Eichhörnchen, welches deutlich unterhaltsamer ist, als der Unterricht.
DU LIEST GERADE
ᖴᗩᑌSTSᑕᕼᒪᗩG ᑎᗩᑕᕼ ᒪIEᗷE!
JugendliteraturGegensätze ziehen sich an, nicht wahr? Doch was passiert, wenn zwei Rebellen aufeinander treffen? Stoßen sie sich ab? Oder rebellieren sie auch gegen diese Theorie? Valea Konstantinova hat jeglicher Art von zwischenmenschlicher Beziehung schon vor l...