Kapitel 12

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Die nächsten 3 Wochen vergehen wie im Flug. Ich bin viel im Studio, Michi oft in der Arbeit. Wir schaffen es aber trotzdem, uns oft zu sehen und wenn nicht, dann facetimen wir zumindest. Heute haben wir beschlossen, ein bisschen auf einen kleinen Berg wandern zu gehen, wofür wir schon mal etwa eine Stunde aus Wien rausfahren müssen. Ich habe übermorgen das Vortanzen, da tut mir ein bisschen frische Luft sicher gut. Michi holt mich nach der Probe, die heute echt schon sehr gut verlaufen ist, mit dem Auto ab. „Hey Süße, wie war's?", fragt er, als ich einsteige. „Echt gut. Ms. Porter hat mich sehr gelobt und meinte, wenn ich bei der Audition genauso gut bin, bekomme ich die Rolle bestimmt." „Ich wusste, dass du das kannst. Ich zweifle kein bisschen daran, dass sie dir die Rolle geben und wenn sie es nicht tun, dann sind sie die dümmsten Menschen auf dieser Erde", sagt er und lächelt mich an. „Danke, aber mal schauen. Ich will mir nicht zu große Hoffnungen machen" „Wenn ich du wäre, würde ich mir überhaupt keine Sorgen machen – das wird schon alles perfekt laufen." Ich lächle ihn an und gebe ihm einen kurzen Kuss. „Bereit für die Berge?" „Oh ja", sage ich voller Vorfreude und schnalle mich an. „Ich freu' mich schon total, gute Bergluft zu schnuppern" „Ja, ich mich auch", sagt er und legt während des Fahrens seine rechte Hand auf meinen Schenkel. Er dreht Musik auf, von der er weiß, dass ich sie unfassbar gerne mag. Dieser Trip kann nur perfekt werden.

„Ich hoffe, du hast viel Atem, denn ich denke, das könnte schon ein bisschen dauern, bis wir am Berg sind.", sagt Michi „Keine Sorge, du wirst schon noch sehen, wer ganz oben hecheln wird wie ein Hund" „Ja, das werden wir noch sehen", sagt er zum Spaß selbstgefällig, als ob er sich zu 100% sicher wäre, dass ich diese Person sein werde. Der Weg ist relativ steil, aber wir haben uns wohl noch den letzten halbwegs warmen Tag, zumindest für Novemberverhältnisse, ausgesucht, was das ganze natürlich angenehmer macht. Es ist anstrengender als gedacht, aber ich sehe, dass es ihm auch so geht und wir es einfach beide nicht zeigen wollen. Als wir ganz oben angekommen sind, hecheln wir beide wie Hunde, aber für diesen wunderschönen Ausblick zahlt sich das auf jeden Fall aus. „Das war steiler, als ich dachte", gebe ich als erste nach. „Oh ja. Aber wenigstens ist es echt schön hier oben", sagt er und zieht mich etwas näher. Wir setzen uns auf eine Bank, auf der man, wenn man runterschaut, bis nach Wien sehen kann. Hier ist sonst niemand und die Stimmung ist deswegen noch ein kleines bisschen romantischer. Wir setzen uns ganz nahe nebeneinander und genießen für ein paar Minuten einfach die Stille. Irgendwann merke ich, dass er mich beobachtet. „Weißt du eigentlich, wie schön du bist?", fragt er so, als wäre er total erstaunt von meinem Wesen. Ich werde rot und schaue zu Boden, aber ich muss lächeln, weil das eine der süßesten Sachen ist, die je irgendwer zu mir gesagt hat. Als ich meinen Mut zusammenfasse und wieder raufschaue, sieht er mich immer noch an. Der Blickkontakt wird unglaublich intensiv. „Ich liebe dich", sagt er und schaut mir dabei weiterhin in die Augen. Diesen Satz von ihm zu hören, habe ich mir schon so lange gewünscht, aber ich hab' mich nicht getraut, ihn zuerst zu sagen, weil ich Angst hatte, dass es noch zu früh ist. Aber jetzt, wo er ihn gesagt hat, fühlt es sich einfach nur richtig an. „Ich dich auch", sage ich und lehne mich näher zu ihm, um ihn sanft zu küssen. Aus dem anfangs vorsichtigen Kuss wird schnell ein sehr leidenschaftlicher. Unsere Zungen liefern sich ein Duell und unsere Herzen rasen.

„Ok, ganz ruhig. Ich bin da und du schaffst das. Ich bin hier hinter der Bühne. Falls du unsicher wirst, schau mich einfach an. Du hast so lange dafür trainiert, da wirst du jetzt sicher alle Personen die zuschauen, vom Hocker hauen." Ich lächle Michi dankbar an und gebe ihm einen letzten Kuss, bevor ich raus auf die Bühne gehe und für die Hauptrolle in der modernen Fassung von Schwanensee vortanze, wofür ich Monate lang trainiert habe. Ich begebe mich in meine Anfangspose, als ich auch schon nach ein paar Sekunden die Musik zu spielen beginnen höre. Sofort bin ich in einer anderen Welt, in der plötzlich nichts anderes mehr zählt. Das ist genau das Gefühl, wegen dem ich überhaupt angefangen habe zu tanzen. Doch wie aus dem nichts spüre ich plötzlich einen scharfen Schmerz an meinem Fuß und falle zu Boden. Nach wenigen Sekunden sehe ich schon Michi, wie er auf die Bühne läuft und zu mir kommt – dann wird alles schwarz.

Als ich meine Augen öffne, steht Michi über mir und sieht mir besorgt ins Gesicht. „Da bist du ja wieder. Wie geht's dir?" Ich bin total verwirrt... Warum kann ich mich an nichts erinnern? „Wo...wo bin ich?" „Ok, jetzt ganz ruhig bleiben. Du bist im Krankenhaus. Ich habe aber keine Dienstkleidung an, weil ich mir dachte, dass du so vielleicht weniger Angst haben würdest. Keine Sorge, ich bin da. Dir tut niemand weh", sagt er und streichelt dabei beruhigend meine Wange. „Was ist denn überhaupt passiert?", frage ich, zu benebelt, um richtig panisch zu werden. „Du bist beim Vortanzen ungünstig umgekippt und vermutlich durch die Panik bewusstlos geworden. Wir werden jetzt dann dein Bein röntgen, um zu sehen, ob du dir irgendeine schwerwiegende Verletzung zugezogen hast. Ich will dir nichts verheimlichen – ich gehe davon aus, dass du dir die Bänder gerissen hast." „Und was würde das fürs Tanzen heißen?" „Nichts Gutes, mein Schatz. Aber jetzt warten wir erstmal ab, vielleicht ist es halb so schlimm." „Nein, ich mag nicht hier bleiben", sage ich und will aufstehen, doch ich werde, schneller als ich schauen kann, wieder zurück auf die Liege verfrachtet. „Doch, du bleibst jetzt mal hier liegen, bis wir röntgen können. Das muss leider sein, meine Süße", sagt Michi mit viel Mitleid in der Stimme. Aus dieser Situation komme ich wohl so schnell nicht wieder heraus.

Warum ausgerechnet Arzt? (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt