6.3 Vom Jäger zum Gejagten

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𝕯er Prinz wusste nicht wie viel Zeit vergangen war als es zwischen den Nadelriesen dämmerte

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𝕯er Prinz wusste nicht wie viel Zeit vergangen war als es zwischen den Nadelriesen dämmerte. Das Blut und die Tränen auf Ivars Gesicht waren zum Teil getrocknet, zum Teil gefroren. In seiner Apathie war es ihm aber egal.

Sie irrten durch das Dickicht ohne ein Ziel. Jeder Baum sah gleich aus und immer wieder trafen sie auf ihre eigenen Spuren. Niemand wagte es vorzuschlagen den Weg zurückzugehen. Ivar war es egal. Er hatte Freunde verloren und das Mädchen in das er sich so gerne verliebt hätte. Noch nie war er dem Aufgeben so nahe gewesen. Irgendetwas hatte ihn immer angetrieben. Aber alle, die ihm wichtig gewesen waren, waren entweder bei ihm oder tot oder hatten schon immer mit ihm als Schandfleck der Familie gelebt. Nicht einmal für seinen Vater konnte er sich aufrappeln.

Obwohl er der Jüngste und obendrauf der Bastard einer Fischerin war, hatte er ihn immer gut behandelt. Ivar war fünf gewesen als ihn seine leibliche Mutter seinem Vater als dessen Fleisch und Blut vorstellte und unter dem Toben der Ehefrau des Herzogs hatte Ivar einen Platz in der Familie gefunden. Mit 17 war er dann aufgebrochen um unentdeckte Winkel der Welt zu entdecken und als er nach fünf Jahren zurückgekommen war, hatte ihn sein Vater behandelt wie einen Helden obwohl er ihn von einem Galgen hatte schneiden müssen. Als er 24 wurde, wurde es dann Zeit für ihn ein Mädchen zu heiraten und sich nicht mehr mit den Gossenmädchen seiner Straße zu vergnügen. Da hatte sein Vater Ivar die beste Partie arrangiert von der der Prinz nur hatte träumen können.

Doch all das war nun wertlos. Also erlaubte Ivar es sich einzuschlafen als seinen Körper schlagartig alle Kräfte verließen. Er überließ es Berit und Aebbe zu entscheiden wohin es ging, es würde sowieso keinen Unterschied machen ob er wachte oder nicht.

Der Schlaf begrüßte ihn mit offenen Armen und versprach ihm seelige Ruhe, zumindest für ein paar Stunden bis er sich wieder der Wahrheit stellen musste. Die Kälte spürte er schon gar nicht mehr während er auf den Hals seines Pferdes sank und die Augen zugefallen ließ.

Als er wieder wach wurde, stand sein Fuchs an einem mickrigen Strauch und knabberte mit wenig Elan daran herum. Kurz überraschte es Ivar, dass er noch am Leben war, dann hob er den Kopf um die Lage zu sondieren. Entweder es war wieder hell, oder immer noch. Wirklich einschätzen konnte er das nicht, ihm tat alles weh und er war so erschöpft wie zuvor. Seine Trauer nahm ihn sogleich wieder in ihren eisernen Schraubstock, doch Ivar war zu ausgelaugt um erneut zu weinen.

Neben ihm stand Berit und lehnte an ihrem Pferd. Beide - Frau und Tier - sahen grauenhaft aus. Nach Aebbe musste er etwas länger suchen, dafür richtete er sich auf. Sein bester Freund saß an einer Tanne und sah nach oben. Ivar folgte seinem Blick. Das Stückchen Himmel, das zu erkennen war, war von weißen wattigen Wolken bedeckt. Schneewolken.

Der Prinz schloss die Augen. Das musste ein schlechter Scherz der Triade des Schicksals sein. Schnee, das hatte noch gefehlt. Damit ihnen die letzte Rückkehrmöglichkeit versperrt wurde. Es war doch zum wahnsinnig werden.

»Hier, iss was.«

Berit riss Ivar aus seinen trüben Gedanken. Er öffnete die Augen und sah müde zu der Kriegerin. Sie hielt ihm einen Zwieback aus dem Reiseproviant hin, doch er machte keine Anstalten sich zu rühren.

»Willst du jetzt dahinsiechen weil etwas passiert ist, dass du nicht voraussehen hast können?«

Berits Stichelei vergrößerte seinen Appetit nicht.

»Ich habe keinen Hunger.«

»Davon werden sie auch nicht wieder lebendig.«

Ivar atmete lange aus und schloss die brennenden Augen. Berit hatte recht, er ließ sich hängen. Aber sich seiner Trauer und seiner Schuld hinzugeben war so schön leicht.

»Ich weiß«, erwiderte er dünn und kraftlos.

»Akzeptiere es einfach. Das Leben geht weiter.«

Er sah wieder zu der alten Kriegerin. Sie hatte ein trauriges Lächeln im zerkratzten Gesicht.

»Das sagst du so leicht.«

Berits Lächeln rutschte ihr vom Gesicht und sie reckte sich um ihm den Zwieback zwischen die behandschuhten Finger zu stecken.

»Vielleicht ist es doch gut, dass wir deine Braut verloren haben. Dann muss sie nicht mit einem rückgratlosen Weichei zusammen leben.«

Das hatte gesessen. Ivar verzog das Gesicht als die alternde Kriegerin ihren Finger tief in die frische Wunde legte.

»Mieses Stück.«

»Dann lass dich nicht so hängen. Du bist kein Weib. Dich rettet kein Prinz. Und sie auch nicht wenn du nicht aufhörst dir leid zu tun.«

Sie bohrte weiter in der Wunde herum sodass sie pochte. Zorn kam in Ivar auf, weil sie Recht hatte. Und weil er nicht wahrhaben wollte, dass sie Recht hatte.

»Das gilt auch für dich, Aegir.«

Der Prinz biss die Zähne zusammen, schwang ein Bein über sein Pferd und ließ sich aus dem Sattel rutschen. Plumpsen traf es eher. Von dem langen Ritt und der Kälte waren seine Muskeln so ausgelaugt, dass er einknickte und beinahe im Schnee gelandet wäre.

»Na schön Berit.«

Der Zorn auf sich selbst ließ ihn zischen.

»Wir suchen weiter nach ihr. Von mir aus drehen wir jeden Stein, jedes Blatt und jeden Knochen in diesem Wald um um sie zu finden. Ich meine was haben wir noch zu verlieren außer unsere Leben?!«

In der Stille des Waldes bei Tag klang seine erhobene Stimme so fremdartig.

»Sie ist alles was du hast. Wie will ein Bastard wie du eine andere gute Frau finden? Dass sie dich überhaupt heiraten will ist mir ein Rätsel.«

Wie immer wenn ihn jemand aufgrund seiner Mutter herabwürdigte, tat es weh. Das einzige Verbrecher dieser Frau war ihre Armut gewesen. In einer anderen Welt, in der der Adel nicht seine Macht durch eingeheiratetes Geld festigen musste, hätte sein Vater die Fischerin sicher geheiratet.

»Wenn dein Vater erst mal tot ist, bekommst du nichts.«

Ivar verschränkte die Arme vor der Brust, den Zwieback noch immer in der Hand.

»Sie ist nicht nur einfach meine Lebenssicherung!«

Als hätte Berit eine Liste arbeitete sie sich durch die Dinge, die ihn wütend machten. Fast so, als hätte sie einen Plan.

Sie will mich wütend machen, damit ich aufhöre mich in Leid zu suhlen, fiel ihm auf. Es war so offensichtlich, dass er sich dumm fühlte darauf hereingefallen zu sein. Aber auf der anderen Seite hatte niemand etwas gewonnen wenn er sich in sein Grab betrauerte. Erst Recht nicht Ingram und Holmger.

Sie sind dafür gestorben. Ich sollte es also zu Ende bringen.

Neuer Kampfgeist flammte bei dem Gedanken in ihm auf und er steckte sich den Proviant zwischen die Zähne von dem Drang durchflutet sofort zu handeln. Um dem Ansehen der Verstorbenen Willen.

»Aebbe, steh auf. Es gibt eine Fürstentochter zu retten.«

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Blutbesiegelt - Hexenerbe Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt