Immer noch fest zusammengerollt, wache ich langsam wieder auf. Meine Glieder sind ganz steif und ich beginne sie vorsichtig zu strecken. Ich lege mich auf den Rücken und starre die Decke an. Seufzend hebe ich die Arme und schaue mir die Ketten an. Es hat sich nicht geändert. Meine Haut um das Eisen ist ganz wund, von den vielen Versuchen die Ketten abzuziehen. Kraftlos lasse ich meine Arme wieder fallen und verspüre großen Hunger und Durst. Wie lange war ich nun schon ohne Essen und Trinken, einen Tag bestimmt. Zur Antwort knurrt mein Magen und ich habe das Gefühl, dass sich ein riesiges Loch in meinem Bauch auftut. Wie gerne würde ich jetzt etwas Essen und Trinken. Meine Kehle ist schon ganz trocken. Da sich meine anfänglichen Panik Attacken nun in Ergebenheit umgewandelt haben, werden meine Grundbedürfnisse langsam wieder aktiv. Hoffnungsvoll richte ich mich auf um zu schauen, ob ich etwas Essbares oder etwas zum Trinken sehe. Doch als ich zum Tisch schaue erstarre ich und es fährt mir eiskalt den Rücken hinunter.
Ich hatte ihn mir schon oft ausgemalt. Immer wieder hatte ich ihn mir anders vorgestellt. Es war immer ein Mann, der mich entführt hatte, dass stand fest. Doch mal war er dick, mal dünn. Mal alt, mal jung. Doch so, wie er jetzt vor mir saß. So hatte ich ihn mir nie vorgestellt. Er ist groß, bestimmt um die 1,90, obwohl das durch meine Perspektive schwer zu sagen ist. Er hat einen athletischen Körperbau und ist braun gebrannt. Seine Haare sind schwarz und kurz und seine Augen sind von einem wunderschönen Grün. Dieses Grün hatte ich davor erst bei einer einzigen anderen Person gesehen. Marc. Ein zittern erschüttert meinen Körper. Warum nur, muss er dieselben Augen haben wie Marc. Eine tiefe Sehnsucht ergreift mich und bringen die Tränen zurück in meine Augen. Doch ich werde jetzt ganz sicher nicht weinen. Das letzte was ich jetzt tun werde, ist ihm zu offenbaren wie schlecht es mir geht.
Wie lange er da wohl schon sitzt? Warum hat er sich nicht bemerkbar gemacht? Zittrig richte ich mich ganz auf und lehne mich ihm gegenüber an die Wand. Sie ist kalt und macht mir meine schlechte Ausgangslage nur all zu deutlich. An innere Ruhe war in diesem Moment nicht zu denken. Die Kälte breitet sich weiter in meinem Körper aus und ich habe das Gefühl, dass ich sie nie wieder los werde. Stille breitet sich zwischen uns aus und wir beobachten. Ich sehe wie er mich mustert, einen Zentimeter nach dem anderen. Ich fühle mich dabei unwohl, man könnte sogar sagen nackt und definitiv hilflos. Ich möchte mich bewegen, meinen Körper von ihm abschirmen und mein Gesicht abwenden, doch ich tue es nicht. Ich versuche, so gut es geht, standhaft zu bleiben. Minuten vergehen, dass keiner von uns etwas sagt. Worauf wartet er? Immer noch traue ich mich nicht zu bewegen, aus Angst vor seiner Reaktion. Weitere Minuten vergehen, doch sie kommen mir vor wie Stunden. Meine Geduld neigt sich dem Ende zu und ich merke wie ich innerlich anfange zu kreischen und wild hin und her renne. Da kommt mir ein ganz neuer und verrückter Gedanke: Wie sich wohl seine Stimme anhört?"Verdutzt über diesen Gedanken wage ich es mich zu bewegen. Ich falte meine Hände in meinem Schoss zusammen und warte darauf, dass er irgendetwas sagt. Doch wieder schweigt er nur und beobachtet mich. Unsicherheit erfüllt mich. Worauf wartet er ? Was soll ich nur tun? Ihn ansprechen? Versuchen aufzustehen? Obwohl, was soll das bringen? Dann steh ich da und er beobachtet mich weiter. Aber ich möchte ihn nicht ansprechen. Er hat mich doch entführt. Er möchte doch etwas von mir und ich nicht von ihm. Warum spricht er mich dann nicht gefälligst an? Wut vertreibt meine Unsicherheit. Verdammt noch mal. Hör doch endlich auf mich so zu beobachten. Sprich mit mir. Sag etwas. Irgendetwas. Bitte. Doch natürlich spreche ich das nicht aus. Die Zeit vergeht und es bleibt still zwischen uns.
Nach einer gefühlten Ewigkeit und unzähligen inneren Kämpfen fasse ich endlich all meinen Mut zusammen, schaue ihm direkt in die Augen und sage: "Was wollen Sie von mir? Und wer sind sie überhaupt? Sie Ketten mich hier fest und beobachten mich einfach nur. Ich habe Hunger, bin Durstig, muss auf die Toilette und mir ist kalt. Und sie sitzen nur da und schauen mich an. Also was wollen sie von mir?" Sofort schließe ich wieder meinen Mund, aus Angst, dass ich zu viel gesagt hätte. Die Worte waren schneller aus meinen Mund gesprudelt als ich es wollte. Hinzukommt, dass ich gar nicht so viel sagen wollte. Die Wut weicht der Angst, dass ich ihn verärgert haben könnte. Er runzelt die Stirn, doch immer noch sagt er nichts. Ich warte, doch es kommt einfach nichts. Gerade als ich den Mund wieder aufmache, hebt er die Hand und bringt mich somit zum Schweigen. Verdutzt und nun wieder ängstlich, vor dem was kommt, halte ich inne. Mit pochendem Herzen schaue ich ihn an und sehe wie ein einfaches lächeln über seine Lippen gleitet. Warum lächelt er? In meinem Kopf fängt es an zu rattern, doch ich komme zu keinem richtigen Ergebnis. Was soll das?", denke ich betrübt. Doch dann steht er auf und nimmt einen Teller, der mir zuvor gar nicht aufgefallen war, vom Tisch und kommt auf mich zu. Unwillkürlich drücke ich mich fester gegen die Wand um so viel Platz wie möglich zwischen ihm und mir zu bekommen. Vor meiner Matratze bleibt er stehen, er kommt mit jetzt vor wie ein gewaltiger Riese, kniet sich nieder und stellt mir den Teller hin. Darauf erkenne ich ein Schinkenbrot mit Käse und einem Glas Wasser. Sofort fängt mein Magen an zu knurren und ich würde mich am liebsten selber schlagen für mein eigene Schwäche. Als er plötzlich wieder aufsteht, werde ich zurück in die Wirklichkeit gerissen und zucke unbewusst zusammen. Vorsichtig schaue ich wieder nach oben, doch er hat mir schon den Rücken zugewandt und geht zur Tür. Er macht sie auf und geht einfach raus. Er geht ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen, ohne irgendetwas gesagt zu haben.
Fassungslos und schockiert starre ich die verschlossene Tür an....
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Willkommen in meiner ganz persönlichen Hölle
HorrorWie beginnt man am besten eine Geschichte, die ein Leben für immer veränderte? Welche Gedanken und Gefühle schreibt man auf? Wie soll man erklären können, was man selber nicht versteht? Welchen Sinn hat ein Leben, in dem es keine Hoffnung mehr gibt...