Kapitel 4

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Wir sitzen inzwischen auf unseren Plätzen und die Werbung sollte bald losgehen. Die Sessellehnen sind nach oben geschoben, weil wir unabsichtlich einen Platz für Pärchen gekauft haben, aber ich habe nicht vor, während des Films meine Hand auf seine zu legen oder sowas in der Richtung. Es wird dunkel und plötzlich taucht auch schon eine wirklich widerlich aussehende Figur auf der Leinwand auf. Mehr als anwidern tut mich diese aber zum Glück nicht. Obwohl ich es nicht wollte, rutsche ich im Laufe des Films immer weiter zu Michi. Irgendwann wird der Film so schlimm, dass ich meine Hände vor mein Gesicht halte, doch dann spüre ich einen Arm um mich. Michi hat seinen Arm um mich gelegt und streichelt mich zur Beruhigung. Bei einem anderen Typen hätte ich diese Geste glaube ich nicht so toll gefunden, aber bei Michi flattern die Schmetterlinge in meinem Bauch. „Alles ok?", fragt Michi etwa bei der Hälfte des Films. „Ich weiß nicht" „Wir können auch gehen, wenn es zu schlimm für dich ist. Du musst hier nicht die Starke spielen. Du kannst mir sagen, wenn du zu viel Angst bekommst. Das weißt du, oder?" Ich nicke und antworte: „Nein, geht eh noch, aber danke" Er erwidert mein Lächeln und konzentriert sich dann wieder auf den Film. Ich hoffe, der dauert nicht mehr allzu lange. Plötzlich kommt ein Jump-Scare, bei dem ich mich total erschrecke und bei dem mir sogar ein nicht ganz so leiser Schrei entkommt. „Alles gut", sagt Michi und zieht mich näher zu sich. Oh mein Gott! Jede Angst wurde soeben von einem warmen Gefühl im Bauch ersetzt. Ich würde grad nirgendwo lieber sein als hier, obwohl mir der Film mega Angst macht. Und schneller als ich schauen kann, kommt auch schon der Abspann. Die Zeit ist so schnell vergangen und ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht nur an der Spannung des Films lag. Michi zieht seinen Arm zurück und hebt seine Jacke vom Boden auf. Ich habe dummerweise meine zuhause vergessen und ich nehme an, dass es jetzt ziemlich kalt sein wird. Inzwischen ist es nämlich schon etwa 10 Uhr.

„Magst du noch spazieren gehen, oder willst du schon nach Hause?", fragt er, als wir das Kino verlassen. „Ich hätte nichts dagegen, noch ein bisschen spazieren zu gehen", sage ich. „Und, wie hat dir der Film gefallen? Du fandest ihn ziemlich gruselig, oder? War's dir eh nicht zu viel?" „Der Film und gruselig? Neeein", sage ich lachend. „Das hat sich aber anders angefühlt, als du dich zu mir gekuschelt hast", sagt er und zwinkert mir zu. „Ich hab' mich gar nicht zu dir gekuschelt, du hast mich näher zu dir gezogen. Da kann ich nix dafür, ok?" „Mhm, genau", sagt er und lächelt mir zu, aber plötzlich wird sein Gesichtsausdruck ernst. „Oh, mir ist gar nicht aufgefallen, dass du keine Jacke hast. Du zitterst ja. Hier, nimm meine", sagt er und zieht sich seine Jacke aus. „Nein, das geht schon" „Keine Wiederrede", sagt er und hängt sie mir um. „Danke. Aber ist dir nicht auch kalt?" „Nein, eigentlich geht's voll" „Ok, aber wenn dir kalt wird, sag was" „Jaja, mach ich.", sagt er und ich merke ihm an, dass er nichts sagen würde, auch wenn ihm wirklich kalt wäre. Wir gehen ein bisschen herum und ich erzähle ihm vom Tanzen. Wie sehr es mich erfüllt und wie sehr ich es liebe. „Na, dann tanz mit mir" „Hier, jetzt?!" „Ja, warum nicht?", fragt er amüsiert. „Naja, hier sind ja überall Leute" „Bei den Aufführungen nicht?" „Doch, aber da ist es was anderes" Er schaut mich schief an. „Na gut" „Ja!", ruft er und lächelt mich an. Plötzlich geht er weg von mir. Was will er denn jetzt machen? Ich sehe, wie er zum nächsten Straßenmusiker geht, im Geld gibt und kurz mit ihm spricht, bevor er wieder zurückkommt. Plötzlich beginnt eines meiner Lieblingslieder zu spielen. „Woher weißt du, dass das mein Lieblingslied ist?" „Ich muss zugeben, ich hab' dich ein bisschen auf Social Media gestalked", sagt er und wird leicht rot, lacht aber. „Ah, so ist das", sage ich und trete näher zu ihm, um mit ihm tanzen zu können. Er nimmt mich an der Hüfte und bringt mich näher zu sich. Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter und genieße den Moment. Der Sänger ist echt gut und es fühlt sich schön an, Michi so nahe zu sein und mit ihm zu tanzen, auch wenn es jetzt nicht gerade richtiges tanzen ist. Viel zu schnell ist das Lied vorbei und wir lösen uns wieder voneinander. Plötzlich fällt mir auf, dass um uns herum viele Leute stehen und uns zuschauen. Ich erröte leicht und ziehe Michi mit, um den Blicken der Leute zu entkommen, doch da kommt auch schon wer auf uns zu. „Sie sind ein sehr süßes Paar", sagt eine ältere Dame und lächelt uns freundlich an. „Wir sind kein Paar", sage ich „Noch nicht", sagt Michi, worauf ich ihn leicht in die Rippen schlage. „Na dann, viel Glück", sagt die Dame und geht weiter. Auch wir setzen unseren Spaziergang fort und gehen langsam wieder Richtung Auto zurück. „Das war heute wieder ein echt schöner Abend", sage ich. „Finde ich auch. Hast du vielleicht morgen Zeit, das hier fortzusetzen?" „Ja, wieder um 6?" „Das wird jetzt wohl unsere fixe Zeit, aber ja 6 Uhr ist gut. Wieder bei dir?" „Ja, wieder bei mir"

Nachdem Michi mich gestern überpünktlich zuhause abgesetzt hat, bin ich auch schon relativ schnell schlafen gegangen, oder hab's zumindest probiert, da die Gedanken in meinem Kopf herumgeflogen sind wie verrückt. Jetzt bin ich gerade bei der Probe und versuche wirklich, mich auf den Unterricht zu konzentrieren, da meine Gedanken immer wieder zu Michi wandern. Nach dem Kurs kommt meine Lehrerin auf mich zu und sagt: „Jackie, du hast so eine positive Ausstrahlung in letzter Zeit. Was immer du gerade tust, hör nicht auf damit" „Danke, Ms. Porter", sage ich und gehe mich umziehen. „Was wollte denn Ms. Porter noch von dir?", fragt mich Sophie, als ich in die Umkleide nachkomme. „Ach nichts" „Komm, du siehst nicht so aus, als wäre das nichts gewesen." Wenn ich ihr erzähle, was Ms. Porter gesagt hat, muss ich ihr auch das mit Michi sagen. Was soll's? Sie ist meine beste Freundin, irgendwann muss ich's ihr ja sowieso erzählen. „Na gut, aber dafür muss ich ein bisschen weiter ausholen." Beim Weg nach Hause erzähle ich ihr die ganze Geschichte und da ihr Haus nur etwa 5 Minuten von meinem entfernt ist, bleibt genug Zeit um ihr alles bis ins kleinste Detail zu berichten.   

Warum ausgerechnet Arzt? (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt