48. GRAU
Emily hatte keine Ahnung mehr, wie viele Tage seitdem ihr Bruder sie verlassen hatte, vergangen waren. Irgendwie verschwamm jeder Tag in den anderen, ebenso wie die unzähligen dunklen Wellen die sich schäumend brachen und auf den Strand von Ynys Môn krachten. Graues, eisigkaltes Wasser umgab Emilys nackte Füße, bevor es sich wieder zurück zog, nur um dann mit erneuter Wucht wieder auf das Land zu treffen. Wieder und immer wieder. Beständig.
So beständig wie die Fragen in Emilys Kopf, die verwirrten Gefühle in ihrem Herzen.
Das Wasser nahm Emily kaum noch wahr, sie vergrub die Zehen im Sand und sah den Wellen zu. Waren ihr Füße schon blau? Irgendwie konnte es Emily in diesem Moment nicht weniger kümmern.
"Hallo Eos", murmelte Emily der kleinen, schwarzen Eule zu, die auf ihrer Schulter landetete.
Eos zog an Emilys Haaren, ein unmissverständliches Zeichen, dass sie eine Belohnung haben wollte. Hermine, die sich im letzten Jahr um Eos gekümmert hatte, hatte die Eule nach Emilys Rückkehr wieder zu ihr zurück geschickt.
Emily kramte in ihrer Hosentasche nach einer Eulenleckerei und hielt sie Eos hin. "Wieder keine Antwort?"
Eos schlang die Leckerei hinunter. Doch Emily war auch so klar, dass Eos ihr keine Antwort von Harry gebracht hatte. Wieso auch? Bisher war jede Nachricht an Harry unbeantwortet geblieben. Jeden Tag hatte sie Eos losgeschickt, jeden Tag war Eos ohne Antwort zurück gekehrt. Dabei wollte Emily doch nur wissen warum.
"Verdammt", schrie Emily zu den Wellen und Wolken.
Erschrocken flog Eos auf und davon.
Emily fluchte leise. Selbst ihre Eule hatte sie nun verschreckt. Dabei wollte sie doch nicht so verdammt niedergeschlagen sein. Aber irgendwie fühlte sie sich so einsam. Einsamer als jemals im letzten Jahr. Und alles nur, weil Harry, der verdammte, sture Idiot beschlossen hatte nobel zu sein. So nobel zu sein, dass er seit Dumbledores Beerdigung kein einziges Wort mit ihr gewechselt hatte. So nobel, dass er sich weigerte Emily zu sehen, sich sogar weigerte ihr zu schreiben. Sie war sich noch nicht mal sicher, ob sie sich an ihrem Geburtstag sehen würden.
Ich hab gesehen, wie du branntest. Harrys gebrochene Worte waren ihr ein ständiger Begleiter. Und ich will nicht, dass so etwas noch einmal passiert.
Emily vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Sie hasste diese Worte. Aber sie konnten doch nicht die Antwort auf die verzweifelte Frage sein, warum ihr Bruder sie verlassen hatte?
Sie brauchte doch keinen Schutz? Sie war Harrys Schwester, sie sollte an seiner Seite stehen. Er brauchte sie doch. Oder etwa nicht?
Der leise Schrei einer Eule hinter ihr, ließ Emily herumfahren. War Eos zurück gekehrt? Doch vor ihr flatterte ein großer Uhu mit dunkelbraunem Gefieder. An seinem Fuß war ein kleines, viereckiges Paket befestigt.
Emily watete aus dem Wasser und streckte den Arm für den Uhu aus, der es sich auch sofort auf ihrem Arm bequem machte. "Wo kommst du denn her?", fragte Emily und löste die Verschnürung. Das Paket war nicht größer als ihre Handfläche und auf der Oberseite hatte jemand eine Lilie gemalt. Keine gute Zeichnung, aber Emily wusste sofort was es war. Lilium.
Emily hoffte auf einen neuen Auftrag, dass würde sie wenigstens ein bisschen ablenken. Tatsächlich verbarg sich in dem Paket, nach dem Emily den Verkleinerungszauber wieder rückgängig gemacht hatte, eine Mappe, die sich mit Emilys Fingerabdruck öffnete. Doch statt eines Auftrag zum Fälschen, fiel Emily ein dicker Stapel Papier, der dicht beschrieben war, entgegen. Oben drauf lag eine Notiz von Sirje.
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Anathema - III - Harry Potter Fanfiction
Fanfiction| Wir alle tragen eine helle und eine dunkle Seite in uns | Nichts ist mehr so wie es war für Emily. Ein Werwolf, der die Jagd auf sie eröffnet hat. Ein Bruder mit einem tödlichen Geheimnis. Ein Krieg, der gerade erst begonnen hat und doch läng...