Wie oft haben wir in unserem Leben schon Momente erlebt in denen wir uns dachten: Warum habe ich mich das nicht getraut? Warum habe ich diese Chance nur verpasst und sie nicht wahrgenommen. Auf der anderen Seite gibt es Momente in denen wir uns fragen: Warum habe ich das nur getan? Warum muss ich diesen Fehler immer und immer wieder wiederholen? In diesen besagten Momenten fühlen wir Reue. Wir bereuen etwas und sind wütend darüber. Wir ärgern uns über uns selber.
Doch was bedeutet dieser eine Moment gerade für mich? Ich sitze hier im Zug nach Berlin. Berlin. Die Stadt die ich einmal als meine zweite Heimat bezeichnet habe. Die Stadt die mein Leben für immer verändert hat. Die Stadt in der ich Entführt wurde und in der so viele Wahrheiten ans Licht gekommen sind. Ich sitze nun hier in diesem Zug auf den Weg in diese Stadt und weiß nicht was ich fühlen soll. Ich fahre nach Berlin um meine leiblichen Eltern kennenzulernen. Oder besser gesagt um meinen leiblichen Vater kennenzulernen, David. Was also bedeutet mir dieser Moment? Meine Gedanken kreisen wild um her und meine Gefühle befinden sich auf einer wilden Achterbahnfahrt. So steil es nach oben gehen mag, genauso steil und schnell geht es auch wieder bergab. Ich spüre wie mir wieder schlecht wird und ich versuche tief durch zu atmen. Ein und aus, immer wieder gleichmäßig atmen. Das Rumoren in meinem Bauch lässt etwas nach, doch so ganz mag es mich nicht in Ruhe lassen. Seit meinem Entschluss, dass ich nach Berlin fahren möchte um David kennenzulernen wird mir immer wieder schlecht. Teilweise sogar so schlimm, dass ich mich übergeben musste. Doch mein Entschluss steht fest und ich bin der Überzeugung, dass ich es nicht bereuen werde. Ich bin der Meinung, dass es die Richtige Entscheidung war und ich ihm eine Chance geben möchte. Uns eine Chance geben möchte.
Meine Gedanken schweifen weiter und ich muss an meine Eltern zu Hause denken. Sie werden immer meine Eltern bleiben. Auch wenn ich nur adoptiert bin. Ich bin bei ihnen aufgewachsen. Sie haben mich geprägt und mich erzogen. Sie waren für mich da, wenn es mir schlecht ging. Sie haben sich mit mir gefreut, wenn ich glücklich war und geweint wenn ich traurig war. Liebe ist das Wort, was unsere Beziehung beschreibt und das wird auch immer so bleiben.
Ich lehne meinen Kopf gegen das kühle Glas der Fensterscheibe und lasse mich von der vorbeiziehenden Landschaft draußen davontragen.
„Nächster Halt: Berlin Hauptbahnhof. Ihre nächsten Anschlusszüge..." Ich habe das Gefühl, dass mir mein Herz jeden Moment aus der Brust springen wird während ich meine Sachen zusammenpacke und mich Richtung Ausgang begebe. Kreidebleich halte ich mich an der Wand fest und habe das Gefühl mich jeden Moment übergeben zu müssen. Ganz ruhig Nathalie. Bleib ganz ruhig. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich mache einen Schritt nach dem anderen und steige schließlich aus dem Zug.
Massen an Menschen eilen an mir vorbei und ich schaue immer wieder von einer Seite zur anderen. Wo ist er? Ich halte Ausschau nach David doch kann ihn nirgends erkennen. Beklemmung macht sich in meiner Brust breit und erste Zweifel keimen in mir auf. Atmen. Nathalie du sollst ruhig atmen. Und auf einmal sehe ich ein mir bekanntes Gesicht. Doch zu meiner eigenen Überraschung ist es nicht David den ich sehe, sondern Christoph.
Christoph. Ich sehe ihn und erstarre. Ich stehe auf dem Bahnsteig und vergesse alles um mich herum. Die Menschen die an mir vorbei eilen, meine wirren Gedanken von eben. Es scheint alles still zustehen. Das Einzige was geschieht ist, dass wir uns anschauen. Tief in die Augen, in dem Maße wie es uns aus dieser Entfernung möglich ist. Wann habe ich ihn das letzte Mal gesehen? Was war der letzte Moment den ich mit diesem Mann geteilt habe? Der einzige Mensch, der mir am Anfang doch helfen konnte. Ich löse mich aus meiner Starre und während ich mit unsicheren Schritten auf ihn zukommen, versuche ich mich an den letzten gemeinsamem Moment zu erinnern.
Mein 18. Geburtstag. Das war der letzte Tag an dem ich Christoph gesehen habe. Er hat mich zu meiner Party gefahren. Wie sehr ich mich darüber gefreut habe ihn damals zu sehen.Ich stehe nun vor Christoph und schaue ihm tief in seine müden Augen. Er sieht älter aus und geschafft. Geht es mir durch den Kopf. Er neigt seinen Kopf leicht zur Seite und erwidert meinen eindringlichen Blick. So stehen wir also da. Während für uns die Zeit zum Erliegen kommt hetzen die Menschen an uns vorbei. Christoph und Nathalie. Christoph der vom Alter her mein Vater sein könnte. Der Mensch, dem ich so sehr vertraut habe und dem ich immer noch so sehr vertrauen möchte. Doch eine unsichtbare Wand hat sich zwischen uns aufgetan. Ich spüre sie. Zu viel widersprüchliches ist zwischen uns geschehen. Zu viele Fragen sind ungeklärt. Woher kennt er meinen Vater? Warum kam er damals mit nach Frankfurt, an dem Tag als ich von meiner Adoption erfuhr. Doch vor allem. Warum war er an diesem Abend bei IHM?
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Willkommen in meiner ganz persönlichen Hölle
HorrorWie beginnt man am besten eine Geschichte, die ein Leben für immer veränderte? Welche Gedanken und Gefühle schreibt man auf? Wie soll man erklären können, was man selber nicht versteht? Welchen Sinn hat ein Leben, in dem es keine Hoffnung mehr gibt...