Kapitel 17: Meine Eltern

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Alles in mir fängt an zu schreien und mit voller Wucht bricht es aus mir heraus. Vor meinen Augen bleibt das Bild hängen, wie meine Eltern über einander herfallen. Ich reiße meine Arme nach oben und versuche den Laptop davon zu werfen, doch die Ketten halten mich im letzten Moment davon ab. Ich sehe rot und fühle eine unglaubliche Wut und Enttäuschung in mir. "Das kann ich nicht! Wie können sie mir das nur antun? Bei dem Bild dachte ich noch, es wäre nicht echt. Ich habe so sehr gehofft, dass es nicht echt ist und er es nur für mich bearbeitet hat! Doch jetzt? Dieses Video kann er nicht fälschen, er kann es einfach nicht! Es ist echt! Und es bedeutet, dass meine Eltern mich aufgegeben haben und mich mir selbst überlassen haben." Ich zerre noch immer mit all meiner Kraft an den Ketten und höre wie ER neben mir anfängt mit lachen. Meine Nackenhaare stellen sich mir auf und es läuft mir eiskalt den Rücken herunter. Mit einem wilden Schrei werfe ich mich mit voller Wucht auf ihn und möchte ihm sein dämliches Lachen aus dem Gesicht kratzen. Doch er springt elegant zur Seite und lässt mich in der Luft hängen. Ich funkel in Böse an und merke wie ich meine Zähne zusammen beiße. "Oh ho, wer hätte das gedacht? Du bist ja eine richtige kleine Wildkatze. Reizend." Meine Wut steigert sich tatsächlich noch weiter und ich würde ihn am liebsten anschreien, was ich letztendlich auch tue: "Sie elender Mistkerl! Lassen sie mich gefälligst in Ruhe! Verschwinden sie! Verreck doch an deiner eigenen Spucke!" Mit einem letzten lauten Lachen dreht er sich um und lässt mich mit meinem Schmerz alleine...

Tränen laufen meinen Wangen herunter und ich fange an zu schluchzen. Alles schmerzt in mir und ich habe das Gefühl, dass mir bei lebendigem Leibe das Herz aus der Brust gerissen wird. All meine Hoffnung, all die Liebe die ich für meine Eltern verspürte wurde zerstört. "Wie können sie mir das nur antun? Ich bin doch ihre Tochter! Sie können mich doch nicht so leicht aufgeben!" Ich breche zusammen und bleibe zusammen gerollt liegen. Ich weine fürchterlich und ich habe das Gefühl, dass alles zu viel wird und mich gerade überfordert. Doch irgendwann fehlt mir die Kraft, um weiter zu weinen und ich liege da und starre die Decke an. "Wahrscheinlich sollte ich jetzt ganz viel denken, doch ich denke nichts. Ich fühle mich nur unglaublich leer..."

Am nächsten Morgen werde ich von einem Donnerschlag geweckt. Ich schaue zum Fenster und sehe, dass es draußen mehr als nur regnet. "Genauso wie ich mich gerade fühle.", denke ich und beobachte wie der Regen gegen die Scheibe trommelt. Das Geräusch des Regens beruhigt mich ein wenig, doch der tiefe Schmerz tief in mir drin bleibt. "Ich verstehe es einfach nicht. Ich fühle mich verraten und hintergangen, von meinen eigenen Eltern. Ich dachte schon, dass das Foto von Marc und Caroline das Schrecklichste gewesen wäre, doch das setzt dem ganzen noch einmal das i-Tüpfelchen auf. Mein ganzes Leben scheint aus einer einfachen Lüge zu bestehen. Egal wer es ist, ich werde einfach Ersetzt. Bin ich den anderen den wirklich so egal? Bin ich ihnen wirklich so unwichtig? Nein, das glaube ich einfach nicht. Das will ich einfach nicht glauben!"

Den ganzen Morgen kreisen meine Gedanken um dieses Thema und werden durch das gleichmäßige trommeln des Regens begleitet. Irgendwann wandert mein Blick zur Tür und mir wird tatsächlich noch kälter. "Ich möchte nicht, dass er wieder kommt! Ich habe keine Kraft mehr mich ihm zu wieder setzen. Ich fühle mich kaputt und ausgebrannt. Was auch immer als nächstes kommen mag, ich weiß nicht wie ich es überstehen soll." Wieder steigen mir Tränen in die Augen und kullern meine Wangen herab. Ich werde von einem schluchzen durchgeschüttelt und schlinge die arme um meinen Körper. "Woher soll ich nun Hoffnung schöpfen?" Meine Augen werden wieder schwer und ich falle erneut in einen unruhigen Schlaf.

Als ich aufwache fühle ich mich nicht besser. Noch immer fühlt es sich an, als wäre jeder Kraft aus meinem Körper gewichen. "Ich vermisse die andern doch so! Und sie... Sie vergessen mich einfach! Wenn ich überlege, was für eine schöne Kindheit ich hatte! Wie ich mit meinen Eltern immer auf einen Bauernhof gefahren bin, da wir bei uns zu Hause keine Haustiere halten konnten. Sie sind jedes Jahr wieder für mich dahin gefahren. Oder sie sind mit mir Reiten gewesen. oder Fahrrad gefahren. Wir haben so viel immer miteinander gemacht. Ich bin doch immer mit meiner Mutter einkaufen gegangen und alles. Und nun? Was ist nun? Jetzt ist alles vorbei. Vorbei und zerstört! Es war alles nur eine Lüge." Ich schaue zum Fenster und sehe, dass es aufgehört hat mit Regnen. "Warum nur hat es aufgehört mit Regnen? Meine Stimmung hat sich doch gar nicht gebessert und ich fühle mich genauso schlecht wie vorhin auch. Die Sonne soll nicht rauskommen. Den Trost denn sie mir dann spenden wird, woher soll ich wissen, dass dieser Echt sein wird? Oder soll das Ganze ein Zeichen sein? Das Zeichen von Gott, dass ich meine Hoffnung nicht verlieren darf, ganz gleich wie schlecht es mir geht? Aber wer ist schon Gott? Ein Mann im Himmel der über uns Menschen herrscht? Oder doch der Barmherzige der seinen Sohn, als unseren Erlöser schickte? Wie gerne würde ich jetzt an einen liebenden Gott glauben, der mich unterstützt und nicht alleine lässt. Doch wie soll ich das nur können? Wie soll ich an so einen Gott glauben, wenn mir so etwas passiert? Wie kann ein solcher Gott, so etwas nur zu lassen? Nein, ich glaube an keinen Gott..."

Verwirrt schüttel ich mit dem Kopf und lasse meine Gedanken weiter schweifen. "Es ist bestimmt schon Nachmittag und er ist noch nicht gekommen. Das ist doch eher untypisch für ihn. Vielleicht hat er sich ja wirklich an seiner eigenen Spucke verschluckt, allerdings wäre das sehr schlecht, weil dann wäre ich hier für immer gefangen bis ich verhunger und verdurste. Aber es ist mir egal wann er kommt. Jede Minute mehr die er mir gewährt, bringt mir neue Kraft zurück." Ich richte mich auf und lehne mich gegen die Wand, um den Raum besser überblicken zu können. "Bei uns zu Hause bin ich nie freiwillig in den Keller gegangen. Ich habe immer Angst vor ihm gehabt. Vor den ganzen Spinnen und Ratten. Ratten. Mein Kopf schwinkt von einer zur anderen Seite, doch nirgendswo im Raum sehe ich Anzeichen dafür, dass es vielleicht Ratten geben könnte. Beruhigt lehne ich meinen Kopf wieder gegen die Wand und schließe die Augen. "Mein Vater musste jeder Spinne immer weg machen die mir über den Weg gelaufen ist.", bei dieser Erinnerung muss ich lächeln und im selben Moment schon habe ich das Gefühl, dass mein Herz mit vielen winzigen Stichen durchlöchert wird. Ein Schmerz erfüllt mich, denn ich nicht beschreiben kann. "Mama, Papa...“, flüstere ich in den Raum und wünsche mich in ihre Arme. Doch nicht nur das, ein ganz neuer Gedanke erfüllt mich. "Das ist alles SEINE schuld! Hätte ER mich nicht entführt wäre ich noch mit Marc zusammen! Hätte ER mich nicht entführt, dann wären meine Eltern nicht so voller Kummer und würden diese ganzen Dinge nicht machen! Ich hasse ihn dafür! Ich hasse ihn so sehr!" Wut kocht in meinem Magen und mir wird sogar schlecht. "Ich hoffe wirklich, dass wenn es einen Gott gibt, dass er IHN dann dafür bestrafen wird. Das ER in der Hölle schmorrt und für jede einzelne Tat büßt!" Und tatsächlich in diesem Moment fängt das Gewitter draußen von neuem an und ich überlege, ob es doch einen Gott gibt...

Willkommen in meiner ganz persönlichen HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt