Beim Dinner machte sich Eleanor größte Mühe, ihre Arme zu verstecken. Immer und immer wieder zupfte und zog sie an den Ärmeln des Pullovers herum, den sie letztendlich doch noch von Natasha ergattern konnte. Es hatte eine ziemliche Diskussion gebraucht, diesen zu bekommen. Nat bestand darauf, dass Luft an die Wunden musste. Diese sahen aber aus, als hätte Ellie mit einer Klinge ansetzen müssen, um sie zu verursachen und obwohl das ganze Team wusste, dass sie kürzlich entführt worden war, war es ihr unangenehm, sich so zu präsentieren.
Vor dem Essen war Natasha noch kurz mit Tony im Nebenraum verschwunden. Was sie besprochen hatten, wusste Ellie nicht und sie war zu sehr auf ihre Arme fokussiert, um neugierig zu sein. Nun saßen die üblichen verdächtigen am Tisch und aßen. Unter den üblichen Verdächtigen konnte man jene verstehen, die im Tower wohnten, also dauerhaft da waren. Clint Barton und Scott Lang hatten ihre Familien, Thor kam nicht einmal vom Planeten Erde und Tony gehörte der Tower zwar und er war auch viel dort, aber er besaß viele Immobilien und bewohnte eine andere in der Nähe. Oft verbrachte er allerdings die Nächte sowieso in seinem Labor und so hatte Pepper sich auch hier eingerichtet. Deshalb wohnten sie quasi gleichzeitig in ihrem Haus wie auch im Stark-Tower.
Ellie griff nach der Wasserflasche am ihr gegenüberliegenden Ende des Tisches und obgleich Steve sie ihr entgegenstreckte, musste sie sich so sehr nach vorne beugen, dass die Ärmel ihres Oberteils hochrutschten. Schnell riss sie ihren Arm mit der Flasche in der Hand zurück, stieß dabei versehentlich ihr leeres Glas um und wer ihren Arm der Schnitte wegen vorher nicht angestarrt hatte, starrte sie nun so oder so der Unruhe wegen an.
"Herzchen, dir muss hier nichts unangenehm sein. Wenn du mit irgendjemandem reden willst, kannst du das wirklich gern tun, okay?", unterbrach Pepper die Stille, die aufgekommen war und sah Eleanor dabei direkt an, als wollte sie direkt in ihre Seele schauen; nur eben mit ihrem traurig freundlichen Lächeln und den gutherzigen Augen, die die Erscheinung der rotblonden Frau ausmachten.
Eleanor starrte peinlich berührt zurück. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte und eigentlich wollte sie auch gar nichts sagen. Sie hatte viel durchgemacht. Mehrere Male wäre sie beinahe vergewaltigt worden und erst diese Woche war sie entführt und so schlimm zugerichtet worden, dass ihre Nase leicht blau angelaufen war, ihre Rippen waren ebenso blau-grün und ihre Unterarme sahen aus, als hätte sie sich umbringen wollen, weil sie in einen Haufen Scherben getreten worden war. Langsam war es Zeit, dass die Dinge wirklich besser wurden. Denn obwohl sie mit Natasha einen großes Stück Glück in ihrem Leben gewonnen hatte, war sie weit davon entfernt, ein sorgenfreies Leben zu führen.
Im Großen und Ganzen ging es ihr nicht wirklich gut. Weder physisch noch mental. Aber sie brachte keinen Satz heraus, wenn jemand nach ihren Gefühlen fragte. Immer mal boten Leute ihr ein offenes Ohr an, aber sie hätte es nicht zu nutzen gewusst, als wäre alle Hilfe der Welt eine riesige Bibliothek gewesen und sie wäre Analphabetin.
"Hey, Elle? Eleanor?", sprach Wanda sie von der Seite an und die junge Frau schnippte wieder zurück in die Realität. Wanda winkte gerade vor ihrem Gesicht herum, als Ellie kurz zuckte und sie dann ansah.
"Mh? Sorry. Ich bin nicht wirklich hungrig. Ich würde mich ein wenig zurückziehen, wenn das okay ist", stellte die Brünette mit fragendem Blick in den Raum, als würde sie es nicht wagen, ohne Erlaubnis aufzustehen.
Einzelne Köpfe am Tisch nickten und nach einem kurzen aber intensiven Blick zwischen ihr und Natasha, erhob sich Ellie und schlurfte zur Tür hinaus. Alle sahen ihr hinterher und nachdem Nat sich auf einen Blickwechsel zwischen ihr und Pepper hin auch aus dem Raum bewegt hatte, trat wieder das typische Geschwafel eines Abendessens ein, nur diesmal mit einer leicht beklommenen Unterstimmung.
Gerade um die Ecke gebogen, sah die Russin am Ende des Ganges ihre Freundin laufen, noch nicht all zu weit entfernt, aber doch gerade durch eine Tür den Gang verlassend. Es hatte keinen Sinn, ihr hinterher zu rufen. Also fing Natasha an, zu joggen, um sie einzuholen, aber an der Tür angekommen, stoppte sie abrupt. Es war eine Glastür, die zu einem Balkon hinausführte. Auf diesem stand Ellie vorne am Geländer.
Natasha trat heraus. Sie stellte sich neben Ellie und sah ins Weite. Die Brünette stand auf dem Balkon, der nur mit einer dünnen Glaswand den Sturz in die Tiefe vorbeugte, und schaute in die Ferne, als hätte sie keinen Punkt fixiert, sondern wäre eher unfokussiert, wie eine Kamera, die keinen guten Punkt zum scharf stellen findet.
"Süße, ich glaub, du brauchst ganz dringend ne Pause vom Leben", stellte Nat nach ein paar Minuten in den Raum.
"Was soll das bedeuten?", wunderte Ellie sich, wobei man hören konnte, wie wenig es noch brauchte, damit ihre Stimme wegbrechen würde.
"Na du solltest mal aus den gewohnten Umgebungen raus. Mindestens drei, vier Wochen. Vielleicht sogar ein bisschen mehr. Neue Leute, neue Erfahrungen. Hier in New York scheint das alles gerade nicht so zu fruchten", beschrieb die Russin grob die Umrisse ihrer Idee, aber Eleanor verstand immer noch nicht ganz, was sie meinte.
"Warte, was willst du damit andeuten? Willst du mit mir Schluss machen oder so?", knickte die Stimme der 21-Jährigen nun endgültig weg. Dazu rollten ihr Tränen über die Wangen und sie hatte sich vom Abgrund weg und zu Natasha hin gewendet. Verzweifelt starrte sie diese nun an.
"Was? Um Himmels Willen, nein! Baby, was erwartest du denn von mir? Das könnte ich doch niemals übers Herz bringen. Warum sollte ich dir das antuen?", platzte es aus Nat heraus, denn sie hatte nicht mit dieser Antwort gerechnet, noch hatte sie überhaupt an solch eine Handlung gedacht. Sie nahm das weiche, blasse Gesicht in die Hände, küsste dann zärtlich aber kurz die zitternden Lippen und zog Ellie dann in eine warme Umarmung. Behutsam legte sie ihre schützend eine Hand auf den Hinterkopf und streichelte mit der anderen ihren Rücken.
Nachdem sie ihrer Freundin einen kleinen Kuss auf dem braunen Deckhaar platziert hatte, erklärte sie, was genau ihr Plan war, um den Sonnenschein zurück in die 21-Järige zu bekommen, denn als die Beiden sich kennengelernt hatte, war dieser noch da gewesen und hatte sich dann Stück für Stück von Gewitterwolken. An Eleanors Himmel der Freude hatte sich ein gewaltiger Cumulonimbus zusammengebraut und nun war es an Natasha, diesen wieder zu vertreiben, bevor daraus ein Sturm von Hagel und Schnee herabdonnern würde.
"Baby, was ich meinte, ist dass wir beide vielleicht das Land verlassen sollten. Und wenn es nur für ein paar Wochen ist. Das würde dir gut tun. Als wir vorhin zum nächsten Store Toast kaufen gehen wollten, hast du eine Panikattacke bekommen, bevor ich die Tür öffnen konnte. Wenn du zu viel Angst hast, auf die Straße zu gehen, musst du dringend mal woanders hin.
Wir hatten doch ein wenig über England gesprochen, oder? Du meintest etwas von einem kleinen Ort in der Nähe von London und weil du schon mal von einem kleinen Ort namens Bushey erzählt hast und dieser bei London liegt, hab ich eins und ein zusammen gezählt. Ich hab vorhin sogar kurz mit Tony geredet. Wir könnten eins seiner Privatflugzeuge haben und wann immer es uns passt losfliegen. Klingt das nach einen Plan?", führte Natasha langsam und mit ruhiger Stimme aus und Ellie wurde immer ungläubiger, je länger ihre Freundin sprach. Als diese mit ihrer Darstellung fertig war, hatte Eleanor Augen wie eine Eule bekommen, weil sie so aus dem Häuschen war, aber einfach zu körperlich erschöpft, um herum zu hüpfen wie ein kleines Kind; denn das hätte sie vermutlich getan.Zweimal musste Natasha Eleanor versichern, dass sie es todernst meinte, dann akzeptierte sie es. Innerlich überglücklich, äußerlich ziemlich müde, beschlossen die Beiden, auch bald ins Bett zu gehen. Weil Nat allerdings noch Hunger hatte und Ellie quasi nichts gegessen hatte, überredete Nat ihre Freundin, dass sie sich noch einmal zu den anderen setzen und mit ihnen zu ende essen würden.
An dem Abend, ging Eleanor das erste Mal seit einer guten Weile wieder glücklich schlafen. Die Dinge sollten wirklich besser werden.
DU LIEST GERADE
All die einsamen Leute
Fanfiction„Als ich dich sah, verfiel ich dir. Und du fingst an zu lächeln, weil du es wusstest." plot: Eleanor ist 21 Jahre alt und arbeitet in einem New Yorker Buchladen. Eines Tages trifft sie eine bezaubernde junge Frau, die, wie sie später erfährt, zu den...