XXIII

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Mit weit offenen Augen saß Natasha da und starrte geradeaus ins Leere. Die letzten Worte, die gefallen waren, hallten ihr noch immer in den Ohren herum, obwohl sie mehr geflüstert als gesprochen worden waren.

"Was?", fragte sie etwas verunsichert, aber von Eleanor bekam sie keine Antwort mehr, denn diese schlief schon.

"Kann ich etwas für Sie tun, Miss Romanoff?", kam es aus Richtung des Cockpits in der unverkennbar britischen Stimme von Mr. Johnson.

"Was?", wiederholte die Russin sich, wurde dann aber wieder Herr der Situation und schüttelte mit einem verneinenden Geräusch den Kopf. Dann dachte sie kurz über das nach, was eben geschehen war:

Sie beide waren ins Flugzeug nach England eingestiegen, Ellie hatte noch eine Frage zu ihrem vergangenen Gespräch gestellt und bevor sie eingeschlafen war, hatte sie drei signifikante Worte benutzt. Nicht irgendwelche drei Worte. Die drei Worte. Die Worte die, wie Snow Patrol es ausdrückte, zu viel und nicht genug sagten.

Verzweifelt suchte Natasha in ihren Erinnerungen nach einer vergleichbaren Situation, aber je länger sie nachdachte, desto stärker wurde ihr bewusst, dass noch niemals jemand mit Worten direkt zu ihr gesagt hatte, dass er sie liebte. Wie ein Stich durchzuckte sie ein kurzer Schmerz und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Es hatte durchaus Menschen gegeben, von denen sie sich geliebt gefühlt hatte, aber nie hatte es jemand wirklich ernst genug gemeint, um es ihr zu sagen.
Eine einzelne Träne rollte über Nats Wange.

Den Rest des Fluges versuchte sie sich abzulenken, aber das war schwer. Eleanor schlief bis kurz vor der Landung durch, aber ab einem gewissen Punkt, war Nat so rat los, was sie mit sich anfangen sollte, dass sie Ellie auf ihren Schoß hob und bis zum Landeanflug etwa eine Dreiviertelstunde damit verbrachte, einfach mit ihrer Freundin zu kuscheln. Hin und wieder platzierte sie einen Kuss auf ihrer Stirn oder Wange und strich ihr durch die Haare.

Gerade kündigte Mr. Johnson den Landeanflug an, da erwachte Eleanor, noch auf Nats Schoß, wobei Natasha selbst gerade ein wenig eingenickt war. Der Durchsage wegen, kroch Ellie vorsichtig vom Schoß ihrer russischen Gefährten und weckte diese dabei unbeabsichtigt auch wieder.

"Was machst du?", fragte sie nun leise und verschlafen.

Eleanor lächelte sanft und antwortete: "Die Landung wurde gerade angekündigt, aber was ich mich eher frage, ist wie ich auf deinen Schoß gekommen bin", und zog dabei als Imitation Natashas eine Augenbraue hoch. Dafür erntete sie einen verwirrten Blick.

"Oh, ja, die Landung. Ich wollte kuscheln, das ist alles. Du musst sagen, wenn dich das stört", erklärte Nat nur knapp und nachdem Eleanor den Kopf geschüttelt hatte, küssten sich beide kurz und das Thema war vom Klapptisch.

Bald kamen sie auf englischem Boden an und fuhren in den gewünschten Ort. Sie hielten am Gartenzaun eines wunderschönen kleinen Häuschens. Es war eher dünn, dafür aber ein Stückchen hoch. Die weiße Hausfassade war teilweise von Efeu bedeckt und die Farbe an der blauen Tür blätterte an einzelnen Stellen ab, was dem ältlichen Gebäude aber einen gewissen Charakter verlieh. Der hellbraune Holzzaun ließ sich an einer Stelle durch einen Riegel öffnen, im Vorgarten standen verschiedenste Blume und ein kleiner Weg führte am Haus vorbei.

Die beiden Damen nahmen ihr Gepäck in Gewahrsam und entließen ihren Begleiter in die Weiten seiner Heimat. Wenn etwas nötig sei, sollen sie sich melden, usw. - so verabschiedete er sich, aber die beiden Frauen schienen zufrieden und glücklich.

Das Haus lag am Rand der Kleinstadt und hinter dem eigentlichen Garten erstreckten sich Wiesen und Felder. Eleanor stand nun in der hintersten Ecke des Gartens und besah sich die Landschaft.
Sie drehte sich zu Seite und sah an einem großen, alten Baum hinauf. An ihm waren viele dickere Äste, bestimmt genug, dass man in die Krone klettern könnte. Am Stamm war das eine Ende einer Hängematte befestigt, welche mit der anderen Seite an einem Haken der Hauswand hing.
Ellie musterte noch den kleinen Schuppen, das Tor zu den Feldern und die Rückseite des Hauses, die mit Efeu übersäht war wie auf der Frontseite. Dann ging sie zurück ums Haus und half Nat mit dem Gepäck.

All die einsamen LeuteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt