Kapitel 8: Verrat

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Ich sitze da und Tränen strömen meine Wangen herunter. Meine Lippen formen sich zu lautlosen Schreien und ich habe das Gefühl, dass alles zusammenbricht. Ich nehme Hände war, die nach mir greifen, die mich in eine feste Umarmung ziehen wollen. Hände die mir Halt geben wollen. Doch ich möchte diese Hände nicht mehr spüren. Möchte sie nicht mehr wahrnehmen, denn sie haben mich verraten.

Zu all den Szenen in meinem Kopf gesellt sich mir nur eine Frage: "Warum hat er das getan? Warum musste er mich ausgerechnet jetzt dieses Kleid zeigen? Er hat mich doch befreit. Er weiß doch wie es in dem Keller aussah. Warum wusste er nicht, was für Reaktionen dieses Kleid in mir hervorrufen würde? Warum konnte er es sich nicht denken?"

Ich breche auf meinem Bett zusammen und rolle mich zu einer Kugel zusammen. Ich spüre, dass sich um mich herum einiges bewegt, doch ich lasse es nicht an mich heran. Ich möchte alleine sein. Ich höre immer wieder Schreie, doch ich weiß, dass sie nicht aus der Gegenwart kommen. Sie sind in meinem Kopf:

Ich sitze wieder auf meiner Matratze und sehe Nicole auf den Boden gefesselt. Ihr Bruder kniet neben ihr, in der Hand den Fleischbeil. Er ist hoch erhoben und senkt sich in den Sekunden eines Wimpernschlages herab. Blut spritzt in alle Richtungen, ihr Oberschenkel schnellt in die Höhe und wir schreien. Wir schreien beide uns die Seele aus dem Leib. Ich zittere am ganzen Körper und ich möchte den Blick abwenden, doch ich kann es nicht. Ich kann nur da sitzen und dabei zusehen, wie er seine eigene Schwester verstümmelt.

Schweiß bildet sich auf meiner Stirn und ich werfe den Kopf von der einen auf die andere Seite. "Nein. Nein", immer wieder wimmere ich vor mich her. Ich bin gefangen in meinen eigenen Erinnerungen.

Irgendwann fängt sich der Schleier vor meinen Augen zu lichten und der Schmerz fängt an nach zulassen. Noch immer habe ich das Gefühl zu ersticken, doch mein Körper ist wie betäubt. Ich schlage die Augen auf und erkenne, dass ich mich noch immer in meinem Krankenhauszimmer befinde. Mutlos schaue ich zur Seite und sehe, dass Sabrina auf einem Stuhl neben meinem Bett sitzt. Sie liest in einer Zeitschrift und hat noch nicht gemerkt, dass ich wieder erwacht war. Ich überlege, ob ich die Augen wieder schließen sollte, damit ich meine Ruhe habe, doch ich entscheide mich dagegen.

"Hallo." Mit einem zucken schreckt Sabrina zusammen und starrt mich an. "Nathalie, du bist ja wach." Mit einem Nicken wende ich mich wieder von ihr ab, denn ihr Blick sagt mir mehr, als ich wissen wollte. "Sie bemitleidet mich. Wieder einmal werde ich bemitleidet." "Nathalie, wie geht es dir?", mit ruhiger Stimme spricht sie auf mich ein, doch ich spüre wie angespannt sie ist. Ich beobachte wie eine kleine Amsel gerade in einem Baum gelandet ist und ihre Federn säubert. Meine Atmung wird langsam gleichmäßiger und ich versuche mich nur auf den Vogel zu konzentrieren. "Nathalie?" Mit genervter und gereizter Stimme gebe ich Sabrina ein "Keine Ahnung." zurück. Schon im selben Moment bereue ich meine barsche Antwort, doch ich hoffe, dass sie ihre gewünschte Wirkung zeigt und Sabrina mich endlich in Ruhe lassen wird. Doch aus irgendeinem Grund bleibt sie.

"Darf ich dich etwas fragen Nathalie?" Ich wende den Blick von der Amsel und starre nun die gegenüberliegende Wand an. "Habe ich denn eine andere Wahl?" Ich höre wie Sabrina seufzen muss und ihre Zeitschrift zur Seite legt. "Nathalie, wir wissen alle nicht, was in diesem Keller passiert ist. Du möchtest deine Eltern nicht sehen und das haben wir nun auch akzeptiert. Die einzige Person die du an dich heran lässt ist Christoph. Warum? Warum vertraust du ihm, aber niemanden sonst?"

Sofort schnürt sich meine Kehle zu und ich habe das Gefühl von neuem zu ersticken. Ich sehe, dass lila Kleid vor meinem geistigen Auge und spüre den erneuten Verrat. Denn das war es was er getan hatte. Ich hatte ihm vertraut, doch er hat mich in die Ecke getrieben und Verraten. Mit brüchiger und leiser Stimme antworte ich Sabrina: "Ich vertraue ihm nicht." Ich sehe wie sie überrascht eine Augenbraune nach oben zieht und ihre Stirn falten wirft. "Aber er war doch die letzen Tage immer bei dir." "Und dann habe ich ihn rausgeworfen." "Nathalie, was ist zwischen euch beiden passiert? Was hat er getan?" "Ich denke nicht, dass ich darauf antworten muss." Wieder wende ich meinen Blick von ihr ab und schaue aus dem Fenster. Die Amsel saß nicht mehr auf ihrem Baum.

"Nathalie, du warst die letzen fünf Tage weggetreten. Dafür muss es doch wohl eine Antwort geben." Mir stockt der Atem. "Was hatte sie da gerade gesagt? Was?" Mein Blick schnellt zu ihr zurück: "Was?" "Was meinst du mir, was?" "Was hast du da gerade gesagt? Fünf Tage?" Ich schaue in ihre grünen Augen, die ich so sehr hasse und erkenne, dass sie überrascht ist. "Ja, du warst die letzten fünf Tage nicht ansprechbar, sondern ganz weit weg. Ich habe versucht immer wieder mit dir zu reden, aber du hast mich nicht gehört. Du warst wieder in diesem Keller, oder?"

Ich sitze da und bin wie erstarrt. "Fünf Tage hat mich diese Erinnerung gekostet? Weitere fünf Tage meines Lebens, habe ich in diesem Keller verbracht? Wie soll das weiter gehen? Wie viele Tage soll ich deswegen noch verlieren?"

Ich werde ganz still und schaue auf meine Hände herab. Die ganze Zeit über lässt mich Sabrina nicht aus den Augen, doch sie gewährt mir die Zeit die ich brauche. Die Sekunden werden zu Minuten und die Minuten zu Stunden.

Ich richte meinen Blick wieder nach oben und schaue Sabrina an, die wieder angefangen hatte in ihrer Zeitschrift zu lesen. "Denn wievielten haben wir heute?" Ich erkenne wie sie hochschreckt und erst einmal wieder in die Gegenwart zurückgelangen muss. "Entschuldige, was hast du gesagt?" "Ich möchte wissen, welches Datum wir heute haben?" Sabrinas Stirn legt sich erneut in tiefe Falten, doch sie greift zu ihrer Tasche, um auf das Display ihrer Handys zu schauen. "Wir haben heute den 11. August." "Danke."

Ich wende mich wieder von mir ab und versinke in meine Gedanken. "Meine Ferien waren fast vorüber. In knapp einer Woche beginnt wieder die Schule. Doch was mache ich? Wissen sie denn, was mit mir passiert ist?"

Ich ziehe scharf die Luft ein und habe mich entschieden. "Ich werde alles auf eine Karte setzen müssen."

Ich fühle, dass ich mit meiner Entscheidung noch nicht ganz glücklich bin, dich sie erscheint mir zurzeit die Beste Lösung zu sein. "Sabrina, ich hätte eine Bitte an dich." Wieder schaut sie von ihrer Zeitschrift auf und sieht mich an. "Was kann ich für dich tun?", antwortet sie mir mit ruhiger Stimme.

"Ich möchte meine Eltern sprechen."

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Ich hoffe, dass neue Kapitel gefällt euch :D

Freue mich natürlich wie immer über euer Feedback!

Liebe Grüße

black_rose_kiss

Willkommen in meiner ganz persönlichen HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt