Am nächsten Morgen wache ich zum ersten Mal wieder ausgeschlafen auf und muss nicht weinen. "Was ein einziger Abend mit meinem Bruder alles bewirken kann." Verschlafen lege ich mich wieder zurück in das Kissen und schließe noch einmal für einen kurzen Augenblick meine Augen. Ein komisches Gefühl überkommt mich, doch ich weiß nicht was es zu bedeuten hat. "Ich wollte irgendetwas machen, wenn ich aufgewacht bin, aber was war das nur?" Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, indem es an meiner Tür klopft. "Herein?" Ich richte mich auf und sehe meinen Bruder mit einem Frühstückstablett herein kommen. "Und wie damals auch, bist du noch immer Langschläfer.", mit einem zwinkern setzt er sich neben mich und reicht mir das Tablett. "Wofür habe ich das denn verdient?", erfreut schaue ich ihn an und sehe, dass er müde aussieht. Allerdings gibt er mir nicht die Gelegenheit danach zu fragen. "Ich dachte mir, wo wir Geschwister wieder vereint sind, können wir es uns auch mal gut gehen lassen." Ein erfreutes Gefühl macht sich in meinen Bauch breit und ich beiße genüsslich in mein Brötchen. "Ich danke dir von ganzem Herzen, Brüderchen."
Ich probiere eine Speise nach der anderen und merke wie ich wieder zu neuer Kraft komme. Mit einem zufriedenen Seufzer lehne ich mich wieder zurück und schaue aus dem Fenster. Ich schaue in den blauen Himmel und lasse mir von der Sonne angenehm das Gesicht wärmen. "Und was hast du heute mit mir vor? Zeigst du mir dein schönes Berlin?" Ich nehme an, dass mein Bruder lächelt und er kuschelt sich an mich. "Alles was du dir wünscht. Obwohl nein, Moment. Als ich das das letzte Mal sagte, hast du meine Kreditkarte vollkommen überzogen und wir mussten nach Hause laufen, weil wir kein Geld mehr hatten. Machen wir es so. Erst einmal zeige ich dir die Sehenswürdigkeiten Berlins, sprich das Brandenburger Tor und den Fernsehtrum. Und danach können wir noch in das KaDeWe fahren und du kannst dir etwas Schönes zum Anziehen raussuchen?" Mit einem breiten Grinsen im Gesicht löse ich mich von der Sonne und schaue meinen Bruder an. "Wie könnte ich da nur Nein sagen?"
"Hey, warte! Nur weil ich das erste Mal in Berlin bin, bedeutet das nicht, dass ich die Sehenswürdigkeiten überhaupt nicht kenne. Ich weiß sehr wohl, dass das der Reichstag ist, ok?" Lachend fällt mein Bruder über mich her und klammert sich so um mich, dass ich meine Arme nicht mehr bewegen kann. "Bist du dir da auch wirklich sicher?" Eingeschnappt schnappe ich nach Luft: "Pah! Nur weil DU der ältere von uns beiden bist, bedeutet das nicht, dass ich vollkommen unerfahren und dumm bin! Ja, ich bin mir ganz sicher, dass ist der Reichstag!" In einander verhakt laufen wir weiter und erkunden so Berlin.
"Was hast du bitte schön alles eingekauft? Die Tüten fühlen sich so an, als wären da Backsteine drinnen!" Mit einem erschöpften Lachen lasse ich mich auf das Sofa fallen und schaue meinen Bruder an. Er gibt wirklich einen sehr amüsanten Anblick ab: In der einen Hand hält er fünf verschiedene Tüten um in der andern mit weiteren sechs dazu stehen. "Du hast doch gesagt, ich soll mich ablenken und mir etwas schönes zum anziehen kaufen und das habe ich gemacht: Also beschwere dich noch einmal, wenn ich auf dich höre!" Mit einem lauten Knall lässt er die Tüten fallen und schaut mich an. "Das ist aber auch wirklich das einzige wo du mal auf mich hörst..." Mit einem Schmollmund schaut er mich an un dich breite meine Arme aus, damit er sich hineinfallen lassen kann. Als ich ihn fest an mich drücke kommt mir ein Gedanke: "Weißt du, dass wir uns noch genauso aufführen wie damals? Wie als wären wir nie älter geworden." Ich höre, dass er etwas antwortet, doch verstehe ich ihn nicht. "Was?" "Ich habe gesagt, dass mir das sehr wohl aufgefallen ist. Aber ich dachte mit, erwachsen sein können wir immer noch genug und du brauchst mal etwas Ablenkung. Also beschwere dich noch einmal Schwesterchen.", setzt er mit einem Augenzwinkern hinzu und vergräbt sich wieder in meiner Umarmung. Ein Lächeln gleitet über meine Lippen und ich merke, dass unsere Freundschaft nie ganz weg war.
Am nächsten Tag, werde ich nicht noch einmal mit einem Frühstück im Bett geweckt, aber es wird trotzdem nicht langweilig. Wir fahren raus ins Grüne und legen uns den ganzen Tag an den See, wo wir uns faul bräunen lassen. "Hamsterchen, ich habe Hunger." Verwirrt schaut mich mein Bruder an. "Wie hast du mich gerade genannt?" Ich drehe mich zu ihm hin und grinse ihn breit an. "Hamsterchen." "Das nimmst du zurück!" "Was? Warum denn?", unschuldig schaue ich ihn an und merke, dass ich ihn damit wirklich getroffen habe. "Das war wirklich keine angenehme Zeit gewesen..." "Ach komm schon, fast jeder bekommt nun mal seine Weisheitszähne gezogen und du sahst wirklich süß aus." "Ach und wenn fast jeder sie gezogen bekommt, wann kamen denn dann bitte deine?" "Die kamen zum Glück+, als wir beide schon getrennt lebten." In diesem Moment wirft sich mein Bruder auf mich und kitzelt mich durch. Irgendwann schnappe ich nach Luft und japse ihm zu, dass ich nicht mehr kann. "Bitte. Hör auf. Bitte!" Endlich lässt er wieder von mir ab und ich komme langsam wieder zu Atem. Mit der einen Hand wische ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel und blinzel ihn böse an. "Ich habe immer noch Hunger." "Na, worauf wartest du denn dann noch? Wir hätten schon längst fahren können."
Wir kochen wieder gemeinsam und reden den ganzen Abend noch durch. Irgendwann gähnt er und ich verabschiede mich in mein Bett, damit er sich zurück ziehen kann. In meinem Bett liege ich noch lange wach und denke nach: "Er gibt sich wirklich sehr viel Mühe für mich. Doch morgen ist wieder Montag und er muss wieder arbeiten gehen. Ich lasse nicht zu, dass er sich nur wegen mir frei nimmt. Ich werde schon irgendwie zurecht kommen und kann ihn dann Abends mit einem schönen Essen überraschen. Und Tagsüber kann ich mir die Stadt ja auch alleine anschauen, schließlich bin ich kein kleines Kind mehr!
Doch was mir aufgefallen ist, ist das er manchmal ganz abwesend ist. Wie als wäre er ganz wo anders. Nur wo? Wir haben die letzten beiden Tagen immer nur über mich oder die guten alten Zeiten geredet, doch nie über ihn. Ich weiß, dass er Anwalt ist. Doch was noch? Ich weiß noch nicht einmal, ob er eine Freundin hatte oder verliebt war. Ich denke ich kann es wagen und ihn morgen einmal darauf ansprechen. Ich bin jetzt nun einmal eine erwachsene Frau mit der er offen reden kann und die er nicht immer nur beschützen muss. Denn das tut er. Er versucht mich immer zu beschützen. Trotzdem mache ich mir Sorgen um ihn. Er sieht aus, wie als würde er seit Wochen nicht mehr richtig schlafen und irgendetwas bedrückt ihn. Vielleicht sollte ich am besten gleich zu ihm gehen und ihn fragen." Leise werfe ich meine Decke zurück und mache mich auf Zehenspitzen zur Tür. Gerade als ich sie öffnen möchte halte ich inne. "Er war vorhin so müde. Ich denke es ist besser wenn ich ihn erst einmal schlafen lasse und morgen mit ihm rede." Gerade als ich mich wieder umdrehe, höre ich wie er an meiner Tür vorbei geht. "Moment, er ist ja noch wach. Aber vorhin war er doch noch so müde? Warum schleicht er dann jetzt hier mitten in der Nacht noch rum?" Ich hebe meine Hand um die Tür zu öffnen, als ich höre wie er wieder zurück kommt und genau vor meiner Tür stehen bleibt. Wie ein ertapptes kleines Mädchen stolpere ich zurück und verkrieche mich wieder unter meine Bettdecke. "Warum nur, habe ich immer noch Angst vor ihm.", denke ich niedergeschlagen. "Er bleibt nun mal mein großer Bruder." Ich schaue wieder zur Tür, doch erkenne ich nicht, ob er noch immer vor ihr steht. Angespannt versuche ich so leise wie möglich zu Atmen und spitze meine Ohren. "Da, ein Geräusch!" Wieder klettere ich aus meinem Bett und gehe mit pochendem Herzen diesmal auf das Fenster zu.
Ich stelle mich daneben und ziehe leicht den Vorhang zur Seite. Von meinem Zimmer aus hat man einen wunderbaren Blick auf den Garten, doch nun liegt er in vollkommener Dunkelheit. Ich starre einige Minuten nach draußen, doch kann ich nicht aus machen, woher das Geräusch kam. Gerade als ich mich wieder umdrehen möchte, da meine Zehen langsam kalt werden, reißt die Wolkendecke auf und der sanfte Lichtstrahl des Mondes erhellt den Garten. Mit voller Neugier widme ich mich wieder dem Garten und schaue mir jeden Zentimeter genau an. "Warum muss ich nur immer so Neugierig sein?" Doch die Zeit vergeht und ich kann nicht herausfinden woher das Geräusch kam. "Moment. Doch, da schon wieder. Das selbe Geräusch!" Ich gehe näher an die Scheibe heran und schaue angespannt nach draußen. Mein Blick gleitet über die Gartenmöbel, doch erkenne nur wie die Wolken am Himmel weiter ziehen. Mein Blick zieht weiter, bis er an einer Bewegung hängen bleibt. Unten am Rande des Gartens ist ein Busch. Doch er scheint sie zu bewegen. Mein Atem geht schneller und ich drücke mir nun die Stirn am Fenster platt. "Was ist da?" Angestrengt kneife ich meine Augen zusammen und erkenne endlich die Szene die sich dort unten Abspielt. "Nein, das kann nicht sein! Warum kommt mein Bruder aus dem Strauch dort unten hervor? Was ist da?"
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Willkommen in meiner ganz persönlichen Hölle
HororWie beginnt man am besten eine Geschichte, die ein Leben für immer veränderte? Welche Gedanken und Gefühle schreibt man auf? Wie soll man erklären können, was man selber nicht versteht? Welchen Sinn hat ein Leben, in dem es keine Hoffnung mehr gibt...