Wo die Liebe hinfällt... (1)

11.

Rick steht natürlich schon da. Er hat sich an die Wand des Gebäudes gelehnt und sieht auf sein Smartphone. Doch als er mich zu bemerken scheint, hebt er den Blick und winkt mir kurz zu.
"Na", sage ich, weil mir sonst nichts einfällt und er grinst mich nur blöd an.
Mit einem Kopfnicken deutet er auf die gepflasterte Straße, die runter in Richtung See führt und wir laufen los.
Als wir schon eine Weile laufen fragt er: "Ist das hier...äh...okay für dich?"
Ich drehe meinen Kopf zu ihm und nicke: "Aber klar doch. Ich wollte schon voll lange mal was mit dir machen...also sowas hier",  ich wedele mit der Hand in der Luft und Rick schmunzelt.
"Na dann ist ja gut", sagt er und ich muss lächeln.
Als wir eine Weile im Schweigen gelaufen sind, fragt er: "Was hast du heute schon so gemacht?" Was für eine normale Frage aus seinem Mund. Aber ich weiß, dass er damit nur etwas anderes vertuschen will...
"Ich war in der Schule...und Me und ich haben zusammen Mittag gemacht...", ich zucke die Schultern.
"Me?"
"Ja, meine Cousine...Esmeralda..."
Er nickt und ich sehe zu einem Baum nach oben, wo gerade ein Vogel sein Lied anstimmt.
"Setzen wir uns?", frage ich nach einer Weile, die wir gelaufen sind, und deute auf eine Bank, die am Straßenrand steht. Er nickt und wir lassen uns nieder.
"Also...jetzt erzähl' du doch mal was...also, was geht bei dir so ab?", frage ich Rick und er kneift verwundert die Augen zusammen.
"Bei mir ist nicht los. Ich geh' auch ganz normal zur Schule und ansonsten passiert nicht viel..." Er ist so verschlossen...
Wow...ich weiß nicht, was ich von diesem Nachmittag zusammen mit Rick erwartet habe, aber das war es auf jeden Fall nicht. Ich dachte, wir könnten locker reden, aber das wir nach knapp einer halben Stunde schon keine Themen mehr haben, hätte ich nicht gedacht...
Die ganze Sache wirkt voll angespannt und es fühlt sich so an, als wolle keiner etwas Falsches sagen, was ja auch irgendwie stimmt...
"Aha...", sage ich und verstumme, als ich seinen abwesenden Blick bemerke.
"Is was?", frage ich und er zuckt zusammen, als hätte man ihn gerade aus einer anderen Welt zurückgeholt.
"Äh...neee...also, ich musste bloß...äh...an was denken." Was ist denn mit dem los?
"Und an was?", frage ich provozierend, aber auch irgendwie neugierig.
"Ich glaube...das willst du gar nicht wissen", gibt er zu und ich sehe ihn mit zusammengekniffenen Augen an: "Komm' schon", bettel' ich und er zuckt ergeben die Schulter.
"Du willst es wirklich wissen?", fragt er und ich nicke eifrig, woraufhin er tief Luft holt.
"Okay...aber werd' nicht sauer...ja?"
Wieder nicke ich und er beginnt: "Also...ich habe...ich habe überlegt, was passiert wäre...also was wäre gewesen, wenn wir nicht aufgehört hätten..."
Was?
"Mit was?", frage ich so leise, dass ich glaube, der Wind hat meine Worte mit sich genommen, doch Rick dreht den Kopf zu mir.
"Im Schwimmbad..."
Denkt er immer noch daran? So wie ich? Denkt er tatsächlich an das, was passieren hätte können, wenn die Leute nicht gewesen wären?
Mein Atem geht stoßweise und ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Als Antwort zucke ich mit den Schultern und sein Blick trifft meinen.
"Was hättest du denn gewollt?", ich schnappe nach Luft. Habe ich das gerade laut gesagt?
"Du willst nicht, dass ich das laut ausspreche...", sagt er und ich sehe ihn mit aufgerissenen Augen an.
"Jetzt sag schon!", fordere ich ihn auf und er sagt: "Okay, gut..."
"Nur zur Info...wenn wir unter uns gewesen wären...also nicht im öffentlichen Schwimmbad...dann..."
Ich kann mir schon denken, was er sagen will, also unterbreche ich ihn und frage: "Und du fändest das okay? Zwischen uns...also...ja..." Ich runzle die Stirn und er sieht mich mit einem schiefen Lächeln an: "Vielleicht", ein verlegenes Lachen überkommt seine Lippen und auch ich muss schmunzeln.
"Und du?", fragt er mich und ich zucke mit den Schultern.
"Naja...", sage ich grinsend und ziehe das Wort dabei in die Länge.
Rick sieht mich mit aufgerissenen Augen und offenstehendem Mund an.
Kaum zu fassen, dass wir das hier besprechen...
"Wirklich?", fragt Rick fassungslos und ich komme mir irgendwie total bescheuert vor, dass ich ihm gerade gestanden habe, dass es mir irgendwie gefallen hat, was wir im Schwimmbad erlebt haben.
Als Antwort kann ich nur nicken und er fragt stockend: "Also...äh...wirklich? Du...ich...ich dachte...wir...wir sind Freunde...und...und da...also da geht doch sowas nicht."
Ich zucke mit den Schultern und weiß wirklich nicht wie es soweit kommen konnte.
"Oh Mann...", er schüttelt lachend den Kopf, "ich hätte nicht gedacht, dass wir über sowas reden..."
Ich stimme in sein Lachen mit ein: "Naja...ich schon...du musst zugeben...äh...", ich stocke. Soll ich das jetzt wirklich sagen? Egal...
"...bei uns gab es eigentlich nie ein anderes Thema als...also...als...du weißt schon..."
Er nickt, als wäre ihm das längst bewusst und er nicht gedacht hätte, dass ich es auch bemerken würde.
"Was meinst du, woran liegt das wohl?", fragt er und ich zucke die Schultern: "Keine Ahnung...weil wir komisch sind?"
Ich muss lachen und Rick verdreht die Augen. Natürlich liegt es nicht daran, dass ich mich vielleicht auch nur ein kleines bisschen zu Rick hingezogen fühle und er womöglich auch zu mir.
"Vielleicht...", sagt er, "...vielleicht liegt's aber auch daran, dass...dass wir es uns beide wünschen...also...das es passiert..."
Er sieht mich mit fragendem Blick an und ich schnappe nach Luft
"Ich glaube, wir sollten jetzt das Thema wechseln...", sage ich, um so schnell wie möglich aus dieser Sache rauszukommen, doch Rick schüttelt den Kopf.
"Nein", beharrt er und ich verziehe mein Gesicht.
"Würdest du nun mit mir schlafen oder nicht?", fragt Rick gerade raus und ich sehe mich schnell um...nicht das uns noch jemand zuhört...
"Pscht...", sage ich und deute ein Kopfnicken in Richtung der Leute auf der anderen Straßenseite an.
Rick lacht: "Okay, okay...ich versteh' schon...dir ist das peinlich..."
Ich richte meinen Blick weg von ihm und er fährt fort: "Muss es aber nicht...also...du musst dich echt nicht vor mir schämen...oder sonst wem..."
Ich nicke und wünsche mich ganz weit weg...
Ich würde wirklich alles lieber tun, als dieses Gespräch fortzuführen.
Zum Glück klingelt in dem Moment mein Handy und ich gehe ran.
"Hey, na wo bleibst du denn? Ich dachte, wir kochen heute zusammen?", fragt Sissy am anderen Ende der Leitung und ich nehme das Smartphone kurz vom Ohr, um auf die Uhr zu gucken. Mist...schon 17 Uhr.
"Ich...ich bin unterwegs und habe die Zeit vergessen...", sage ich und meine beste Freundin meint, dass sie jetzt noch schnell die letzten Sachen einkaufen geht und hofft, dass ich, wenn sie wieder zu Hause ist, es auch bin.
"Wer war das?", fragt Rick verwirrt und ich lächle verlegen.
"Sibel...ich...ich muss nach Hause..."
"Warum? Sie ist doch nicht deine Mom?", sagt Rick und ich schüttele lachend den Kopf.
"Nee, aber wir wollten zusammen das Essen machen und wenn ich jetzt zu spät komme, dann ist sie bestimmt total mies drauf und darauf habe ich kein Bock...", lüge ich...Sissy wird nie sauer, sie ist so friedlich und kommt irgendwie mit allem klar. Ich weiß auch nicht warum...
"Okay, dann begleite ich dich noch ein Stück", meint Rick und ich schüttele abwehrend dem Kopf.
"Quatsch...musst du nicht. Von hier aus ist es viel näher zu dir nach Hause und wenn du jetzt nochmal mitkommst, dann läufst du voll weit...das musst du wirklich nicht."
Rick nickt und murmelt: "Stimmt schon."
Dann verabschieden wir uns. Unerwartet kommt er auf mich zu und gibt mir eine kurze Umarmung zum Abschied.
Danach wendet er sich sofort zum Gehen und ich rufe noch hinterher: "Bis bald."
Hat er das überhaupt gehört?
Doch als er seine Hand zum Gruß hebt, habe ich die Antwort auf meine Frage.