Kapitel 55

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Ich bin gerade auf dem Weg zu Michis Klinik, da ich mir mit ihm ausgemacht habe, dass ich ihn heute nach dem Dienst abhole und wir einen Film schauen gehen. Den ganzen Tag habe ich darauf verzichtet, etwas zu essen, da ich nicht will, dass es noch mehr Nahrung wird, die sich in mir ansammelt, aber schön langsam merke ich, dass ich echt Hunger bekomme. Irgendwie wird mir aber gleichzeitig auch ein bisschen schlecht – egal, wird schon nichts sein. Ich gehe weiter und denke mir nicht viel dabei. Als ich schon fast bei der Klinik bin, verdunkelt sich plötzlich meine Sicht. Was ist denn jetzt los? Noch bevor ich mich irgendwo auf eine Bank setzen kann, beginne ich, Sternchen zu sehen und plötzlich wird alles schwarz.

Als ich meine Augen wieder öffne, sieht mir ein bekanntes Gesicht entgegen. „Hey, da bist du ja wieder.", sagt er und lächelt mich sanft an. „David? Was mache ich hier? Was machst du hier?" „Du bist vorhin draußen zusammengeklappt und wurdest von Sanitätern reingebracht. Es ist gerade Grippewelle – viele Ärzte sind krank, deshalb übernehme ich hier heute in der Notaufnahme. Ich habe nicht damit gerechnet, dich so schnell wiederzusehen." Glaub mir, ich auch nicht.", sage ich leicht hysterisch und versuche, mich aufzusetzen, werde aber sofort wieder von David auf die Liege gedrückt. „Nein, du bleibst jetzt vorerst liegen. Was ist denn überhaupt passiert?" „Ich bin vorhin draußen einfach umgekippt – nichts allzu Tragisches" „Das entscheide immer noch ich, hm? Hast du vielleicht eine Idee, warum du umgekippt sein könntest?" „Ich hab' noch nicht viel gegessen heute." „Und warum nicht?" „Ich hatte keine Zeit.", lüge ich. „Dir ist aber bewusst, dass dir das niemand glaubt. Lügen gehört nicht zu deinen Stärken." „Hä? Das ist die Wahrheit." „Hör zu, ich mag es nicht, wenn man mich anlügt. Du sagst mir jetzt, was Sache ist." „Warum sollte ich das tun?" „Weil hier sonst schneller, als du schauen kannst, mehrere Ärzte um dein Wohl besorgt sein werden." „Das kannst du nicht machen David." „Doch, das kann ich. Will ich aber um ehrlich zu sein nicht. Also sagst du mir jetzt, was los ist?" „Bitte... das ist mir echt peinlich." Sein Blick wird weicher. „Komm Jackie, das muss dir nicht peinlich sein. Ich hab' Michi noch nicht angepiept und ich weiß, dass er noch etwa drei Patientinnen haben wird, weil wir vorher geredet haben. Lass mich dich doch einfach untersuchen – wenn es schnell geht, wird er nichts davon erfahren.", bietet er mir an, während er meine Hand hält und sie leicht streichelt. „Nein, das passt schon. Ich werde mich jetzt einfach auf den Weg machen, aber danke für deine Hilfe." Noch bevor David mich daran hindern kann, stehe ich auf und gehe zur Tür. Bevor ich jedoch dort ankomme, durchfährt mich ein unfassbarer Schmerz in meinem Bauch. „Auu" „Oh Gott, Jackie!", sagt David schockiert und kommt mir zur Hilfe. Er hebt mich hoch und legt mich wieder aufs Bett. Obwohl ich echt nicht untersucht werden will, realisiere ich langsam, dass mir wohl nichts anderes übrig bleiben wird.

„So, am besten sagst du mir jetzt, was los ist. Ich werde es sonst auch anders herauskriegen." „Es ist aber so peinlich." „Warum denn peinlich? Ich bin Arzt, Jackie. Ich habe schon so viel gesehen. Keine Sorge, vor mir muss dir nichts peinlich sein." Ich überlege, ob ich es ihm tatsächlich erzählen soll. Wenn ich ihm nichts sage, wird er es mit anderen Methoden herausfinden und dann vielleicht auch nicht mehr so nett sein. Ich hasse es wie die Pest, aber ich glaube, ich sollte ihm sagen, was los ist. „Ich kann nicht aufs Klo.", flüstere ich. „Oh ok, Lulu oder groß?" Wow, was ist das denn? Da merkt man eindeutig wieder, dass er Kinderarzt ist. Er hat eh schon die ganze Zeit so ein bisschen seine Kinderstimme benutzt, aber das übertrifft wirklich alles. „Ich kann nicht groß." „Ok, dann würde ich mal deinen Bauch abtasten, wenn das ok ist. Keine Sorge, nur ein bisschen herum fühlen – wie bei einer Massage." Ich muss leicht lachen, da er wirklich versucht, mir die Angst zu nehmen, was ja echt lieb ist, aber ich denke, ich weiß schon, was er danach in etwa machen wird, wodurch diese Methode nicht wirklich bei mir zieht. Trotzdem lege ich mich wieder hin und ziehe mein Shirt etwas hoch. „Ok, ich ziehe noch die Hose ein bisschen runter, ja?" Er beginnt damit, hört aber nicht mehr auf. „Wie weit denn noch?" „Das reicht schon." Schon? Ist er irre? Echt vorsichtig beginnt er, meinen Bauch abzutasten.

Sein Blick ist konzentriert und abwechselnd immer wieder auf mein Gesicht und meinen Bauch gerichtet. Sein Blick füllt sich mit einer Emotion, die ich nicht wirklich entziffern kann. Besorgnis? Mitleid? „Ok, dein Bauch ist ziemlich hart. Daher gehe ich davon aus, dass dein Enddarm voll ist. Du wirst wohl nicht um das ein oder andere Zäpfchen herumkommen." „Nein, ich hasse Zäpfchen!" „ich weiß, dass diese kleinen Dinger echt unangenehm sind, aber leider wird dir diese Prozedur nicht erspart bleiben." „Nein, ich will das nicht." „Das ist inzwischen leider keine Sache des Wollens mehr. Wenn das nicht bald behandelt wird, könnte es zu einem Darmverschluss kommen und das wird dann richtig gefährlich. Ich kann Michi rufen, oder du lässt es mich oder eine Schwester machen." „Ich will das aber gar nicht." „Komm Jackie, jetzt sei doch nicht so unvernünftig. Das ist nur ein kleines Aua und dann ist es schon wieder vorbei." Boah, ich kenne das ja von meinem Vater – wenn man die ganze Zeit mit Kindern arbeitet, ist man daran gewöhnt, auf eine gewisse Art und Weise zu sprechen, aber langsam nervt's. „Kannst du bitte aufhören, mich wie ein Kind zu behandeln?" „Wenn du auch aufhörst, dich wie eins zu benehmen." Wow, das hat gesessen. „Ach Jackie, jetzt mach es uns doch nicht so schwer." „Kann ich nicht einfach gehen?" „Nein und wenn du jetzt noch länger mit mir diskutierst, werde ich den sogenannten Drachen herholen. Der ist nicht wirklich nett und wird nicht darauf achten, ob du das magst, oder nicht und vorsichtig sein, wird er vermutlich auch nicht." Als ich kurz überleg, ob er das tatsächlich durchziehen würde, geht plötzlich die Tür auf und Michi steht im Raum. 

Warum ausgerechnet Arzt? (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt