29.

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Neuer Tag, neues Glück.
Ich quäle mich nur langsam aus dem Bett, um auf das Klo zu gehen.
Als dieses jedoch belegt ist, klopfe ich an.
"Ich bin ja gleich soweit...warte noch kurz!", ruft Sissy hinter der Tür und ich lehne mich an die Wand im Flur.
So wie ich mich gerade fühle, weiß ich, dass ich heute nichts...also rein gar nichts auf die Reihe bekommen werde.
Als ich dann endlich ins Bad kann, gehe ich pinkeln, wasche mich schnell und putze meine Zähne.

"Wie kommt's, dass du gleich nach dem Weckerklingeln aufstehst?", fragt mich Sibel, als ich mich zu ihr in die Küche setze.
Ich zucke mit den Schultern: "Ich musste auf Toilette", sage ich und meine beste Freundin nickt.
Sie erzählt mir, was heute bei ihr ansteht und erklärt: "Ich habe hier...", sie deutet auf die Tüte mit dem Becher drin, "...dein Frühstück eingepackt."
Ich nicke und bedanke mich bei ihr mit einer Umarmung.
"Och...morgendliche Umarmungen sind mir am liebsten", höre ich meine Cousine lächelnd sagen und kurz darauf steht sie auch schon neben uns und legt ihre Arme um uns.
Das bringt mich zum Lachen, obwohl mir immer noch nicht danach ist.

- - -

Als ich auf dem Heimweg einen kleinen Umweg nehme und in Richtung meines alten Zuhauses gehe, kommen Erinnerungen in mir auf.
Ich erinnere mich daran, wie Rick und ich einmal, als wir den Bus verpasst hatten, gelaufen sind. Er ist extra den längeren Weg mit mir mitgelaufen, um mich zu begleiten.
Als ich an der Kreuzung kurz vor dem Haus meiner Familie stehen bleibe, muss ich daran denken, wie Rick dort stehen geblieben ist und festgestellt hat, dass wir gar nicht soweit voneinander entfernt wohnen. Ja...es waren schon so vielleicht 10-15 Minuten, trotzdem ist es nicht weit.

Ich will gerade weitergehen, da kommt mir mein Bruder entgegen.

"Hey, Ben! Ewig nicht gesehen!", sage ich und mache ihn damit auf mich aufmerksam.
Er hebt den Blick von seinem Smartphone und nickt zur Begrüßung.
"Was machst du hier?", fragt er mich und ich zucke nur die Schultern, was ihn dazu bringt, die Augen zu rollen.
Dann frage ich ihn, wie es in seiner Schule läuft und er erzählt ein paar Sachen, die in letzter Zeit passiert sind.
Mir fällt auf, dass ich öfter mit ihm schreiben sollte...irgendwie vermisse ich das Ganze...wir waren früher unzertrennlich.
Dann meint Ben nur, er hätte Hunger und wolle jetzt unbedingt nach Hause, denn dort wartet eine Aufbackpizza auf ihn. Ich nicke und wir verabschieden uns.
Was für ein komisches Gefühl...

Wir haben ungefähr zwölf Jahre ein Zimmer geteilt und jetzt hat er mir nichts zu sagen...

Ich entscheide mich dafür, beim Bäcker um die Ecke ein belegtes Brötchen zu holen und dieses zum Mittag zu essen.
Langsam habe ich mich daran gewöhnt, dass Sissy und Me meist erst ein bis zwei Stunden nach mir nach Hause kommen.

- - -

Mir ist langweilig und ich will schon fast eine Nachricht an Rick schicken, nur, um mit ihm zu schreiben...da vergeht die Zeit schneller. Aber er meinte ja, er bräuchte eine Pause...
Egal, ich schreibe:
Hey...wie geht's? Brauchst du immer noch Zeit? Musst du immer noch nachdenken?
Ich setze keine große Hoffnung auf eine Antwort, schnappe mir erstmal mein Buch und lege mich auf meine Mini Couch in meinem Zimmer.
Ich würde zwar furchtbar gerne lesen, aber mein Kopf will nicht. Denn dieser denkt durchgängig daran, was mit Rick hätte anders...besser laufen können.
Also starre ich die Zimmerdecke an.
Irgendwie muss ich meinen Kopf freibekommen!
Vor einigen Jahren habe ich mit Meditation und Yoga angefangen...das hat in letzter Zeit ziemlich nachgelassen. Aber es hat mir immer geholfen, mich auf das Wesentlich zu fokussieren und einen klaren Kopf zu bekommen.
Ich schnappe mir also dieses Kissen, was ganz unten in meinem Schrank verschwunden ist und platziere es in der Mitte meines Zimmers.
Über Kopfhörer höre ich passende Musik und begebe mich in das Innere meiner Gedanken.
Was ist alles passiert?
Ich lasse alles Revue passieren...alles, was irgendwie ansatzweise mit Rick zu tun hat und/oder mich an ihn erinnert.

Wow...das ist wirklich viel.
Mir fällt auf, dass er damals schon so unentschlossen wirkte. Den einen Tag haben wir uns nämlich voll gut verstanden und am nächsten hat er mich dann ignoriert. Gibt es eigentlich irgendeine medizinische Bezeichnung dafür?
Ich drifte mit meinen Gedanken ab und bin in einer anderen Welt, als mein Handy auf einmal anfängt zu klingeln und die Musik unterbricht.
"Ja?", frage ich in den Hörer.
Doch am anderen Ende knackts nur und kurz darauf erklärt mir eine Stimme, dass sie sich verwählt hätte.
Nachdem ich aufgelegt habe, stöhne ich angenervt. Jetzt mal echt...wer verwählt sich denn bitte?
Als ich mein Handy schon wieder zur Seite legen will, sehe ich eine Antwort von Rick und mein Herz beginnt zu hüpfen.
Mir geht's gut...ich bin mir über einiges klarer geworden...
Ah ja...und weiter???
Was soll ich denn jetzt schreiben?
Wenn ich ihn jetzt frage, über was er so intensiv nachdenken musst, dann redet der nie wieder mit mir, also schreibe ich nur:
Okay
Ich sehe, dass Rick es gelesen hat, doch er scheint nichts mehr dazu beitragen zu wollen. Aber ich will weiter mit ihm schreiben, so leicht lasse ich mich nicht abwimmeln und schreibe:
Und was ist dir jetzt klarer geworden?
Ich kann's einfach nicht lassen!
Fast muss ich über meine eigene Dummheit lachen. Es ist als würde ich quasi auf eine abweisende Antwort abfahren und kann es kaum abwarten, diese zu bekommen.
Mein Handy piept und ich sehe drauf.
Alles
Wieso ist Rick so? Kann er nicht einfach zum Punkt kommen?
Ich schicke nur das überlegende Smiley und sehe, wie er anfängt zu schreiben.
Das zwischen uns
Okaaayyy...
Und jetzt?
Frage ich, aber Rick scheint offline gegangen zu sein.

"Belle?", ruft Me, die als erstes nach Hause kommt.
Ich sage ihr, sie kann reinkommen und meine Cousine betritt kurz darauf mein Zimmer.
"Und...wie war dein Tag?", fragt sie und ich zucke mit den Schultern.
"Normal, denke ich...", ich mache eine kurze Pause, um Luft zu holen, "...und deiner?"
Esmeralda verzieht das Gesicht: "Ging schon...aber wir haben heute einen Test geschrieben...ich glaube, dass wird nichts besseres als 'ne 2."
Ich verdrehe die Auge: "Nicht dein Ernst? Alles, was besser als 'ne vier ist, ist doch gut." Sie verzieht das Gesicht: "Für dich vielleicht..."
Ich schnaufe...Esmeralda ist halt eine Streberin, was will man da machen?
Wir quatschen noch ein bisschen über die Schule und bald kommt auch schon Sissy und diese hat natürlich auch, wie immer, viel zu erzählen.

Wo die Liebe hinfällt... (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt