"Nathalie Schatz. Wach auf. Du musst aufstehen. Nathalie.", immer heftiger versucht mich meine Mutter mich wach zu bekommen, doch ich drehe mich einfach um und versuche sie so gut es geht zu ignorieren. "Nathalie, wenn du nicht aufstehst kommen wir noch zu spät." Und in diesem Moment bin ich hell wach. Ich erinnere mich wieder, warum ich die ganze Nacht nicht schlafen konnte und jetzt so müde war. Es ist der Tag meines Prozesses.
Ich schaue meine Mutter mit großen Augen an und fühle mich schrecklich. Ich spüre, wie mir der Schweiß auf der Stirn steht und sich meine Kehle vor Angst zuschnürt. Ich möchte in ihre Arme, möchte, dass sie das Böse von mir fernhält wie sie es auch getan hat als ich noch ein kleines Mädchen war. Doch der Unterschied zu damals ist, dass ich nicht mehr dieses kleine Mädchen bin. Also reiße ich mich zusammen. "Ich geh schnell ins Bad und komm dann frühstücken." "In Ordnung Liebes.", meine Mutter streichelt mir noch über das Haar und verlässt dann mein Zimmer. Als sich die Tür hinter ihr schließt muss ich für einen Augenblick die Augen schließen und meine Atmung wieder beruhigen. Ich versuche die Kontrolle über meinen Körper wieder zu bekommen. Doch ich bekomme das Gefühl der Angst nicht von mir.
Selbst unter der Dusche, als das warme, fast schon heiße Wasser über meinen Rücken fließt ist mir entsetzlich kalt. Mir ist sehr schlecht und ich schaffe es gerade noch rechtzeitig zur Toilette, bis ich mein Abendessen in ihr entleere. Ich zitter am ganzen Körper und möchte nur noch in mein Bett. zum Glück hatte ich das Wasser der Dusche angelassen, daher können mich meine Eltern nicht hören. Mit wackligen Beinen stehe ich wieder auf und putze mir die Zähne. Als ich im Bad fertig bin und auch meine Anziehsachen anhabe gehe ich runter in die Küche wo meine Mutter ein regelrechtes Buffet angerichtet hat. Doch als mir der Geruch der einzelnen Speisen in die Nase kommt, dreht sich mein Magen von neuem um und ich renne erneut auf die Toilette und übergebe mich bis ich Galle schmecke. Ich spüre wie mir jemand die Haare nach hinten hält und möchte mich schon dankbar an meiner Mutter anlehnen, als ich spüre, dass hinter mir keine Frau sitzt. Panisch drehe ich mich um und sehe, dass Christoph hinter mir sitzt. Erleichtert atme ich wieder aus und lehne mich an ihm an. Er legt seine kräftigen Arme um mich und ich fühle mich an einen alten Moment zurück erinnert. Ich spüre wie sich seine Brust hebt und senkt und sich seine Wärme auf mich ausbreitet. Ich habe zum ersten Mal wieder das Gefühl, diesen Tag zu schaffen. Das erste Mal wieder das Gefühl, nicht alleine zu sein.
Gemeinsam gehen wir wieder in die Küche wo meine Eltern schon ganz besorgt auf mich warten. Auch David und Marco sind da. Ich weiche ihren Blicken sofort aus und setze mich schnell auf einen der Stühle. Auch die anderen setzten sich nach einem kurzen zögern und nehmen sich etwas zu essen. Ich hingegen rühre nichts davon an, da ich mir nicht sicher bin, ob ich es bei mir behalten kann. Während des Essens versucht immer wieder jemand ein Gespräch ins Laufen zu bringen, doch wir sind alle zu bedrückt. Daher essen wir alle ziemlich schnell schweigsam und jeder ist in seinen Gedanken versunken und mit seinen Ängsten allein.
Ich weiß gar nicht mehr so Recht, was während der Zeit des Frühstücks und der Autofahrt zum Gerichtssaal passiert ist. Jetzt sitze ich im Auto von Marco und sehe wie das Gebäude immer näher kommt. Ich werde mit jeder Sekunde aufgeregter und meine Hände sind nass vor Schweiß. Mein Herzschlag erhöht sich so sehr, dass ich das Gefühl habe, dass mir mein Herz gleich aus der Brust springen muss. Ich schaue immer wieder zu Marco hinüber und jedes Mal wird mein Blick angsterfüllter. Ich spüre wie Christoph seine warme Hand auf meine Schulter legt, doch diesmal kann auch er mich nicht beruhigen. Das Gebäude ist nur noch wenige Meter von uns entfernt und ich habe das Gefühl zu ersticken. "Marco. Marco.", immer wieder flüstere ich seinen Namen, doch ich bin zu leise. "Marco!". Vollkommen überrascht zuckt Marco zusammen und schaut mich an. "Halt an. Halt sofort an!" Mit voller Wucht steigt er auf die Bremse und fährt rechts ran. "Nathalie, was ist los? Du bist schneeweiß im Gesicht, als hättest du einen Geist gesehen." "Marco ich habe solche Angst. Angst." Der Rest des Satzes geht in meinem Schluchzen unter und ich fange heftig an zu weinen. Beide Männer versuchen mich irgendwie zu beruhigen, doch sie schaffen es nicht durch die Mauer meiner Tränen zu kommen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, bis ich mich wieder ein bisschen beruhigt habe. Die beiden Männer schauen mich mit sorgenvollem Blick an und ich nehme dankbar das Taschentuch von Christoph entgegen. "Ich bin total verschmiert, oder?" Ein kleines Lächeln huscht über Marcos Lippen und er hebt ein wenig seine Schultern. "Ein wenig um die Augen." Da ich weiß, dass dies maßlos untertrieben sein muss klappe ich den Sichtschutz des Beifahrers herunter und betrachte mich im Spiegel. Mein Gesicht war fast schwarz durch meine verlaufende Mascara. Mit einem brummen versuche ich das Schlimmste zu beseitigen. Nach einem kleinen Kampf klappe ich die Blende schließlich wieder hoch und drehe mich zu Marco und Christoph wieder um. "Nathalie, wir müssten jetzt weiterfahren. Wir kommen sonst wirklich zu spät." Ich weiß, dass Marco diesen Satz eigentlich nicht sagen wollte, aber er hat keine andere Wahl. "Ich weiß. Es ist egal, ob ich möchte oder nicht. Irgendwann werde ich diesem Moment nicht mehr aus dem Weg gehen können. Fahr los." Mit einem leichten Kopfnicken startet Marco den Motor von neuem und fährt weiter auf das Gebäude zu. Er fährt weiter auf den Gerichtssaal zu. Er fährt weiter auf den Moment zu, indem ich IHM gegenüber stehen werde...
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Willkommen in meiner ganz persönlichen Hölle
HorrorWie beginnt man am besten eine Geschichte, die ein Leben für immer veränderte? Welche Gedanken und Gefühle schreibt man auf? Wie soll man erklären können, was man selber nicht versteht? Welchen Sinn hat ein Leben, in dem es keine Hoffnung mehr gibt...