XVI

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Es war dunkel und es war kalt. Schmerzen durchzogen den Körper der 21-jährigen. Sie vernahm ein leichtes Stöhnen ihrer selbst. Unter sich könnte sie kalten Steinboden fühlen. Am Ende des Raumes leuchtete schwach ein wenig Licht unter einer Tür durch. Eleanor wollte sich aufrappeln und nähere zum Licht rücken, aber die Schmerzen, die sich durch ihren Körper fraßen wie Motten durch einen Schrank voller Kleider, und der Fakt, dass ihre Hände hinter ihrem Rücken gefesselt waren, hielten sie zurück und nach einem kurzen Versuch sank die junge Frau auf den Boden zurück.

So gut es ging rollte sie sich zusammen und wie sie so ihr Gesicht gegen ihren Brustkorb neigte, konnte sie Natashas dezent liebliches Parfüm wahrnehmen. Der süße Duft zog sich durch ihre Nase und hüllte sie für einen kleinen Moment ein wie eine warme Umarmung derjenigen, die diesen sonst trug. Vor ihrem inneren Auge konnte Ellie sehen, wie Nat vor ihrem Spiegel stand, das Kinn leicht in den Nacken legte und sich einen Pumpstoß der viereckigen Glasflasche gegen die Halsschlagader zerstäubte.

Dann zuckte die 21-jährige wieder zurück in die Realität. Sie hatte noch Natashas sandfarbenden Sweater an und der roch nach ihr. Was Eleanor jetzt alles geben würde, wirklich in Natashas Armen und nicht nur in ihrem Pullover zu liegen.

Sie hörte ein Geräusch auf der anderen Seite der Tür. Es waren Schritte. Und eine tiefe Stimme, die telefonierte. Angst machte sich neben den Schmerzen breit. Was war passiert? Was würde passieren? Eine Träne rollte über das blasse Gesicht und landete in den braunen Locken.

Zeitgleich trat Natasha zurück in die Umkleide des kleinen russischen Tanzstudios, in das sie sich immer zurückzog, wenn sie eine Denkpause brauchte. Sie hatte einfach für einen Moment aufhören müssen zu denken. Schon zwei Tage war es her, dass Eleanor in der Gasse entführt worden war. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sein könnte und mittlerweile drehte sie so durch, das sie nicht einmal wusste, wo sie anfangen würde zu suchen.

Auch mit Steve und mit Tony und mit Clint hatte sie schon geredet. Alle hatten angefangen, alles daran zu tun, Ellie zu finden, aber weit waren sie noch nicht, weil Nat so überfordert war, dass sie kaum einen klaren Gedanken zur Entführung äußern konnte. Das war sonst nicht ihre Art, sie war immer klar bei Gedanken. Aber alles, an dass sie denken konnte, waren die grausamen Dinge, die ihrer jüngeren Freundschaft zustoßen könnten. Natasha hatte viele Feinde, also konnte man nicht einmal das Feld der Verdächtigen eingrenzen. Es war schrecklich.

Nun zog Natasha ihre Ballettschuhe aus. Sie hatte bestimmt vier oder fünf Stunden nicht aufgehört zu tanzen und nun waren ihre Füße geradezu blutig und blau. Aber das war ihr egal. Alles war egal. Sie kramte in ihrer Tasche nach ihrem Handy, aber sie fand es schon seit zwei tagen nicht mehr. Dann traf sie der entscheidende Gedanke wie ein Blitz in eine alte Eiche einschlägt, wenn ein Gewitter wütet. Eleanor hatte ihr Handy. Nat hatte es ihr in die Hosentasche geschoben, weil sie etwas gesucht hatte und Ellie schon den restlichen Inhalt von Nats Taschen in den Händen hielt. Als Ellies Hände wieder frei waren, blieb das Handy in ihrer Tasche.

Natasha sprang auf und rannte aus dem Studio zum Auto, warf ihre Tasche auf dessen Beifahrer sitz und schmiss sich selbst ans Lenkrad. Ohne Rücksicht auf Verluste raste sie durch die Straßen zum Tower zurück. Als oben die Fahrstuhltüren aufgingen, stürmte sie zu Tony und Steve und brüllte: "MEIN HANDY!"

"Das hast du heute morgen auch schon gesucht, Nat. Ich hab es nirgends gesehen, tut mir Leid!", entschuldigte sich Steve, aber Natasha schüttelte hastig den Kopf, während sie nach Atem rang und sich an Tony wandte.

"Orte mein Handy! Sie hat es. Sie hat mein Handy. Ellie hat mein Handy. Ich hab es ihr gegeben, ich-", dann hörte sie auf und atmete wieder, wobei sie nun den Schmerz in ihren Füßen bemerkte, weshalb sie auf den nächsten Stuhl sank.

"Hey, alles gut, Tony macht das. Was ist los Nat, du bist sonst nie körperlich so schwach, wenn dich was beschäftigt. Was hast du gemacht?", wollte Steve sie ein wenig beruhigen, wobei er sich eher selbst Sorgen um sie machte.

„Du warst wieder tanzen, nicht wahr?", kam es von der Tür, in der Clint traurig lächelnd stand. „Wir hatten doch ausgemacht, dass du es nicht wieder übertreibst." Etwas beschämt sah Natasha weg.

Dann kam Pepper rein. „Hey, Natasha, ich will dir wirklich nicht zu nah treten, aber du solltest wirklich langsam etwas schlafen. Du hast seit bestimmt 30 Stunden kein Auge zugetan. Und selbst davor hast du nur immer wieder sehr kurz geschlafen", sagte die Rotblonde.

„Aber ich kann sie doch nicht im Stich lassen. Nicht schon wieder, ich-", wollte die Russin ansetzen, aber Steve legte eine Hand auf ihre Schulter und Clint unterbrach sie verbal: „Bitte Natasha. Ich verspreche dir, ich sag Bescheid, wenn wir sie gefunden haben. Oder wir schicken jemanden los. Aber bis dahin musst du dich ausruhen, okay?"

„Nein, ihr schickt niemanden los. Zumindest nicht ohne mich. Ich muss das wieder gut machen", bestand die 26-jährige auf ihre Aussage.

„Ich will ja eure Hoffnungen nicht all zu sehr heben, aber ich hab' ein Signal. Ist nicht so sehr weit von hier", meldete sich da Tony aus seiner Ecke des Raumes zu Worte und seine Aussage ließ Natasha etwas zu hastig hochschnellen, sodass sie mit ihrem Knöchel umknickte. Steve reagierte reflexartig und hielt sie fest.

„So Natasha, das ist jetzt erstmal der Moment, an dem Du aufhörst, gegen Dich selbst anzukämpfen und nur ein einziges Mal andere etwas für Dich tun lässt", erklärte Cap und brachte die humpelnde Angesprochene herüber zu Pepper. „Bring sie bitte in ihr Zimmer und bleib bei ihr, damit sie nicht einfach abhaut. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das je sage, aber ich glaube heute haben wir bessere Chancen ohne sie", sagte er dann zur Freundin des Multimillionärs.

Pepper griff Nat instinktiv unter die Arme und stützte sie. Nach einem weiteren kurzen Aufstand fügte sich Natasha ihrem Schicksal und ließ sich von Pepper in ihr Zimmer bringen. Diese brachte sie dort bis zum Bett und setzte sich dann neben sie. Eine erdrückende Stille trat ein. Stumm ließ Natasha eine Träne ihre Wange herunterrollen. Pepper bemerkte diese, sagte aber nichts, denn sie hatte die ehemalige Doppelagentin niemals zuvor weinen sehen.

„Willst du etwas trinken? Oder vielleicht was essen? Ich glaube, du hattest nicht so viel in den letzten Tagen", wollte Pepper sich nützlich machen. Beide Fragen wurden abgelehnt. Dann machte Natasha sich an das Ausziehen ihrer Schuhe. Sie hatte ein paar Converse übergeworfen, als sie den entscheidenden Einfall gehabt hatte. Nun, da sie sie ausgezogen hatte, konnte man wieder ihre dünnen, blau-grün gefleckten und teilweise leicht blutig getanzten Füße erblicken. Pepper klappte die Kinnlade herunter und sie wollte etwas sagen, aber sie wusste nicht, was.

„Möchtest du einen Kühlakku? Das wäre bestimmt sinnvoll. Oder kalte Wickel oder irgendwas?", fragte sie schließlich doch mit einem etwas schockierteren Ton als geplant. Wieder lehnte Natasha ab und ließ sich auf den Rücken fallen.

„Ich geh dir trotzdem was zu Essen machen. Du solltest wirklich etwas essen. Oder wenigstens was trinken", beschloss Pepper und stand auf. Bevor sie ging blieb sie noch kurz stehen, starrte in die Luft und meinte ins Nichts: "Jarvis, bitte verriegle Nataschas Tür, solang ich weg bin. Lass sie nicht aus ihrem Zimmer."

„Aber natürlich, Miss Potts.", kam es in höflich britischem Ton von der elektronischen Stimme.

Pepper checkte ein letztes Mal ihr Handy, bevor sie sich auf den Weg zur Küche machte. Tony hatte ihr geschrieben, dass sie jetzt los waren. Er meinte, er würde sie, so gut es ging auf dem Laufenden halten.

Als sie ein paar Brote und Tee gemacht hatte, kehrte sie zurück. Natasha lag unverändert auf ihrem Bett. Nur waren es mehr Tränen geworden, die ihre Wangen zierten. Als Pepper hereintrat, beachtete sie sie nicht. Auch als sie das Tablett auf den Tisch stellte, starrte Nat einfach weiter an die Decke des Raumes Pepper setzte sich und sie schwiegen wieder. Die gutherzige Freundin des Multimillionärs wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hatte Natasha nie so gesehen. Nach einer halben Stunde des Schweigens sah Pepper zur Agentin hinüber. Sie atmete regelmäßig und tief und hatte die Augen geschlossen. Dann kam eine Nachricht von Tony. „Wir haben sie!"

All die einsamen LeuteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt