41. Am Boden

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41. AM BODEN

Emilys Erwachen am nächsten Morgen war nicht sonderlich angenehm. Das Sonnenlicht stach in ihren Augen und ihre Zunge fühlte sich seltsam pelzig an. Ihr ganzer Körper war steif und angespannt an, was eigentlich kein Wunder war, denn Emily hatte anscheinend im Schlaf versucht sich zu einer möglichst kleinen Kugel zusammen zu rollen. Die Bettdecke hatte sich mehrmals um ihre Beine geschlungen und das Kopfkissen lag am anderen Ende des Zimmers.

"Merlin", stöhnte Emily und schloss lieber wieder die Augen. Das war die schlimmste Vollmondnacht seit langem, trotz der Tatsache, dass sie geschlafen hatte. Die Erinnerung an den inneren Kampf, den sie in der letzten Nacht so haushoch verloren hatte, spielte sich in Dauerschleife vor ihren Augen ab. Hitze stieg in ihre Wangen, während bittere Scham wie Säure ihren Körper flutete.

Wie schwach konnte Emily nur sein? Wieder hatte sie ihr Versprechen gebrochen und der Versuchung nachgegeben. Sie war nicht mehr stark. Die anderen durften das niemals erfahren. Was würden sie von Emily denken?

Und genau deshalb würde Emily jetzt aufstehen und weitermachen wie bisher. Niemand musste mitbekommen wie es ihr ging. Sie würde schon irgendwie damit klarkommen. Mit dem Wolf, mit dem Angriff, mit Greyback, mit diesem verdammten Gefühl der Schwäche, mit dem Wissen, dass sie Greybacks Opfer gewesen war. Aber nicht heute. Beim nächsten Mond.

Unter der Dusche wusste sie nicht mehr ob das heiße Wasser sie von der letzten Nacht reinwaschen sollte oder eine Bestrafung war. Die Narben protestierten gegen das glühende Wasser, bis Emily den Wasserhahn kurzer Hand auf Eiskalt drehte. Erstickt keuchte Emily auf als der Strahl auf ihren malträtierten Rücken prasselte.

Nein. Nein. Nein.

Da war keine Zeit dafür. Sie würde keinen Gedanken mehr an den Vollmond, an die Schwäche, an diesen Niedergang zulassen. Emily stellte das Wasser ab und kletterte aus der Dusche, um sich dann ein Handtuch zu schnappen. Energisch rubbelte sie sich trocken, die Narben schreiend, aber sie ignorierte den Schmerz.

Emily wischte den Wasserdampf vom Spiegel und erhaschte einen Blick auf sich. Das rote Haar ein wirrer Heiligenschein um das blasse Gesicht. Die Narben die sich über ihre Schultern wagten ebenso rot brennend.

Emily wandte den Blick schnell wieder ab und verließ das Badezimmer.

Angezogen und die Haare gekämmt, sichergestellt, dass die Narben unter dem Pullover verborgen blieben, lief Emily in die Küche. Dort saß bereits Sirje beim Frühstück, sie war gerade erst von ihrer Nachtschicht zurückgekehrt. "Guten Morgen", sagte sie mit einem breiten Lächeln. "Porridge steht noch auf dem Herd und frisches Obst habe ich auch."

"Guten Morgen", murmelte Emily und bereitete sich ihr Frühstück zu. Ihr Magen knurrte hörbar, auch wenn Emily die Nacht nur geschlafen hatte, verlangte ihr Körper nach Energie.

Sirje sah ihr belustigt zu. "Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du einen Marathon gelaufen bist."

"Vielleicht bin ich das ja auch." Emily setzte sich zu Sirje an den Tisch.

"Hast du trotzdem geschlafen?", fragte Sirje lachend. "Oder hast du die ganze Nacht wach gelegen?"

Emily fühlte sich so, als ob jemand einen Kübel voller Eiswasser über ihr ausgekippt hatte und das winzige bisschen an guter Laune verschwand. "Doch, hab ganz gut geschlafen", sagte sie.

"Es ist ganz normal, wenn du dich unruhig fühlst", erklärte Sirje, ganz die Heilerin. "Ich habe mich bei Remus nach den Symptomen der Lykantrophie erkundigt und worauf ich bei dir achten muss."

"Ich weiß." Emily war der Appetit vergangen, auch wenn sie nur die paar Löffel gegessen hatte. Erst Sirjes Sorge und dann musste sie auch noch Remus erwähnen. Ausgerechnet Remus. Ihr Magen verknotete sie sich, als sie an ihn dachte. Remus, der jeden Vollmond so viel Schlimmeres als sie durchmachen musste, während sie selbst zu schwach war auch nur eine einzige Nacht alleine zu überstehen.

Anathema - III -  Harry Potter FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt