IV

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Natasha und Eleanor kamen an einem schnuckligen, kleinen Café and, welches den Namen „London Biscuits" in Holzbuchstaben über der Tür verkündete. Keine von beiden war schon wirklich jemals hier gewesen, aber Eleanor hatte es vorgeschlagen, weil sie immer rein wollte. Es sah wirklich gemütlich aus, allerdings war sie immer Johnathans Wünschen nachgegangen und so war jetzt das erste Mal seit einer Weile, dass jemand sie entscheiden ließ.

Die beiden jungen Damen fanden einen sonnenbeschienen Platz an einem Fenster und als nach ein paar Minuten der Kellner kam, bestellte Natasha einen Latte Macchiato und Eleanor einen Earl Grey. Sie fingen an sich zu unterhalten.

„Bücher also, mh? Was machst du noch so, Ellie?", fragte Natasha irgendwann.
„Ich schreib Gedichte, wenn ich die Zeit dafür finde. Und ich spiel Geige. Ziemlich langweilig, nicht wahr?", gab die Befragte zurück, ängstlich sie hätte nicht genug zu bieten.
„Oh, keinesfalls. Ich würde drauf bestehen, dass Du mir was auf der Geige vorspielst, wenn sich mal die Gelegenheit ergibt, aber ich weiß, dass viele Leute nicht gern vor anderen spielen. Außerdem kann ich mich ja nicht einfach bei dir einladen", dachte Natasha eher laut, als dass es eine wirkliche Antwort gewesen wäre.
„Ich wäre durchaus glücklich, wenn wir uns mal bei mir oder dir treffen würden", strahlte Eleanor und fügte noch vorsichtig hinzu: „Darf ich Dich eigentlich auch bei irgendeinem Spitznamen nennen? Nat oder vielleicht Tasha?"
„Gerne Nat, aber wieso auch?", gab Natasha verwirrt von sich.
„Ich heiß' eigentlich Eleanor, aber Du nennst mich schon seit gestern ausschließlich Ellie. Oh, das war vermutlich, weil ich unterbrochen wurde, als ich mich vorstellen wollte", realisierte Eleanor noch während sie sprach.

Als die Getränke der Beiden kamen, unterbrach Natasha die Stille, die sich gebildet hatte und fragte: „Willst du, dass ich dich irgendwie anders nenne? Eleanor ist ein hübscher Name, wurdest du nach irgendwem benannt?"
„Du kannst ruhig weiter „Ellie" sagen. Eigentlich nennen mich alle meine Freunde so. Sonst auch gern „Ell(e)", wenn du magst", lächelte Eleanor und fuhr dann fort, indem sie die zweite Frage beantwortete: „Ja, tatsächlich, mein Vater hat die Beatles geliebt. Also wurde ich quasi nach Eleanor Rigby benannt, obwohl er niemals zugegeben hätte, dass ihm nix anderes eingefallen ist.

„Und hast du noch einen Zweitnamen?", erkundigte sich Natasha weiter, obwohl es ihr innerlich peinlich war, dass sie ihre Bekanntschaft die ganze Zeit bei einem Namen genannt hatte, den sie von deren Ex-Freund aufgeschnappt hatte. Anfangs war sie noch so stolz gewesen, dass sie am Telefon direkt mit Namen rangegangen war und jetzt war es ihr eher unangenehm. Aber gut wie sie war, überspielte sie das und starrte die 21-Jährige geradeheraus an, während sie auf eine Antwort wartete.

„Tatsächlich", kam es von Eleanor etwas verlegen, die heimlich ihren Vater für ihre beiden Namen verfluchte, weil sie sie nie wirklich gut hatte leiden können. Zögernd fuhr sie fort: „Ich heiße Elise. Eleanor Elise."
„Lass mich raten, deine Mutter mag Beethoven lieber als die Beatles?", kicherte Natasha vor sich hin, bevor sie von ihrem Kaffee trank.
Eleanor rollte nur mit den Augen, nickte und fing an, sich an ihrer Teetasse die Finger zu wärmen, weil langsam die Sonne verschwand.

„Und du? Wie heißt du weiter?", fragte sie dann, um das Thema von sich zu lenken.
„Eigentlich heiße ich Natalia Alianovna Romanova. Ich komm aus Russland, aber die meisten englischsprachigen Leute kommen mit Natasha besser klar. Dementsprechend bin ich jetzt Natasha Romanoff. Meinen Mittelnamen lass ich meisten sowieso weg, aber ich hieß auch schon Natalie Rushman und nicht ganz anders. Kommt immer auf den Tag an", kicherte die Rothaarige, während sie einen schiefen Blick von Eleanor erntete.
„Klingt für mich irgendwie nicht so legal, aber wenn du meinst", brachte diese dann noch hervor und bald wechselten die Beiden das Thema.

Sie unterhielten sich eine gefühlte Ewigkeit. Dem Latte Macchiato folgte eine Cola Light und dem Earl Grey ein Muffin, von dem Eleanor Natasha etwas abgab.

„Es wird langsam spät und das Café macht in einer halben Stunde zu. Vielleicht sollten wir langsam los", gab die jüngere der Beiden zu verstehen und wollte grade aufstehen als sie durch einen Hundeblick und eine auf ihre gelegte Hand zurückgehalten wurde.
„Du wolltest mir noch von deiner Lieblingsmetapher erzählen", erinnerte Natasha sie.
„Na dann unterhalten wir uns auf dem Rückweg weiter, wenn du mich noch ein Stück bringen willst", schlug Eleanor vor und stand doch auf.

Draußen angekommen merkte sie wie kalt es war und es lief ihr ein Schauer über den Rücken.
Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, fragte Natasha sie: „Willst du meinen Pullover anziehen? Du siehst aus, als wäre Dir kalt."
„Frierst Du dann nicht?", sorgte Eleanor sich, aber ihre Begleitung schüttelte nur überzeugt den Kopf und gab ihr das Kleidungsstück, welches sie bis eben um ihre Hüfte gebunden hatte.
Schnell wurde es angezogen und Eleanor bedankte sich.

Während die beiden Damen so die Straße herunterliefen und Eleanor Natasha von der Metapher mit der Zigarette erzählte, wurde es windig und über ihnen zogen sich die Wolken zusammen.
„Du steckst dir das tödliche Ding zwischen die Zähne, gibst ihm aber nicht die Macht dich zu töten", zitierte Eleanor frei Augustus Waters, während ihre braunen Locken im Wind tanzten.
Natasha sah sie mit einem Funkeln in den Augen an und hörte aufmerksam zu.
Keine fünf Minuten später brach über ihnen der Himmel zusammen. Es schüttete wie aus Eimern und weil ihnen sowieso schon kalt war, rannten sie das letzte Stück Weg. An Eleanors Wohnung angekommen, kramte die Besitzerin dieser verzweifelt nach ihrem Schlüssel, konnte ihn aber nirgends finden und gab irgendwann auf, indem sie verzweifelt den Kopf gegen die Tür lehnte.

„Ich hab ihn in der Wohnung vergessen. Mein Schlüssel liegt auf dem Tisch in der Wohnung und ich hab sogar das Fenster auf Kipp gelassen, dass heißt, wenn ich Pech habe ist jetzt auch noch alles nass", jammerte sie vor sich hin und in ihre nassen Haare hinein.

„Du hast das Fenster offen gelassen?", fragt Natasha mit einem schiefen Grinsen auf dem Gesicht.
„Ja, was ist daran so witzig?", kam die Gegenfrage in einem äußerst verwunderten Ton.
„Naja, ich will dir deine Wohnung jetzt nicht für unsicher verkaufen, aber, wenn du magst steig ich ein", bot Natasha ihr an und so wurde es dann nach kurzer Überlegung gemacht.

Es dauerte keine drei Minuten, da öffnete sich die Haustür und weil Eleanor sich dagegen gelehnt hatte, fiel sie hinein.
„Hattest du etwa 'nen Schuss im Tee? Du wusstest doch, dass ich kommen würde", lachte Natasha vor sich hin, während sie der am Boden liegenden aufhalf und die Beiden sich auf den Weg nach oben machten.

„Willst Du vielleicht duschen? Oder wenigstens ein Handtuch zum Trocknen haben?", bot Eleanor ihrem Gast an, während sie Natashas Spuren unterm Fenster wegwischte.
Zwar hatte diese sich äußerste Mühe gegeben, nicht alles zu beschmutzen, aber wegen des Wetters waren ihre Schuhe einfach ziemlich dreckig gewesen.
„Ach, ich hab ja eh keine Wechselsachen bei, also würde ich bei der Dusche passen, aber ein Handtuch für meine Haare und vielleicht einen Regenschirm für den Rückweg, würde ich durchaus gern nehmen. Bekommst du natürlich wieder", antwortete sie und als sie ihren letzten Satz versicherte, zwinkerte sie.
„Ich hätte dir Klamotten von mir geben können, aber was immer du möchtest", rief Eleanor, während sie noch ein Handtuch holte und nach einem Regenschirm kramte.

„Hier!", streckte sie Natasha mit einem Lächeln beides entgegen.
„Willst du noch was trinken?", bot sie an, aber das wurde nur höflich abgelehnt.
„Darf ich noch kurz dein Badezimmer benutzen? Danach würde ich mich auch langsam auf den Weg machen, aber wenn Du möchtest können wir uns bald wieder treffen", schlug Natasha vor.
„Oh, ja, klar, das Bad ist den Gang runter die weiße Tür mit dem Milchglasfenster", stammelte Eleanor verlegen und während ihr Gast sich dort aufhielt, bemerkte sie erst das Chaos um sich herum und räumte hastig ein wenig auf.

„Räumst du auf?", fragte Natasha auf einmal in einem belustigten Ton und die Ertappte wirbelte herum, weil sie die Rückkehr nicht bemerkt hatte.
„Ich mochte das gemütliche Chaos hier", gab sie noch zum Ausdruck, bevor Natasha sich auf den Weg zur Tür machte.

„Na dann. Ruf mich an!", verabschiedete sich Eleanor mit einem schüchternen Lächeln, während sie überlegte, ob sie Natasha umarmen sollte. Diese Frage wurde ihr beantwortet, als Natasha eben das tat und während sie ihre neue Bekanntschaft vorsichtig an sich drückte, flüsterte die Rothaarige: „Mach ich mit Sicherheit."

Die Tür klickte, als sie sich schloß und nach schnellen Schritten im Treppenhaus, konnte Eleanor auch die Haustür hören.
Sie ging in ihr Zimmer und warf sich auf ihr Bett. Dann fiel auf, dass sie immer noch Natashas Pullover trug.
Vorsichtig vergrub sie ihre Nase darin. Er roch unbeschreiblich gut.
Sie war so glücklich und voller Emotionen, aber gleichzeitig so geschafft, dass sie ziemlich bald einfach einschlief.

All die einsamen LeuteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt