Es gibt Momente in einem Leben, welche man nie vergisst. Eigentlich dachte ich, dass mein Leben in seinen jungen Jahren schon so voller Schmerz und Verlust gewesen war, dass es nur noch bergauf gehen kann. Dass es eigentlich gar keine andere Möglichkeit mehr gibt, außer dieser. Doch wie ich gerade in diesem Moment fühlte, hatte ich mich bitter getäuscht.
"David ist also mein Vater. Wie kann das sein?", meine Gedanken schwirren umher und ich versuche tief durchzuatmen. Meine "Eltern" sitzen mit hängenden Köpfen auf dem Sofa und David schaut mich an, als wolle er durch mein Aussehen herausfinden wer ich sei. Ich habe das Gefühl, dass alles zu viel für mich sei und ich jeden Moment zusammenbrechen müsste. Doch ich stehe einfach nur da. Stehe da und weiß nicht was ich tun soll. Stehe da und weiß nicht mehr wer ich bin. Fragen kommen mir in den Sinn, doch ich dränge sie beiseite. Mein Blick bleibt an meinen Eltern hängen und ich versuche meine Gefühle zu deuten. "Gelogen. Sie hatten mich all die Jahre angelogen." Verbitterung kommt in mir hoch und ich fühle mich schrecklich. All die Jahre habe ich diese Personen bedingungslos geliebt und nun das?
Ein Räuspern durchdringt meine Gedanken und ich sehe wie David mir nun fest in die Augen schaut. "Nathalie du hast Recht, ich bin dein Vater. Ich bin mir sicher, dass du gerade sehr verwirrt bist und das nicht verstehen kannst, aber ich möchte es dir erklären." Stille senkt sich über den Raum und unsere ganze Aufmerksamkeit liegt bei David, der anfängt zu erzählen:
"Ich habe gerade in meiner Firma angefangen zu arbeiten, als ich deine Mutter kennenlernte. Wir gingen oft miteinander aus und haben uns so oft gesehen, wie es uns möglich war. Du musst wissen, ich habe damals angefangen bei einer Eventagentur zu arbeiten und war auf der ganzen Welt unterwegs. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, bin ich das heute immer noch. Durch diese Agentur lernte ich deine Mutter kennen. Nun wie gesagt, wir versuchten uns so oft es ging zu sehen, doch unsere Terminplaner waren oft zu voll. Nach einem Jahr stelle sich dann heraus, dass deine Mutter mit dir Schwanger sei. Es war für uns beide ein tiefer Schock und wir waren beide mit der Situation überfordert. Wir waren beide der Meinung, dass wir auf gar keinen Fall abtreiben werden. Doch auf der anderen Seite, waren wir beide auch der Meinung uns selber nicht für dich aufzugeben. Ich hatte gerade meinen Mentor in der Agentur gefunden und hatte gute Aussichten später einmal groß aufzusteigen und deine Mutter hatte gerade ihren Durchbruch erlangt als Supermodel. Deswegen gaben wir dich damals zu Irene und Richard, meinen besten Freunden."
Ich stehe da und Tränen laufen meine Wangen herunter. Eben noch, als ich erkannt hatte, dass David mein Vater ist zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Doch jetzt, wo heraus kommt, dass weder Irene noch Richard ein Teil meiner Eltern ist, bricht alles zusammen. Und auf einmal erinnere ich mich an das Video aus dem Keller. "Hat es der Wahrheit entsprochen? Nur das diese Wahrheit, damals gar nicht auf mich bezogen war?" Ich drehe mich langsam um und gehe aus dem Raum. Ich gehe einfach aus dem Raum und verlasse das Haus. Ich höre noch, wie die anderen nach mir rufen, doch ich achte nicht auf sie.
Ich laufe durch die vertrauten Straßen meiner Stadt, ohne ein eigentliches Ziel zu haben. ich lasse mich einfach von meinen Füßen tragen und bin tief in Gedanken versunken. "Mein Leben besteht aus einer Lüge. Ich habe ihnen vertraut, doch wofür? Warum konnten sie nicht ehrlich zu mir sein und es mir einfach erzählen? Leonie aus meiner Klasse ist auch ein adoptiertes Kind, doch sie wusste es schon immer. Trotzdem hat sie eine sehr gute Beziehung zu ihren Eltern. Warum konnten sie nicht auch so ehrlich zu mir sein? Und wieso kommt David gerade jetzt zu mir und erzählt es? Weil ich vor kurzem entführt wurde? Ist ihm denn gar nicht bewusst, dass ich dieses erst einmal verarbeiten muss. Dass mich diese Entführung immer noch fest in ihren Krallen hält und ich kaum Luft habe zum Atmen? Und wenn er und meine Mutter wirklich so erfolgreich waren, wie er es gerade erzählt hat, warum haben sie sich damals nicht einfach eine Tagesmutter für mich geholt? Geld müsste bei ihnen doch keine Rolle gespielt haben? Warum haben sie mich zu Irene und Richard geschickt? Warum?"
Ich muss in diesem Moment an den Unterricht von dieser Woche denken. Wir hatten in der Bibel gelesen und es ging um einen Mann, dem es nicht gut ging. Durch seine Geschichte sind wir auch auf die Warum-Frage gekommen und unser Lehrer hat und erklärt, dass es nicht um das Warum geht, sondern um das Wozu. Es ist nicht die Frage, warum mir etwas passiert in meinem Leben, sondern wozu es passiert. Ich sage damit nicht, dass ich an Gott glaube oder ihm vertraue. Ich finde diesen Gedankengang nur sehr interessant. "Ich kann es jetzt nicht mehr ändern, dass sie mich damals weggegeben haben. Doch da ich es jetzt weiß, muss ich es doch als Chance sehen sie kennen zu lernen. Wenn ich das Wozu auf Heute beziehe, dann muss ich doch einsehen, dass ich nun eine Chance habe meinen leiblichen Eltern kennen zu lernen." Wieder verschwindet mein Weltbild vor einem Schleier aus Tränen und ich laufe blindlings kreuz und quer. "Das sind vielleicht die richtigen Gedanken, aber das ist mir gerade egal!" Verbitterung, Wut und Enttäuschung brodeln in mir hoch, doch nicht nur das. Ich fühle mich entsetzlich hintergangen. "Ich habe diesen Menschen so sehr vertraut, bedingungslos vertraut und nun das."
Ich laufe weiter und stolpere in eine Gruppe Jungs herein. Aufgebracht meckern sie mich an, doch ich nehme sie gar nicht so richtig war. Mir fällt es noch nicht einmal richtig auf, dass es sich nur um Jungs handelt und sie mich versuchen einzukreisen, um mich dann hin und her zu schubsen. Ich nuschel ihnen nur eine schnelle Entschuldigung zu und laufe auch schon weiter. Immer noch habe ich kein wirkliches Ziel im Sinn und bemerke nur, dass es langsam anfängt zu dämmern. "Wie lange laufe ich hier draußen den schon rum? Es ist Sommer und wenn es jetzt schon dunkel wird muss es wirklich spät sein. Doch wo soll ich hin? Nach Hause? Welches zu Hause habe ich den noch?" Trostlos laufe ich also.
Wieder kommen mir Tränen und ich habe das Gefühl, dass jeder noch so kleine Tropfen Flüssigkeit aus meinen Körper raus sein muss, so viel wie ich schon geweint habe. Doch ich mache mir erst gar nicht die Mühe die Tränen wegzuwischen, als ich gerade auf die Straße laufe und das Quietschen von Reifen höre...
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Es tut mir Leid, dass die Kapitel in letzter Zeit immer so kurz sind. Ich versuche wirklich sie mal wieder länger hinzubekommen!
Ich hoffe, die Geschichte bleibt für euch trotzdem spannend und sie gefällt euch auch weiterhin :)
Liebe Grüße
black_rose_kiss
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Willkommen in meiner ganz persönlichen Hölle
HorrorWie beginnt man am besten eine Geschichte, die ein Leben für immer veränderte? Welche Gedanken und Gefühle schreibt man auf? Wie soll man erklären können, was man selber nicht versteht? Welchen Sinn hat ein Leben, in dem es keine Hoffnung mehr gibt...