Kapitel 15: Der Fremde

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Caroline sieht mich entgeistert an und die Worte sprudeln nur so aus ihr heraus: "Als wir im Krankenhaus waren, habe ich ihn schon mal gesehen. Er kam ziemlich durcheinander zu deinen Eltern, zusammen mit noch zwei anderen Personen und sie haben sich ein wenig von Marc und mir entfernt. Wir haben uns nichts weiter dabei gedacht. Doch dann haben sie angefangen ziemlich lange und heftig zu diskutieren. Wie gesagt, ich weiß nicht worüber sie geredet haben, da wir zu weit entfernt standen. Sie haben darauf geachtet, dass wir nichts verstehen können. Irgendwann sind die anderen dann genauso schnell wieder gegangen wie sie gekommen sind und deine Eltern haben Marc und mich dazu aufgefordert dir nichts davon zu erzählen. Aber um ehrlich zu sein habe ich eh nicht mehr daran gedacht. Bis eben." Wieder richtet sich ihr Blick zum Schultor und auch ich schaue dorthin zurück. Sofort höre ich auf zu atmen, denn der Platz, wo der Fremde eben noch stand, ist leer...

Den ganzen Schultag über muss ich an diesen Fremden Mann denken. "Warum stand er dort? Ist er wirklich wegen mir hier? Wenn ja, was will er vor mir? Warum halten ihn meine Eltern vor mir geheim?" Fragen über Fragen quälen mich den ganzen Tag hinüber. Irgendwann bemerke ich wie über Caroline meinen Arm streichelt und mich darauf aufmerksam macht, dass der Unterricht zu Ende ist. Mit einem Seufzen erhebe ich mich und ärgere mich wieder einmal, dass ich vom Unterricht nichts mitbekommen habe. Schnell möchte ich mich von den anderen verabschieden doch Marie hält mich fest. "Nathalie, wir wollen noch mal in die Stadt gehen und was Essen. Kommst du mit?" Ich spüre, dass ich eigentlich gar keine Lust dazu habe, doch vor den Sommerferien bin ich bei so etwas immer mitgegangen und die anderen würden sich nur wundern, wenn ich ihnen absagen würde. "Ja, klar. Ich ruf nur noch schnell zu Hause an."

Wir sitzen alle zusammen mal wieder in unserer Burger Bar und unterhalten uns querbeet. "Habt ihr schon gehört, Alex und Anna haben sich getrennt." "Was? Wann?" "Wohl schon in den Ferien. Haben es aber nicht groß rumerzählt." In diesem Moment kommt unsere Bestellung und ich greife sofort nach einer hausgemachten Pommes. "Ich liebe diese Pommes einfach.", sage ich und alle nicken mir zustimmend zu. Plötzlich bemerke ich, wie Marie neben mir ganz ernst wird und ihren Burger wieder weg legt. "Wo wir gerade über die Sommerferien reden... Habt ihr das von dem entführten Mädchen gehört?" Sofort verschlucke ich mich an meinem Essen und merke wie es mir eiskalt den Rücken runter läuft. Mit aufgerissenen Augen starre ich Caroline an und sie erwidert meinen Blick mit einem ebenfalls panischen Gesichtsausdruck. Meine Hände fangen an zu zittern und schnell lege ich meine Gabel wieder auf den Teller, damit die anderen es nicht bemerken. Mein Blick huscht von einem zum anderen und auch die anderen sitzen und ganz ruhig da und haben ihre Burger zur Seite gelegt.

Genau aus diesem Grund hatte ich keinen Burger bestellt. Denn jedes Mal, wenn ich ein Stück Fleisch sehe, sehe ich wie Nicoles Fleisch auf dem Grill liegt. Jedes Mal habe ich wieder ihre Schreie in den Ohren und den Geschmack ihres Fleisches im Mund. Ich kann es nicht mehr ertragen Fleisch zu essen.

"Ich hab es in den Nachrichten gehört.", fängt Rebecca an. "Ich finde so etwas ganz grauenhaft. Vor allem wenn man überlegt, dass sie genau so alt ist wie wir auch! Und dann auch noch den selben Namen hat wie Nathalie." Mit traurigen Augen schaut sie mich an, doch ich versuche ihrem Blick irgendwie stand zu halten. "Zum Glück wusste ich ja, dass du in London bist." Mit einem Lächeln wendet sie sich wieder von mir ab. Inständig hoffe ich, dass dieses Thema damit abgehackt ist, doch die anderen scheinen einen ziemlich großen Bedarf daran zu haben, weiter zu reden. "Ich frage mich nur, was jetzt aus ihr geworden ist. Und vor allem was da alles passiert sein muss. Ich stelle es mir wirklich schrecklich vor entführt zu werden." Alle murmeln zustimmend und ich habe das Gefühl an Erinnerungen zu ersticken. Ich spüre es wieder, rieche es wieder. Alles ist wieder da. Ich verspüre nur noch den Wunsch zu gehen. Nicht nur zu gehen, gar zu fliehen. Ich bekomme nur noch mit halben Ihr mit wie Caroline versucht das Thema zu wechseln. "Wollen wir jetzt wirklich beim Essen darüber reden?" Doch die anderen bestehen darauf weiter zu reden.

Willkommen in meiner ganz persönlichen HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt