All die einsamen Leute

XXIV

„Ellie, Baby?", rief Nat die Treppen herunter. Sie konnte ein leises Trampeln vernehmen, welches am Fuß der Treppe stoppte.
„Ist alles in Ordnung, Nat?", kam es als Gegenfrage in besorgter Stimmlage.
„Ja, alles bestens, aber könntest du vielleicht heraufkommen?", lachte Nat.

Wieder vernahm sie Schritte, diesmal aber auf der Treppe.
Als Eleanor die oberste Etage des Dachbodens betrat, wirbelte der Staub durch das goldgelbe Sonnenlicht und der Boden knarrte leicht, wann immer sie einen Schritt tat.
Die junge Frau ließ ihren Blick durch den Raum gleiten, betrachtete einen Moment die Pflanzen, die sich darin befanden, sah durch das Fenster auf die Felder hinaus und entdeckte schließlich in einer Ecke Natasha vor einem Haufen verschiedenster Dinge.

„Was tust du da?", fragte Ellie mit Verwunderung in der Stimme und einem schiefen Grinsen im Gesicht.
„Ich hab all diese Sachen hier entdeckt, ich dachte, vielleicht interessiert dich ja irgendwas davon", stellte die 26-Jährige halb fragend ihre Aussage in den Raum.

„Lass mal sehen", nuschelte ihre Freundin und kam auf sie zugeschlendert.
Nachdem sie Natasha von hinten in die Arme geschlungen und kurz ihren Hals liebkost hatte, wandte sie sich den Sachen zu.

„Zum Beispiel hab ich hier- Was ist das?", unterbrach sich die Russin selbst und starrte auf einen Koffer, den Eleanor hielt.
Es war kein Reisekoffer, er war kleiner und unförmig.

Ellie wandte den Blick, der vorher starr auf dem Gepäckstück geruht hatte, ihrer Freundin zu, zog ungläubig die Augenbrauen so hoch, dass sich auf ihrer Stirn eine dünne Falte abzeichnete und senkte sie wieder, nur um im gleichen Zug die Augen zusammen zu kneifen, als wollte sie sagen:
„Du - die russische Spionin, die berühmte Natasha Romanoff - weißt nicht was das ist?"

Nat fing diesen Blick auf und schüttelte kurz den Kopf, als wollte sie den Gedanken loswerden, Ellie hätte geglaubt sie wüsste nicht worum es sich handle, und setzte dann an: „Natürlich weiß ich, was das ist."
Ihr Ton klang geradezu rechtfertigend.
„Ich- das ist eine Geigenkoffer, aber warum liegt der hier? Ist eine Geige drin?", fasste sie sich dann schließlich wieder und wurde neugierig.

Eleanor legte langsam und auf Geheimniskrämerei tuend die Finger an die Öffnung, blickte Nat verführerisch an und gab dann halb flüsternd von sich: „Wer weiß? Vielleicht ist es ja auch eine Waffe? Von irgendeinem Gangster aus den 50ern."

Dann kicherte sich und reichte Nat den Koffer herüber.
„Wieso machst du ihn nicht auf?", fragte diese verwirrt.
„Du zeigst Interesse daran. Es sei die überlassen, herauszufinden, ob es eine Knarre oder ein Stück Holz ist", plauderte die 21-Jährige so vor sich hin, während sie schon wieder den Haufen durchforstete.

„Es ist eine Geige", sagte Natasha stumpf, ohne den Blick von ihrer Liebsten abzuwenden.
„Du hast ihn ja noch nichtmal geöffnet", lachte Ellie ungläubig, „woher willst du das wissen?"

Nat zuckte nur die Achseln, sah den Koffer an und nuschelte etwas vom Gewicht und dessen Verlagerung, bevor sie ihn doch schließlich öffnete.

„Hier. Geige.", hörte Ellie nur und als sie aufsah, hatte Nat den Koffer in ihre Richtung gedreht.

„Die ist wirklich hübsch", lächelte sie als Antwort, erhob sich ein paar Zentimeter, um besser über den Rand des Gepäckstücks sehen zu können und ließ sich dann wieder auf den Boden plumpsen.

Nat kniff die Augen zusammen und sah Eleanor durchdringend an.
„Bei unserer ersten Verabredung hast du gesagt, du kannst Geige spielen. Wieso zeigst du keinerlei Interesse an diesem doch recht hübschen Instrument?", fragte sie unschuldig.

Einen Moment lag Ellies Blick starr auf den alten Dielen den Holzbodens. Dann sah sie Natasha tief in die Augen.
„Du hast mal Ballett getanzt, nicht wahr, Nat? Und du hast es lange Zeit gelassen. Aber als man mich-", sie schluckte, „als man mich entführt hat, hast du wieder angefangen und dir die Füße blutig getanzt, stimmt das?"
Eleanors Ton klang, als wollte sie auf etwas bestimmtes hinaus. Ihre Stimme war ernst, behielt aber die übliche Freundlichkeit, die die junge Dame so an sich hatte.